Die neuen BVG-Sitzmuster: Hier droht Migräne schon vom Hinsehen
Die alten Würmchen werden abgelöst, jetzt bettet der Fahrgast sein Gesäß auf bunten Wimmelmenschen. So fancy, wie das beworben wird, ist die Realität nicht.

„Ein Muster eurer Vielfalt. Ein Zeichen unserer Liebe.“ So bewirbt die in Marketing-Dingen bekanntlich sehr bewanderte BVG ihr neues Sitzmuster in Bussen und Bahnen. „Genauso vielfältig wie ihr!“, sei der Polsterungs-Style, so die juvenile, in den Zeitgeist passende Ansprache.
Das Design der Sitzbezüge bei der BVG spaltet seit jeher die Stadt – die einen lieben, die anderen hassen es. Und manchmal werden sogar erfolgreiche Sneaker daraus. Mehr als 30 Jahre haben wir nun auf dem „Würmchenmuster“ gesessen, dessen Gewimmel aus Blau, Rot, Schwarz und Weiß die Vandalen davon abhalten sollte, ihr Geschmiere darauf zu hinterlassen. Oder das Geschmiere zumindest weniger sichtbar macht.
Wegen eines Rechtsstreits mit dem Erfinder muss „Urban Jungle“, wie das Muster offiziell heißt, nun weichen. Und wir sitzen künftig auf dem Sitzmuster „Vielfalt“, das zunächst einmal dadurch auffällt, dass mächtig viel Gelb hinzugekommen ist – die Farbe des Leuchtens, des Strahlens, der Sonne und des Lichts. Das mag ja im dunklen U-Bahn-Tunnel angebracht sein, trotzdem ist Gelb styletechnisch gesehen eine ganz schwierige Sache. Schwer zu kombinieren, und der Berliner Winter-Blässling sieht darauf gleich noch drei Nuancen fahler aus.
Wer länger auf das Muster schaut, läuft Gefahr, Migräne zu bekommen. Immerhin, die Gelbschattierungen dürften künftig auch Erbrochenes und vertropften Babybrei besser kaschieren. Oder sollte das gar nicht die Intention sein?
Vermutlich nur am Rande, denn wenn wir genauer hinschauen, sehen wir, dass der bunte Kopfschmerzwimmelmix aus diversen menschlichen Silhouetten zusammengesetzt ist. Im dazu passenden Werbeclip rauscht ein unrealistisch gut gelaunter Fahrkartenkontrolleur zur Musik von Snap (beste Wahl!) durch einen unrealistisch leeren Waggon, vorbei an turtelnden schwulen Paaren, Kopftuch tragenden Frauen, Lederjacken-Punkern, Rentnern und Rollstuhlfahrern, die dann zu den Silhouetten des Musters verschmelzen. So weit, so fancy.
Doch die Realität in Berlins Öffis ist dann doch eine andere. Und so kann man zwar die klare Botschaft der BVG loben: „Bei uns ist jede*r willkommen!“ Und dennoch konstatieren, dass sich angesprochene Gruppen in den Öffentlichen bei Weitem nicht so partymäßig fühlen, wie im Clip dargestellt. Viele Frauen meiden nachts die U-Bahn. Wer im Bus schon mal homophob oder transfeindlich beleidigt wurde, den interessiert es dann auch nicht, ob sich auf seinem Sitz symbolisch Menschen umarmen. Und bevor nicht alle Bahnhöfe barrierefrei sind, nützt Rollstuhlfahrern auch die schönste Polsterung nichts.
Aber ein bisschen Zeit ist ja noch: Das neue Muster fährt zunächst nur in zwei BVG-Doppeldecker-Bussen mit. Ab dem Spätsommer wird „Vielfalt“ nach und nach in Bussen und Bahnen zu sehen sein. Vielleicht sorgen ja die ÖPNV-Rahmenbedingungen auch irgendwann dafür, dass man wieder gern einsteigt.