Preußische Stadterweiterung: Der Bau der Friedrichstadt prägt Berlin bis heute
Ihr Volk musste her! Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, war nun schon der dritte Herrscher in Berlin, der am Ausbau seiner Haupt- und Residenzstadt arbeitete. Mit der Zahl der Leute würde der Wohlstand wachsen, davon waren die Preußenherrscher seit dem Großen Kurfürsten überzeugt – zumal nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Der strenge Soldatenkönig legte von 1721 an einen Turbogang ein; 1732 begann ein zweiter Erweiterungsschub.
Das Ergebnis dieses zentralen Bau- und Konjunkturprogrammes, basierend auf einem am grünen Tisch erstellten Generalplan, steht bis heute der Stadt ins Gesicht geschrieben. Drei große Plätze legten die Architekten des Königs als markante Punkte für die Neubaugebiete an, und jeder bekam im Geschmack des Barock eine andere geometrische Form: das Viereck „Carrée“ (heute Pariser Platz), als Abschluss der Straße Unter den Linden, endend am Brandenburger Tor; das „Oktogon“ (Achteck, heute Leipziger Platz) vor dem Potsdamer Tore; schließlich der Kreis, das „Rondell“. Auf diesen besonders auffälligen runden Platz laufen drei Straßen zu (siehe Infobox). Der Rundbau am heutigen Mehringplatz versucht gequält ein historisches Zitat. Gen Süden öffnet sich der Platz zum Halleschen Tor hin, der Ausfallstraße zum seinerzeit preußischen Halle (Saale).
Zollmauer statt Bollwerke
Die zentrale Friedrichstraße durchzog die neue, in Rastern angelegte Friedrichstadt, gelegen westlich der Bollwerke, die 1734 schließlich abgerissen wurden. Die Straße durchmaß auch die ältere Dorotheenstadt und endete erst am Oranienburger Tor – am anderen Ende der Stadt. Deren deutlich erweiterte Grenzen setzte seit den 1730er-Jahren die neue Akzisemauer mit 14 Toren auf 14,5 Kilometern. Sie diente der Kontrolle von Ein- und Ausfuhren, der Einnahme von Zoll und sollte die Soldaten aus der Stadt am Desertieren hindern.
Rondell und abgehende Straßen zeigen die Intentionen des Königs – sie stellen eine „versteinerten Kabinetts-Ordre“ dar: Erstens lange Straßen, durch die seine Soldaten glatt durchmarschieren konnten, sowie Plätze zum Exerzieren. Zweitens viele schnell und günstig zu bauende Standardhäuser, zweigeschossig mit Mansarde für die Einquartierung von Soldaten. Unten sollten tüchtige Neubürger einziehen. Als der Plan entstand, gab es dieses Stadtvolk noch nicht. Das Hausangebot sollte sie anlocken. Hinter den Häuserzeilen blieb es vorerst ländlich: Da wuchs Gemüse, lief Nutzgetier umher. Um 1720 lebten in der Ackerbürgerstadt Berlin 57.000 Menschen, über tausend Rinder, fünftausend Schafe und sechshundert Schweine.
Die in der südlichen Friedrichstadt auf sumpfigem Grund siedelnden Hugenotten bekamen gratis Boden, Steine und Holz, waren von Abgaben und Einquartierung befreit. Auch andere Bauwillige für die Friedrichstraße durften Vergünstigungen erwarten. Die Verwaltung vergab Lizenzen für Destillen, Brauereien, Gastwirtschaften. In den rückwärtigen Gärten der Friedrichstraße saßen die Berliner unter Bäumen beim Biere.
Böhmische Wallachei
Peter Schwirkmann, Kurator der Ausstellung Schloss.Stadt.Berlin., in der das Gemälde, die Karte und zahlreiche andere Bilder aus dieser zentralen Zeit der Stadterweiterung zu sehen sind, sieht „unglaublichen Pragmatismus“ am Werk. Mehr Köpfe, mehr Einnahmen – daran richtete sich alles aus. Grundstücksschenkungen erfolgten mit einer einzigen Auflage: Alsbald zu bauen. Zuschüsse berechneten sich nach der Breite des Gebäudes, so dass niemand auf die Idee kam, Giebel nach der Straßenseite zu richten.
In die Lindenstraße, zunächst protestantischen Flüchtlingen aus Böhmen zugedacht, zogen auch ehemalige Bauern und liberale Juden. Böhmen siedelten zudem in der Wilhelmstraße am Halleschen Tor – hier stand die „Böhmische Wallachei“. Dass der König das erste Verwaltungshaus Berlins (Collegienhaus, heute Jüdisches Museum) im abgelegenen Abschnitt der Lindenstraße bauen ließ, war auch Kalkül: Beamte sollten dorthin ziehen.
Für den Zentralteil der Wilhelmstraße wünschte der König Pracht: Reiche sollten Stadtpalais errichten. Ein Klein-Paris! Wer nicht wollte, tat es unter Zwang. So konnte ein Baron seine Tochter von einer vom König erwünschten Hochzeit durch den Bau eines Palais „freikaufen“.
Bleibt die Frage: Warum erhielten die drei Plätze gerade diese Formen? Rund und viereckig kann als klassisch-üblich durchgehen. Doch das Oktogon dazwischen? Keiner weiß es. Der Stadthistoriker Laurents Demps wagt immerhin eine Vermutung: Da habe man wohl die Quadratur des Kreises versucht…
Schloss.Stadt.Berlin. Ausstellung im Ephraim-Palais. Bis 23. April.