Omid R. verstümmelte Ex-Freundin: „Jetzt bist du nicht mehr schön“
Prozess um grausame Tat: Vor zehn Jahren soll der Angeklagte in Berlin seine einstige Partnerin schwer verstümmelt haben. Er wollte sich für die Trennung rächen.

Sedigheh M.* hat noch immer Angst. Angst, dass ihr einstiger Lebensgefährte sie und ihre Tochter aufspüren könnte. Auch wenn sie längst nicht mehr in Deutschland lebt, sondern Tausende Kilometer von Berlin entfernt. Auch wenn dieser Mann auf der Anklagebank sitzt und ihm die in Deutschland höchstmögliche Strafe droht: lebenslange Haft und Sicherungsverwahrung. Sedigheh M., 46 Jahre alt, hat Angst davor, dass er freigesprochen werden und dann zu ihr kommen könnte. Um das, was er ihr und ihrem Kind vor fast genau zehn Jahren angetan hat, zu vollenden. Um sie zu töten.
Der Mann, vor dem sich Sedigheh M. noch immer fürchtet, heißt Omid R. Er ist 54 Jahre alt, nach eigenen Angaben IT-Techniker. Geboren ist er im Irak. Er hat einen niederländischen Pass. Seit Januar läuft gegen ihn der Prozess vor einer Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts. Omid R. soll im Jahr 2012 versucht haben, Sedigheh M. und ihre damals zehn Jahre alte Tochter Leila* in ihrer Wohnung zu ermorden. Zudem werden ihm schwere Körperverletzung und Vergewaltigung vorgeworfen.
Einer von so vielen versuchten Femiziden oder vollendeten Tötungen von Frauen, die immer wieder vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Weil der Mann nicht erträgt, dass seine Frau sich von ihm trennen will. Weil er sie als sein Eigentum betrachtet, mit dem er machen kann, was er will. Jeden Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Lebensgefährten oder Ex-Partner schwer verletzt, jeden dritten Tag enden die Misshandlungen tödlich.
Auch Omid R. konnte es offenbar nicht akzeptieren, dass Sedigheh M. nicht mehr mit ihm leben wollte. Er war rasend vor Eifersucht, wollte sie für die Trennung bestrafen, sie erniedrigen, sie „kleinmachen“, wie er es seiner einstigen Partnerin gesagt haben soll. Wenn er sie nicht haben konnte, sollte sie auch kein anderer Mann bekommen, so soll er Sedigheh M. gedroht haben.
Der Fall, der derzeit vor der 29. Großen Strafkammer verhandelt wird, ist so unfassbar grausam, dass die Details nur schwer zu ertragen sind. Selbst gestandene Polizistinnen und Polizisten bekunden, dass es für sie der schlimmste Einsatz gewesen sei, den sie je hatten. Ersthelfer, die zur Wohnung von Sedigheh M. und ihrer Tochter gerufen worden waren, mussten sich übergeben. Beamte baten ihre Kolleginnen inständig, „bitte, bitte nicht reinzukommen“. Bei anderen Rettern hat die Schutzfunktion des Gehirns funktioniert, sie haben die Bilder „vergessen“, können im Prozess nicht mehr viel sagen.
Und auch für Roland Weber, der Sedigheh M. in dem Verfahren als Anwalt vertritt, hat dieses Verbrechen an seiner Mandantin ein Alleinstellungsmerkmal. Einen Fall von solchem Sadismus und solcher Perversion habe er noch nie gehabt. „Er ist der negative Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn.“ Immerhin vertritt Weber bereits seit 25 Jahren Menschen vor Gericht, die Opfer einer schweren Straftat geworden sind, oder deren Hinterbliebene.
Omid R. trägt die Haare im Gerichtssaal zu einem Zopf gebunden. Den Kinnbart hat er geflochten und mit Perlen verziert. Mal klagt er im Verfahren über Zahnschmerzen, mal moniert er, kein Mittagessen bekommen zu haben. Er kennt seine Rechte. Auch deshalb schweigt er zu den Vorwürfen.

Vor zehn Jahren soll er in die Wohnung seiner einstigen Lebensgefährtin Sedigheh M. in der Langenscheidtstraße in Schöneberg eingedrungen sein, die Frau und ihre Tochter gefesselt, Sedigheh M. schließlich vergewaltigt und sie mit einem Messer verstümmelt haben. Ziel sei es gewesen, die Frau „ihrer Attraktivität und Weiblichkeit zu berauben“, so steht es in der Anklage. R. habe seine einstige Lebenspartnerin am Boden zerstört sehen wollen.
Er hat es nicht geschafft. Dank des unglaublichen Überlebenswillens von Sedigheh M. und der „überragenden medizinischen Hilfe“, sagt Opferanwalt Weber.
