Pankow: 50 Minuten Schulweg wegen Platzmangel
Berlin - Ahmed Elkhatib hat die Tücken des Berliner Schulsystems womöglich unterschätzt. Der promovierte Chemiker wollte seinen Sohn Mostafa gerne an einem Gymnasium in Prenzlauer Berg anmelden. Denn dort, unweit des Thälmann-Parks, wohnt die Familie nun mal. Alles schien zu stimmen. Der Junge hatte gute Noten und von der Grundschule am Planetarium eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten. Doch am Ende klappte es nicht an den drei Wunschschulen, die Familie Elkhatib auf einem Bogen angegeben hatte.
Stattdessen bekam der elfjährige Mostafa einen Platz am Sartre-Gymnasium in Hellersdorf zugewiesen. Zum Entsetzen der Eltern. „Das sind 50 Minuten Schulweg, wenn alles gut geht“, sagt der Vater. Erst mit der S-Bahn und dann sind es ungefähr noch 20 Stationen mit der Straßenbahn. „Unser Sohn bewegte sich bisher ausschließlich in seinem Wohngebiet“, sagt Ahmed Elkhatib und hat Widerspruch gegen die Entscheidung des Schulamtes Pankow eingelegt.
Kein Platz für so viele Schüler
Und er ist nicht allein. Im Bezirk Pankow reichen die Plätze an den Gymnasien und Sekundarschulen einfach nicht mehr aus für die vielen Schüler. Mehr als 50 künftigen Siebtklässlern hat das Schulamt in diesem Jahr deshalb einen Platz in einem anderen Bezirk zuweisen müssen, berichtet die zuständige Stadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD). Allein 18 dieser Schüler sollen nun an eine Schule in Marzahn-Hellersdorf gehen, 13 nach Reinickendorf.
Auch Mostafas Mitschülerin Helene kam an allen drei gewünschten Sekundarschulen in Pankow nicht zum Zuge. Denn selbst bisher nicht ausgelastete Schulen wie die Reinhold-Burger-Sekundarschule in Pankow hatten in diesem Jahr mehr Anmeldungen als Plätze, das neue Gymnasium am Europasportpark war ebenfalls gleich ausgebucht. Und die Schülerzahlen in Pankow und anderen Bezirken wie Lichtenberg oder Treptow-Köpenick steigen weiter stark an. Auch in den Grundschulen wird es eng. Schnell müssen vielerorts neue Gebäude entstehen.
Andere Stadtbezirke sind Neuland für Mostafa
„Es ist schade, dass ich nicht mit Freunden an eine Schule gehen kann“, sagt Mostafa. Er wirkt schüchtern und ein wenig niedergeschlagen, spricht sehr leise. Seit der zweiten Klasse geht er in Berlin zur Schule. Die Familie stammt aus Ägypten, sein Vater ist schon etwas länger hier, hat an der Humboldt-Universität promoviert und arbeitet nun als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Adlershof.
Lediglich bei Klassenausflügen oder in Begleitung der Eltern habe sein Sohn sich bisher über die Grenzen des Stadtbezirkes hinausgewagt, erzählt der Vater. „Wir sind Ausländer, vielleicht erklärt das ein wenig seine Introvertiertheit und Scheu vor Unbekanntem.“ Außerdem kümmert sich Mostafa nachmittags um seine jüngere Schwester, da beide Eltern berufstätig sind.
Der Junge hat eine Eins in Mathe und in Englisch, dennoch zweifelt er nach der Absage nun an seinen Fähigkeiten. Seine Erstwunschschule war das Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Hier musste er noch einen zusätzlichen Aufnahmetest machen. 50 Prozent zählt der Grundschulnotenschnitt, 50 Prozent der Aufnahmetest. Das hat ihn sehr beunruhigt. „Es kann doch nicht sein, dass dieser Test so viel Gewicht hat wie fast zwei Jahre Mühe und Arbeit in der Grundschule“, sagt der Vater. Er habe bisher nur einmal im Leben so viel Stress gehabt wie sein Sohn. „Das war bei der Verteidigung meiner Doktorarbeit.“
Verloren im Schulsystem
Was die Familie überhaupt nicht versteht, ist, dass andere Schüler ohne Gymnasialempfehlung einfach Losglück haben. Denn 30 Prozent der Plätze an begehrten Gymnasien und Sekundarschulen werden bekanntlich verlost, um für mehr Mischung in der Schülerschaft zu sorgen. Solcherlei Experimente irritieren den aus Kairo stammenden Chemiker dann doch. „Wozu dann eigentlich Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft fordern?“, fragt Ahmed Elkhatib sich. Verloren wirkt er im Berliner Schulsystem. Noch hofft er, dass sich für seinen Sohn eine andere Lösung finden lässt – und Mostafa der lange Schulweg erspart bleibt.