Öffentlich-private Partnerschaften: Der große Bluff der Berliner „Schulbauoffensive“
Je länger dieser laue Abend dauert, desto hitziger wird es in Raum 311 des Berliner Abgeordnetenhauses. Vorne sitzen Geschäftsführer der Parteien und eine Bildungspolitikerin der rot-rot-grünen Landesregierung: Torsten Schneider (SPD), Steffen Zillich (Linke) und in der Mitte Stefanie Remlinger (Grüne).
Wohl zum ersten Mal treten Politiker aller Regierungsparteien gemeinsam auf, um Fragen zu ihrem größten Infrastrukturprojekt zu beantworten: der Berliner Schulbauoffensive. Seit rund zwei Jahren werkelt der Berliner Senat daran – die längste Zeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zuletzt bemängelten selbst Bezirksbürgermeister, dass vom Senat nur spärlich Informationen fließen. Die Berliner Zeitung beantragte daraufhin Akteneinsicht von der Senatsverwaltung für Finanzen und erhielt sie; allerdings erst, nachdem sich die Präsidentin des Verwaltungsgerichts mit der Sache beschäftigten musste.
Die Intransparenz der Regierung ist fragwürdig, denn ihre „Schulbauoffensive“ ist beispiellos in der Geschichte der Stadt. Bis 2026 sollen 5,5 Milliarden Euro in die Berliner Schulinfrastruktur fließen, rund 60 neue Schulen entstehen.
Vor wenigen Tagen, in Raum 311, möchten die Politiker Transparenz und Partizipation demonstrieren bei „einem der größten Vorhaben“, wie Remlinger sagt, „über das wir alle drei sehr glücklich sind“.
Doch mit dem Glücksgefühl sind die drei Politiker an diesem Abend fast allein. Alle, die sich melden, üben Kritik. Eine Elternvertreterin, eine Schulforscherin, pensionierte Lehrer, ein Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus Charlottenburg und ein Vorstand der Architektenkammer. Nur in der letzten Reihe sitzen welche, die nach jedem Redebeitrag der Regierung klatschen.
„Nie im Leben ist das ÖPP“
Stefan Zillich erklärt das Vorhaben wie eine zwingende Notwendigkeit: „Wir treffen auf eine Verwaltung, die es schon lange nicht mehr gewohnt ist, zu investieren.“ Weggespart unter Sarrazin und Wowereit. Und so kam die Wohnungsbaugesellschaft Howoge ins Spiel. Sie soll die Hälfte der 60 Schulen bauen und den Bezirken dann 25 Jahre lang vermieten. Die Howoge gehört zwar dem Land, aber sie firmiert als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, als private GmbH.
Von den 5,5 Milliarden Euro Baukosten soll die Gesellschaft mehr als eine Milliarde Euro am Kapitalmarkt aufnehmen. So will es Finanzsenator Mathias Kollatz-Ahnen (SPD). Das habe den Vorteil, dass dieses Geld nicht als Landesausgaben verbucht würde, also nicht den Berliner Schulden zugerechnet wird. Sicher ist das aber nicht. Widersprüchlich ist die Begründung: Weil die Howoge gerade nicht zum Land gehöre, könne sie Kredite am Haushalt vorbei aufnehmen. Wird jedoch Kritik an dieser „formellen Privatisierung“ laut, heißt es umgehend: Die Howoge gehöre doch dem Land – kein Problem, keine Privatisierung.
Was eindeutig ist: Wegen ihrer beschränkten Haftung als Privatunternehmen werden Kredite für die Howoge teurer, weil sie nicht von den günstigeren Zinsen für die öffentliche Hand profitieren kann. Damit die Kosten nicht völlig aus dem Ruder laufen, muss das Land Berlin den Banken weitreichende Garantien geben. Die Regierung muss sogar versprechen, selbst dann weiter Mieten an die Banken zu überweisen, wenn gar keine Schulen gebaut oder genutzt werden könnten. „Einredeverzicht“ heißt das. In den 1970er Jahren erlebte Berlin mit einer vergleichbaren Garantie ein Schulbaudesaster. Damals baute die Degewo.
Das Problem, dass die Regierungsvertreter in Raum 311 in Schlingern bringt: Das Vorhaben darf nicht Privatisierung heißen. Denn solche öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) widersprechen der eigenen Politik: „Die Koalition schließt beim Neubau jede Form von Public Private Partnership aus“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung.