Was Omid R. seiner einstigen Partnerin angetan hat, machen die Angaben von Sedigheh M. und ihrer mittlerweile erwachsenen Tochter Leila deutlich. Die Frauen wurden Anfang Mai dieses Jahres an ihrem jetzigen Wohnort in einer Videokonferenz als Zeugen befragt, die Aussagen wurden aufgenommen und im Gerichtssaal gezeigt – um die Öffentlichkeit zu wahren und es zugleich Sedigheh M. zu ersparen, ihrem Peiniger gegenübersitzen zu müssen.
Omid R. passte die Tochter seiner Ex-Freundin ab
Sedigheh M. lebte mit ihrer Tochter erst kurze Zeit in Deutschland, als sie im Frühjahr 2012 nach eigenen Worten Omid R. über Facebook kennenlernte. Auch er war neu in Berlin. So ein netter Kerl, habe sie gedacht. Sie wurden ein Paar. Doch dann begann Omid R. damit, seine Freundin zu kontrollieren. „Er war total eifersüchtig“, sagt Sedigheh M. in ihrer Vernehmung. Selbst ihr Handy überprüfte er. Immer wieder gab es Streit. Kurz darauf beendete sie die Beziehung.
Omid R. wollte das nicht hinnehmen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war er in den Niederlanden schon zweimal wegen versuchten Totschlags und Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Und auch diesmal soll er einen teuflischen Plan geschmiedet haben.
Am Morgen des 30. Oktober 2012 wollte die zehn Jahre alte Leila zur Schule gehen. Vor der Haustür passte Omid R. das Kind ab. Sie habe ihn erst nicht erkannt wegen der Mütze und der Brille, erinnert sich Leila M. vor laufender Kamera. Er bat sie, ihn in die Wohnung zu lassen. Angeblich hatte er Papiere für Sedigheh M. dabei. Klingeln sollte das Kind nicht. „Ich habe ihm vertraut, die Tür aufgeschlossen“, sagt Leila M. im Prozess.
Was dann geschah, schildern Mutter und Tochter so: Sedigheh M. fragte Omid R. aufgebracht, was er wolle. Er reagierte sofort aggressiv, überwältigte seine Ex-Freundin und fesselte sie mit Kabelbindern. Dann band er auch der Tochter Hände und Füße zusammen. Er drohte Leila, dass er die Mutter töten werde, sollte sie schreien. Sedigheh M. sagte er, sie solle ruhig sein, sonst werde er das Mädchen umbringen. Dem Kind verklebte er den Mund. Dann trug er es ins Wohnzimmer, machte den Fernseher an, es liefen Kindersendungen. Nachdem er die Lautstärke hochgedreht hatte, schloss er hinter sich die Tür und brachte Sedigheh M. ins Schlafzimmer.
Anschließend ließ er sämtliche Jalousien herunter.
Er habe ihr Handy durchsucht, erzählt Sedigheh M. „Du hast einen neuen Freund?“, fragte er sie. Er wurde wütend, vergewaltigte sie. Omid R. stellte sie schließlich vor die Wahl. „Möchtest du, dass ich dich töte? Oder möchtest du, dass ich dich verstümmele?“ – so gibt Sedigheh M. seine Worte wieder.
Sie habe geglaubt, dass er ihr nur Angst machen wollte, sagt sie. Sie ahnte nicht, wozu er offenbar fähig war. Sedigheh M. erzählt, wie sie geknebelt wurde. Wie er zum Messer griff. „Er war ganz nackt, ich glaube, er wollte, dass kein Blut an die Kleidung kommt“, sagt die Frau als Zeugin aus. Dann habe er ihr die Brüste abgeschnitten. Sie habe keine Schmerzen verspürt, erinnert sie sich. Dann fängt sie an zu weinen. „Ich wollte nur, dass er geht. Weil ich Angst hatte, dass er meinem Kind etwas antut.“
Zehnjährige hörte die Schreie ihrer Mutter
Sedigheh M. berichtet, dass sie sich dann hinsetzen musste, damit er ihr die Nase abschneiden konnte. Zum Schluss habe er sie im Genitalbereich verstümmelt. Die abgetrennten Körperteile legte er laut Anklage vor ihr hin. „Jetzt bist du nicht mehr schön“, soll er dabei gesagt haben. Dann ging er duschen, cremte sich vor den Augen der schwer verletzten Frau ein. Vermutlich spülte Omid R. die abgeschnittenen Körperteile in der Toilette hinunter.
