Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin: Wie kann man in Zeiten des Terrors noch glauben?
Berlin - Am Tag, als die Osterkerze in der Gedächtniskirche ankommt, wird erst einmal eine andere Kerze angezündet. Eine schlichte weiße. Sie steht links vor dem Altar, ein einzelnes Licht im tiefblauen Kirchenraum, das an die Opfer des Terroranschlags in Ägypten erinnert. 45 Tote, 120 Verletzte, alle Kopten, die christliche Minderheit des Landes.
Ein islamistisches Massaker am Palmsonntag, ein Angriff auf das Herz des Christentums. Martin Germer hat abends von dem Anschlag gehört, er hat für seine Glaubensbrüder gebetet, eine Mitarbeiterin hat die Kerze angezündet.
Das übliche Ritual, muss man leider sagen. Gerade noch stand an der Stelle, wo jetzt die Kerze für die koptischen Christen brennt, die Kerze, die an die Opfer des Lkw-Anschlags in Stockholm erinnerte. Und die ersetzte die Kerze in Gedenken an die U-Bahn-Attacke von St. Petersburg. Drei Terrorangriffe in einer Woche, drei Kerzen in einer Woche.
Wann wird Trauer würdelos?
Martin Germer verschränkt die Hände vor seiner Brust. Er ist der Pfarrer der Kirche, ein 60-jähriger Mann im offenen Jackett und Rucksack auf dem Rücken, der eher aussieht wie einer der Touristen, die an diesem Morgen in die Kirche kommen und jetzt vor der Kerze am Altar stehenbleiben.
Niemand erkennt ihn, niemand weiß, welche Gedanken er sich macht, über die Opfer der Anschläge natürlich, aber auch darüber, wie man der Opfer gedenkt. Stellt man jedes Mal wieder eine neue Kerze auf, wenn ein Anschlag passiert? Und was macht man mit den anderen Kerzen, die der Opfer des letzten Anschlags gedenken? Lässt man sie stehen? Nimmt man sie weg? Wie viele Terrorgedenkkerzen sind angemessen? Wann wird Trauer würdelos?
Germer ist Pfarrer, aber in dieser Hinsicht beschäftigt er sich mit den gleichen Fragen wie die Politiker, die darüber nachdenken, ob man das Brandenburger Tor nach einem Terroranschlag in den Farben des betroffenen Landes erstrahlen lassen sollte. Die Stockholm-Kerze hätte eigentlich noch stehen bleiben können, sagt Martin Germer.