Ordnung in der Tasche gegen das Chaos im Leben
Beobachtungen und Zufallsbegegnungen beim Streifzug durch die Stadt.

Neuerdings denke ich oft an einen Mann. An einen fremden Mann. Wir saßen einander schräg gegenüber in der S-Bahn, zwischen uns der Mittelgang. Er fiel mir auf, weil er sehr groß und dünn war und eine ziegelrote Lederjacke trug. Die Beine steckten in riesigen weißen Gummistiefeln mit so breiten Schäften, dass beide Beine in einen Stiefel gepasst hätten. Zwischen ihnen stand ein gelber Beutel, der etwas von einer Tonne hatte.
Nach und nach holte der Mann verschiedene Gegenstände heraus. Einen Knirps-Schirm. Ein kleines Handtuch. Papierservietten. Eine Fliegenklatsche. Eine Packung Käse. Zwei eingeschweißte Masken. Eine Mütze. Er legte die Sachen neben sich auf den Sitz und immer wieder die großen Hände auf seine Knie. In den Momenten des Innehaltens wirkte er sehr konzentriert, aber auch ein wenig so, als müsste er sich an sich selbst festhalten. Oder seine spitzen Knie vom Zittern abhalten. Manchmal schaute er auch nur in den Beutel, ohne etwas herauszuholen.
Dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er begann seine Habseligkeiten wieder einzupacken. Behutsam nahm er Stück für Stück in die Hand, betrachtete die jeweilige Sache kurz oder auch etwas länger und steckte sie anschließend tief in die Ledertonne. Dabei rollte er alles, was sich rollen ließ, fest zusammen. Das Handtuch. Die Packung Servietten. Die Masken. Die Mütze. Und den Knirps noch einmal neu. All diese Dinge rollte der Mann mit entschlossenen Bewegungen zu Würsten und verstaute sie. Dafür musste er sich jedes Mal tief in den Sack beugen.
Ich fühlte mich ihm sehr nah, obwohl ich ein Heim habe und er vermutlich nicht. Nach gerade getätigten Einkäufen sahen die Sachen nicht aus. Eher nach einzigem Besitz. Da schafft jemand Ordnung in einer unordentlich gewordenen Welt, dachte ich. Dachte an das Kind, das schon länger immerzu aufräumen will. Das vor kurzem zu Schwamm und Badreiniger griff, weil ihm das Waschbecken zu schmutzig war. Dachte an meine Bücherstapel zu Hause, die ich gerade gerne gerade habe. So setzen wir auf unterschiedliche Weise dem Dauerbeben Stabilität entgegen, auch wenn es nur im kleinen Rahmen eines Gepäckstückes oder eines Zimmers ist.
Ob der große dünne Mann mit der ziegelroten Jacke den Sack am Ende zugeschnürt hat, weiß ich nicht, weil ich aussteigen musste. Als ich mich erhob, lagen seine Hände wieder auf den Knien und verströmten die feierliche Ruhe eines endlich vollbrachten Werkes.