Orkan in Hennigsdorf: Trotz Xaver: Zugbegleiter wirft Mutter mit Baby raus

Neuruppin - Es war kalt. Minus zwei Grad zeigte das Thermometer am vergangenen Freitagnachmittag an. Das Orkantief Xaver fegte über Berlin und Brandenburg. Mit Spitzengeschwindigkeiten von über 100 Kilometern pro Stunde. Doch all das konnte einen Zugbegleiter nicht davon abbringen, eine Mutter und ihren 18 Monate alten Sohn in Hennigsdorf (Oberhavel) aus dem Prignitz-Express zu werfen. Selbst die Bundespolizei, die gerufen worden war, konnte den Mann nicht von seinem Vorhaben abbringen – der Bahnmitarbeiter berief sich auf sein Hausrecht.

Am vergangenen Freitag war eine 26 Jahre alte Frau aus Berlin mit ihrem Baby im Regionalexpress von Berlin-Spandau nach Neuruppin unterwegs. Der Zug war voll. Schon an der ersten Station soll der Zugbegleiter die Frau angesprochen und darauf hingewiesen haben, dass der Kinderwagen im Weg stehe. Er verlangte von der jungen Mutter, den Wagen an den dafür vorgesehenen Platz zu stellen. Doch der Platz soll schon besetzt gewesen sein. Am Bahnhof Hennigsdorf eskalierte die Situation. Der Schaffner forderte die Frau schließlich auf, den Zug zu verlassen. Gegen 15.15 Uhr rief er die Bundespolizei.

Die Behörde bestätigte am Dienstag den Fall. „Der Zugbegleiter hat sich nach Angaben von Zeugen nicht erweichen lassen und darauf bestanden, dass die junge Frau den Zug verlässt“, sagte Meik Gauer, Sprecher der Bundespolizeidirektion Berlin. Die Frau sei daraufhin unter Tränen freiwillig aus dem Zug gestiegen. Die Beamten hätten versucht, sie auf dem Bahnsteig zu beruhigen. Es sei auch erwogen worden, sie und ihr Kind mit dem Dienstwagen nach Neuruppin zu fahren. Nur habe man keinen Kindersitz dabei gehabt.

Auch die Bahn bestätigte den Vorfall, stellte sich aber hinter ihren Mitarbeiter. „Wir sind mit dem Kollegen und der Kindesmutter im Gespräch“, sagte ein Bahnsprecher. Nach seinen Angaben stand der Kinderwagen im Durchgang des Gelenktriebwagens, wo er nicht stehen dürfe. Der Zugbegleiter habe die Frau daraufhin mehrfach aufgefordert, für den Kinderwagen das Mehrzweckabteil zu nutzen. Dort sei auch noch Platz gewesen.

„Der Zugbegleiter ist nun einmal für die Sicherheit im Zug verantwortlich. Das ist sein Job“, sagte der Bahnsprecher. Außerdem habe der Zugbegleiter angeboten, der Frau beim Wechsel in das Mehrzweckabteil zu helfen. Dies habe sie aber abgelehnt. Ob die Verhältnismäßigkeit trotzdem gewahrt worden sei, dazu wollte sich der Bahnsprecher nicht äußern. Er verwies nur darauf, dass solche Vorfälle nur sehr selten vorkämen. „Wir fahren jeden Tag 4100 Züge im Fern- und Regionalverkehr in Berlin und Brandenburg.“

„Das war hartherzig“

Für den Fahrgastverband Pro Bahn hat der Zugbegleiter mit dem Rauswurf von Mutter und Kind während des Orkans „Xaver“ dagegen ganz eindeutig eine Grenze überschritten. „Das war hartherzig“, sagte der stellvertretende Fahrgastverbandschef Karl-Heinz Kossack der Berliner Zeitung. „Selbst wenn der Zugbegleiter in dem Falle recht gehabt haben sollte, so hat er doch auch menschlich zu sein.“ Es zeige sich einmal wieder, dass die Zugbegleiter für derartige Fälle nicht geschult seien. Auch die Zeugen hatten versucht, den Bahnmitarbeiter vom Rauswurf der Frau abzuhalten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Bahn wegen derartiger Vorfälle in die Schlagzeilen gerät. Erst im Juni war ein Zwölfjähriger allein auf einem Bahnsteig zurückgelassen worden. Der Junge hatte bei der Kontrolle im Zug zwar eine Fahrkarte, aber keinen Schülerausweis dabei.

Für Aufsehen sorgte auch der Fall einer 16-Jährigen, die bei minus 19 Grad von einer Bahnmitarbeiterin aus dem Zug nach Cottbus geworfen wurde. Das Mädchen hatte die falsche Fahrkarte gelöst. Zugbegleiter sollen bereits 2008 eine dienstliche Anweisung per SMS erhalten haben, wonach Minderjährige in keinem Fall des Zuges verwiesen werden dürfen. Die 26 Jahre alte Mutter und ihr 18 Monate alter Sohn mussten am Freitag im Sturm 45 Minuten auf dem Bahnhof Hennigsdorf ausharren. Sie fuhren mit dem nächsten Zug weiter.