Genau um ein solches Modell handelt es sich aber, sagt Carl Waßmuth, der auch im Saal sitzt. Er ist Vorstand des gemeinnützigen Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Waßmuth zählt auf: „Lange Vertragslaufzeiten über mehrere Jahrzehnte, private Kapitalaufnahme, Rückmietung, Geheimverträge und eine Umgehung der Schuldenbremse.“ Das seien Merkmale öffentlich-privater Partnerschaften. „Was Sie machen, ist ÖPP“, sagt er zu den Politikern.
Intransparenz und höhere Kosten
„Nie im Leben ist das ein ÖPP-Projekt“, erwidert der SPD-Abgeordnete Torsten Schneider, der als einer der Strippenzieher gilt. Er stützt sich darauf, dass die Howoge selbst dem Land Berlin gehöre. Das könne gar keine öffentlich-private Partnerschaft sein. Doch Schneider dürfte es besser wissen. So wie auch seine Kollegen bei der federführenden Senatsfinanzverwaltung.
Da heißt es in einem Dokument vom 7. Dezember 2017 mit Bezug auf Urteile des hessischen Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs: „Beide Gerichte erkennen die vorliegend gewählte Konstruktion der Bestellung eines Erbbaurechts an einem Grundstück der öffentlichen Hand mit anschließender Rückmietung als ÖPP an“. Mit solchen Erbbaurechten wandert auch der Besitz der Schulen und der Grundstücke an die Howoge. Fazit des internen Dokuments: „Landeseigene Gesellschaft als ÖPP-Partner möglich.“
Also genau das, was Schneider in Raum 311 bestreitet. Doch was wäre neben dem politischen Wortbruch das Problem an ÖPP? „Intransparenz, Kostensteigerungen und unabsehbare Folgen“, meint Privatisierungskritiker Waßmuth. Vor allem durch teure Berater und Banken entstehen hohe Zusatzkosten, die über Jahrzehnte der Allgemeinheit aufgebürdet werden.
Pikant ist ein Treffen des Finanzsenators mit einem Top-Berater: Im November 2017 trifft sich Matthias Kollatz-Ahnen ausgerechnet mit Bernward Kulle zu einem Hintergrundgespräch. Das ergibt sich aus einem internen Vermerk: „Frau Frensch und Herr Kulle haben nach dem Gespräch mit Sen am 21.11. den Auftrag erhalten.“
Stefanie Frensch ist die Chefin der Howoge und Kulle einer der umtriebigsten Privatisierungs-Verfechter. Er gilt als graue Eminenz der ÖPP-Lobby. Kulle war als Vorstandsvorsitzender von Hochtief für ÖPP im Baukonzern zuständig. Danach wurde er Vorstand der ÖPP Deutschland AG. Der größten ÖPP-Beratungsagentur in Deutschland, die bei Bund und Ländern seit Jahren für Teilprivatisierungen lobbyiert.
Aus der Taufe gehoben hatte die ÖPP Deutschland AG der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück. Erdacht und am Reißbrett entworfen hatten die Agentur jedoch ein Top-Manager der Deutschen Bank, Berater von McKinsey und der Kanzlei Freshfields Bruckhouse Deringer. Jene Branchen, die zu den größten Profiteuren von ÖPP zählen. Auch Genosse Kollatz-Ahnen hat gute Drähte in die Branche. Er arbeitete bis zu seinem Amtsantritt als Finanzsenator bei PricewaterhouseCoopers. Das Unternehmen gehört zu den vier weltweit größten Beraterkonzernen, den „Big Four“.
Drei Monate, nachdem Bernward Kulle bei der ÖPP-Agentur als wichtigster Lobbyist seinen Dienst quittierte, engagiert er sich als Berater bei der Berliner Schulbauoffensive, die angeblich nichts mit ÖPP zu tun haben soll. Kulles Modellvorschlag reicht sogar weniger weit als das Modell, das Frensch vorschlägt. Anders als bei Frenschs Plänen wäre das „wirtschaftliche Eigentum“ an Grundstücken und Schulgebäuden nicht der Howoge übertragen worden. Doch genau das soll nun kommen.
„Es handelt sich um ÖPP“
Was das bedeutet, beschrieb der Rechtswissenschaftler Christoph Gröpl, als er im Zusammenhang mit der Autobahnprivatisierung von der CDU als Sachverständiger befragt wurde: „Auf diese Weise würde das Eigentum zu einem ‚nacktem (leeren) Recht‘ degenerieren“. Das entspräche einer der weitreichendsten Privatisierungen, die möglich sind, so der Experte.
