Ordnungsamt-App: Mein neuster Versuch, den Müll in Berlin zu bekämpfen

Anders als Mallorca hat Berlin nicht vor, den Sauftourismus loszuwerden, die Straßen sind verdreckt. Aber es gibt eine App, die Hilfe verspricht. Ein Versuch.

Berliner Müll, ausnahmsweise ansehlich präsentiert
Berliner Müll, ausnahmsweise ansehlich präsentiertBerliner Zeitung/Markus Wächter

Der ältere Herr trug trotz der Hitze einen Anzug, dunkelgrau, ein helles Hemd und sogar eine Krawatte. Er steuerte am May-Ayim-Ufer auf mich zu. So heißt die kleine Straße, die kurz vor der Oberbaumbrücke an der Spree entlangläuft, auf Kreuzberger Seite. Ich war auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier und ebenfalls vollständig und sogar ein wenig festlich angezogen. Das macht hier sonst niemand. Ich wohne seit fast zwanzig Jahren um die Ecke und habe in der gesamten Zeit keine zehn Männer mit Krawatte auf der Straße gesehen.

Die Straße war von Müll übersät. So wie an jedem Wochenende. Auf dem Gehweg lagen Weinflaschen, Sektflaschen, Hamburger-Kartons, Pizza-Kartons, Scherben. Vom ebenso verdreckten Grünstreifen am Ufer stieg Uringeruch auf. Auf der kleinen Terrasse in der Mitte der Straße, von der aus man einen schönen Blick auf die Spree hat, wenn man es über sich bringt, sie zu betreten, standen Weingläser, außerdem hatte sich dort jemand übergeben. Ein Stück weiter unten am Ufer rollte ein Bürostuhl leicht hin und her, dem jemand seine schwarze Stoffhaut abgezogen hatte.

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Der Herr fragte mich: Wollen Sie auch zur Gedenkveranstaltung? Es war der 13. August. Am Ufer gibt es einen Gedenkstein, zwischen dem Erbrochenen und dem Bürostuhl etwa, dort lag ein einsamer Kranz für die Toten der Berliner Mauer. Ein Bild, das die Vergangenheit und Gegenwart dieses Teils der Stadt ganz gut zusammenfasst, dachte ich. Von der Hölle der geteilten Stadt zum Ballermann, den man mit S- und U-Bahn erreichen kann. Anders als auf Mallorca hat in Kreuzberg allerdings niemand vor, den Sauftourismus loszuwerden.

Ich wollte nicht zur Gedenkveranstaltung, versuchte aber mit dem Herrn, sie zu finden. Es gelang uns nicht. Er sah mich traurig an, vielleicht auch, weil ich hier wohne. Ich dachte an die beiden Typen, die eine Woche zuvor an einem Freitagabend auf den Stufen vor meiner Haustür gesessen und sich in einem Löffel eine Substanz aufgekocht hatten. Musst du hier rein, fragte einer von ihnen. Ein höflicher Junkie. Der Löffel lag dann tagelang vor der Tür.

Bin ich ein konservativer Spießer, weil ich Müll nicht mag?

Manchmal frage ich mich, ob ich eine Bürgerinitiative gründen und den Müll einsammeln sollte, so wie das andere Berliner aus Verzweiflung machen. Aber wahrscheinlich bekomme ich noch schlechtere Laune, wenn dann am Morgen wieder alles verdreckt ist. Außerdem haben mich in den sozialen Netzen schon Leute als konservativen Spießer beschimpft, nur weil ich über den Müll geschrieben habe, was soll erst werden, wenn ich ihn bekämpfe.

Ich habe einen anderen Weg entdeckt, meine reaktionäre Ader auszuleben. Die Ordnungsamtsapp der Stadt Berlin. Die gibt es wirklich. Am Montagnachmittag fotografierte ich die Grünanlage, die am Ende der Warschauer Straße liegt, vor der breiten Mühlenstraße, gegenüber beginnt die East Side Gallery. Der vertrocknete Rasen war mit einer Schicht aus Plastikbechern und dem Rest des üblichen Partymülls bedeckt, ein Mülleimer großflächig übergequollen. Ich lud Fotos in die App, erhielt eine Nummer und sah mir die „Top-5-Kategorien“ der Meldungen an.

Müll führte mit weitem Abstand vor Vergehen aus dem Bereich „Verkehr-, Park- und Halteverstöße“. Die melden die echten Spießer, dachte ich. Im August sind bis Mittwoch 14.279 Hinweise eingegangen, mehr als 2000 davon aus dem Bezirk Mitte, in der Statistik folgen Tempelhof-Schöneberg, Neukölln, Pankow, Reinickendorf.

Mein Bezirk, Friedrichshain-Kreuzberg, liegt eher hinten. Aber ich habe die App ja noch nicht lange. Am Mittwochnachmittag teilte mir sie mir tatsächlich mit, dass mein erstes Anliegen erledigt sei.