Mit Badekappe statt oben ohne: Wie sexistisch ist unser Nachbarland?
Während hierzulande die Freiheit weiblicher Nippel in Schwimmbädern gefeiert wird, erscheint im Nachbarland Polen diese Debatte geradezu absurd. Ein Kommentar aus Warschau.

In polnischen Bädern schwimmen Besucher „oben mit“. Frauen müssen selbstverständlich ein Bikinioberteil anziehen. Die Frage, ob man die Brust verdecken soll oder nicht, stellt sich hier gar nicht. Die Freizeitschwimmer tragen zudem oftmals obligatorisch eine Badekappe. Also eine ovale Plastikmütze, die in Deutschland nur Profischwimmer oder Seniorinnen tragen, um ihre Dauerwelle vor dem Chlor zu schützen. Kurzum: ein zwickendes, hässliches Überflüssigkum.
Vermutlich bestehen polnische Schwimmbäder auf Badekappen aus hygienischen Gründen. Warum aber Männer in vielen Schwimmbädern zwingend eng anliegende Badehosen tragen müssen – Badeshorts sind nicht erlaubt –, bleibt schleierhaft. Sollen männliche Besucher etwa die Abdrücke ihrer Penisse miteinander vergleichen können? Man weiß es nicht.
Aktivistin in Polen wegen Abtreibungsbeihilfe zu Zivildienst verurteilt
In Deutschland derweil ist eine Debatte neu entflammt. Nach einem Sommer 2022, in dem es ums Oben-ohne-Planschen ging, hat sich jetzt eine Aktivistin erfolgreich für das Oben-ohne-Baden in Berliner Schwimmhallen eingesetzt. Lotte Mies erhielt für ihr mutiges Vorgehen allerdings bislang keinen Preis, sondern eine Morddrohung.
Man mag sich kaum ausmalen, was im erzkonservativen Polen vor sich ginge, wenn eine Frau in einem öffentlichen Schwimmbad ohne Oberteil baden ginge. Zumal in unserem Nachbarland das Recht am eigenen Körper jüngst nach einem Gerichtsurteil wieder mit Füßen getreten wurde.
Auch hier war eine Aktivistin am Werk. Ein Gericht verurteilte Justyna Wydrzyńska zu acht Monaten Freiheitsbeschränkung in Form von 30 Stunden Zivildienst pro Monat, weil sie für schuldig befunden wurde, bei einer Abtreibung geholfen zu haben. Das Absurdeste daran: Die Abtreibung durch Tabletten hat offenbar nie stattgefunden.
Ungleiche Behandlung von Mann und Frau in Schwimmbädern?
Wydrzyńska half einer Frau, die Opfer von Gewalt in ihrer Ehe wurde. Die junge Frau wollte ihre Schwangerschaft abbrechen, hatte aber niemanden, bei dem sie ihr dreijähriges Kind für die dazu notwendige Auslandsreise zurücklassen konnte. In ihrer Not wandte sie sich an Wydrzyńska, die ihr die Tabletten gab, die sie für alle Fälle vorrätig hatte. Polnische Medien berichten, dass der Ehemann der schwangeren Frau von der Situation erfuhr. Die Frau erlitt aufgrund von Stress eine Fehlgeburt, heißt es. Wydrzyńska wurde also für Beihilfe zur Abtreibung verurteilt, ohne bei einer Abtreibung geholfen zu haben. Man könnte dementsprechend auch gleich den Gedanken an Abtreibung unter Strafe stellen.
Wenn im Nachbarland solche Dinge vor sich gehen, mutet es seltsam an, dass in Deutschland über Bikinioberteile debattiert wird. Was in Berlin als sexistisch gilt – nämlich die ungleiche Behandlung von Mann und Frau in Schwimmbädern –, findet ein paar Hundert Kilometer weiter im Nachbarland null Komma null Gehör. In Polen müssen Frauen noch ganz andere Kämpfe ausfechten.
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