Auch die Finanzsenatsverwaltung schreibt im Januar 2018 mit der Einbindung der Howoge würde „das Eigentum an bestehenden Gebäuden auf sie übergehen bzw. unmittelbar bei ihr das Eigentum an den Neubauten entstehen“.
Noch deutlicher fasst es eine Referatsleiterin am 22. Dezember 2017 zusammen: „Bei den geplanten Mietverträgen zwischen den Bezirken und der HoWoGe handelt es sich im Kern um ein ÖPP-Modell.“
Trotzdem behaupten Zillich und Schneider das Gegenteil. Auch die Grüne Stefanie Remlinger sagt in Raum 311: „Ich halte das für kein ÖPP.“ Sie blendet das Publikum auch bei den Konsequenzen. „Wir haben erreicht, dass die Howoge dem Hauptausschuss unterrichtet“, sagt sie. „Wir haben mehr Transparenz, als wir jemals hatten.“
Tatsächlich wird die Transparenz im Privatrecht erheblich eingeschränkt. Die Howoge muss anders als etwa der Finanzverwaltung der Berliner Zeitung keine Einsicht in die Unterlagen gewähren, da sie auch nach dem Informationsfreiheitsgesetz nicht der öffentlichen Verwaltung zugerechnet wird, sondern eben der Privatwirtschaft. Die Howoge beruft sich auf ihr „Geschäftsgeheimnis“ . Öffentliche Kontrolle ist daher kaum möglich.
Mit dem Senat werden also Geheimverträge ausgehandelt, die den Schulbau und damit das öffentliche Bildungswesen für Jahrzehnte prägen. Als die Berliner Zeitung ein Gutachten einfordert, das von Ernst & Young erstellt wurde, schreibt der Konzern an die Senatsfinanzverwaltung: „Sie sind nicht dazu berechtigt, Arbeitsergebnisse (ebenso wie einen Teil oder eine Zusammenfassung eines solchen) gegenüber Dritten offenzulegen.“
In diesem Gutachten, das die Berliner Zeitung dennoch einsehen konnte, heißt es: „Das Fertigstellungs-/Baurisiko“ könne „maximal für die ‚Typenbauten‘ (und dies lediglich in eingeschränktem Maße) übernommen werden.“ Weiter: „Auch das Wartungs- und Instandhaltungsrisiko“ könne „nur mit entsprechenden Sicherheitszuschlägen“ übernommen werden. Bei Ernst & Young arbeitete übrigens auch die Chefin der Howoge, Stefanie Frensch.
Der Senat kann zudem seinen wichtigsten Plan, die Schuldenbremse zu umgehen, nicht mit Gewissheit umsetzen. Die Prüfbehörde Eurostat „sehe bei Einredeverzicht eine Zuordnung der Darlehenssumme zum Staatssektor vor, da die Zahlungen vom Land bedingungslos garantiert werden“.
In einer Übersicht heißt es: „Keine Eurostat-Konformität erreichbar“, so die Ernst & Young-Studie. Am 22. Dezember 2017 schreibt eine Referatsleiterin der Finanzverwaltung: „Das ursprüngliche Ziel einer fiskalpaktkonformen Schulbaufinanzierung für Neubau und Sanierung durch die HoWoGe wird verfehlt, da in den untersuchten Modellvarianten der HoWoGe nur im Falle des Typenbaus die unternehmerischen Risiken übertragen werden.“
Solche modularen Typenbauten fordert die Senatsverwaltung für Wohnen nun in ersten Ausschreibungsentwürfen. Fiskalische Abwägungen entscheiden offenbar mit über die Art von Gebäuden, in denen Berliner Schüler in den nächsten Jahrzehnten unterrichtet werden. Und das wohl ohne Not. Denn sogar ein Referatsleiter von Finanzsenator Kollatz-Ahnen rät dazu, von dem ganzen Vorhaben Abstand zu nehmen.
Im Januar 2018 schreibt er: „Vor dem Hintergrund einer nicht erwarteten sehr günstigen Haushaltslage und der sehr günstigen Prognosen für die nähere Zukunft, erscheint eine Kreditaufnahme durch Dritte zur Finanzierung der Schulbauoffensive zurzeit nicht zwingend erforderlich zu sein. Es wird daher vorgeschlagen, vorerst darauf zu verzichten und die Howoge als Baudienstleister zu beauftragen.“