Trotz des laut gestellten Fernsehers bekam die Tochter von Sedigheh M. genug mit. Sie hatte Angst. „Ich hörte meine Mutter weinen, aber auch schreien“, erinnert sie sich. Sie habe befürchtet, Omid R. werde sie und ihre Mutter töten. Sie hätte eine Hand aus den Fesseln ziehen können, habe sich das aber nicht getraut. Aus Angst vor Konsequenzen. Essen oder Trinken gab es während der stundenlangen Tortur nicht. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass das Kind ohne fremde Hilfe verdurstet wäre.
Omid R. versperrte schließlich die Schlafzimmertür mit Schränken und einer Kommode. Vor die Wohnzimmertür schob er den Kühlschrank. Immer wieder rief er laut, dass er noch da sei. Die Abstände zwischen diesen bedrohlich klingenden Worte wurden größer. Irgendwann war es still in der Dreizimmerwohnung.

Omid R. glaubte beim Verlassen des Tatorts, dass Sedigheh M. sterben würde, so steht es in der Anklage. Er habe es für ausgeschlossen gehalten, dass sich die Frau selbst retten könnte. Doch sie rappelte sich von dem Bett hoch, versuchte immer wieder, mit ihren auf dem Rücken gefesselten Händen die Metall-Jalousien hochzuziehen. Sie sagt, Passanten hätten sie gesehen, die Lage aber nicht ernst genommen.
Bis ein Mann sein Fahrrad die Langenscheidtstraße entlangschob und ein leises, verzweifeltes „Hilfe, Police, Hilfe!“ vernahm. Als er aufblickte, habe er zunächst an einen Halloween-Scherz gedacht, so erzählt es der 52-Jährige im Prozess. Mit nacktem, blutigem Oberkörper habe eine Frau am Fenster der Parterrewohnung gestanden. Auch das Gesicht sei blutverschmiert, der Kopf mit Klebeband umwickelt gewesen. Sedigheh M. hatte es geschafft, die Knebelung zu lockern und mit letzter Kraft um Hilfe zu flehen. Um 17.45 Uhr wählte der Mann die Notrufnummer der Polizei.
Sedigheh M. war noch bei Bewusstsein, als sie kurz darauf gefunden wurde. „Mein Kind, mein Kind“, rief sie immer wieder. Als sie die Stimme ihrer Tochter hörte und ein Polizist ihr versicherte, das Mädchen sei gesund und unverletzt, verlor sie das Bewusstsein. Mehrere Dutzend Operationen habe sie über sich ergehen lassen müssen, sagt Opferanwalt Weber. Heute gehe es ihr den Umständen entsprechend gut.
Omid R. floh unmittelbar nach der Tat über die Türkei in den Iran. Dort wähnte er sich sicher. Doch im November 2012 wurde er festgenommen und im Iran auch für die Tat in Berlin zu einer mehrjährigen Haftstrafe und Peitschenhieben verurteilt. Nach rund sechseinhalb Jahren Gefängnis wurde er im Rahmen einer Generalamnestie begnadigt und unter Auflagen freigelassen. Kurz darauf floh er in die Niederlande, wo er wegen eines internationalen Haftbefehls festgenommen und im Juli vorigen Jahres an Deutschland ausgeliefert wurde.
Ein Doppelbestrafungsverbot liegt bei Omid R. offenbar nicht vor, weil eine Strafverfolgung im Ausland nicht vor einer Strafe hierzulande schützt. Roland Weber sagt, dass die Kammer allerdings befinden müsse, ob die im Iran verbüßte Haft angerechnet werden müsse.
Sedigheh M. und ihre Tochter kehrten nach der Tat nie wieder in ihre Wohnung zurück. Mehrfach zogen sie um. Im Sommer vorigen Jahres erfuhren sie, dass Omid R. seit einem Jahr nicht mehr in einem iranischen Gefängnis seine Strafe absitzt. Sie habe sich kaum noch auf ihre Abiturprüfungen konzentrieren können, sagt Leila. Dann hätten sie Deutschland verlassen. Sie selbst fühle sich in der neuen Heimat isoliert, sie habe dort keine Freunde, dürfe nicht arbeiten. Ihre Mutter habe eine Art Schutzschild um sich herum aufgebaut. „Man merkt aber, dass es ihr nicht gut geht. Die Tat ist noch sehr präsent in ihrem Leben.“
Sedigheh M. und ihre Tochter Leila waren in den Jahren nach der Tat nicht auf Social-Media-Plattformen zu finden. Aus Angst, von Omid R. aufgespürt werden zu können. Vielleicht gibt ihnen der Prozess, der Anfang September enden soll, ein wenig Sicherheit zurück. Zumindest die Tochter hat einen ersten Schritt gewagt: Im Mai dieses Jahres durfte sich Leila M. erstmals einen Instagram-Account zulegen. Nur Freunde haben darauf Zugriff.
* Namen geändert.