Baugruppe statt Wohnungssuche: „Ich habe ein Minihaus in Berlin gekauft“

Nina G. arbeitet in der Baubranche. Weil sie keine Wohnung fand, hat sie gekauft. Und das ohne großes Einkommen. Berlin und die Wohnungsnot – unsere Serie.

Nina G. arbeitet bei einem Bauplanungsunternehmen in Berlin. Weil sie selbst keine Wohnung fand, hat sie ein winziges Haus in Berlin-Köpenick gekauft.
Nina G. arbeitet bei einem Bauplanungsunternehmen in Berlin. Weil sie selbst keine Wohnung fand, hat sie ein winziges Haus in Berlin-Köpenick gekauft.Sebastian Wells/Ostkreuz

Wenn über die Wohnungskrise in Berlin gesprochen wird, sind sich zumindest bei einem Punkt alle schnell einig: In der Stadt wird einfach zu wenig gebaut! Mehr neue Wohnungen müssen her, fordern von Mieterverein bis FDP alle, die mitreden.

Nina G.* steuert Bauvorhaben für private und öffentliche Bauherren und beurteilt deren Risiken für die Banken. Aktuell arbeitet sie an mehreren Projekten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Rings, darunter an einem Gewerbehaus, einem Kulturhaus und einer Seniorenresidenz. Sie arbeitet in einem Ingenieurbüro und ist damit Teil der Berliner Baubranche, auf die alle schimpfen. Außerdem ist sie eine alleinerziehende Mutter, die für sich und ihre jüngste Tochter selbst keine größere Wohnung in dieser Stadt findet.

Bevor sie erzählt, wie sie ihr privates Wohnungsproblem gelöst hat, kommt sie auf ihre Branche zu sprechen. Warum wird in Berlin nicht schneller gebaut, was sind die Probleme der Projekte? „Es sind die Baukosten, die nicht erst jetzt wegen der Inflation steigen“, sagt die 44-Jährige. „Schon vor der Corona-Krise hatten wir jährlich eine stetige Preissteigerung von circa sechs Prozent. Seit Beginn der Pandemie hat sich diese jedoch drastisch erhöht.“

Uroš Pajović/Berliner Zeitung

„Viele Bauherren fragen sich: Wollen wir überhaupt noch bauen?“

Schuld seien vor allem pandemiebedingte Engpässe bei Rohstoffen und Fertigteilen und hohe Energiekosten. „Zu Beginn der Pandemie hatten wir noch Kreditverträge mit einem Zins von knapp zwei Prozent, und mittlerweile liegen wir schon bei vier Prozent“, sagt Nina G. weiter. Nach ihrer Einschätzung liegt der Anstieg allerdings nicht alleine am Ukraine-Krieg, sondern stellt eine allgemeine Entwicklung dar. „Die Unsicherheit ist ein großes Risiko, und die Risiken im Bau sind beim gesamten Preisdruck enorm gestiegen“, sagt sie. „Viele private Bauherren fragen sich: Wollen wir überhaupt noch bauen?“

Und das ist nicht alles. Zu den hohen Preisen komme noch der Fachkräftemangel in den ausführenden Unternehmen, sagt sie. Stichwort Handwerker. „Es war noch nie so schwierig, gute Handwerker zu finden: Elektriker, Tischler, Maurer – die Deutschen wollen diese Jobs meist nicht mehr machen.“

Ist die schlechte Entlohnung dafür verantwortlich? Nina G. kontert: „Das liegt eher am schlechten Image des Berufs. Wenn der Mann in den 1980er-Jahren in der Werbung noch mit einem Handwerker-Titel und Arbeitsklamotten nach Hause kam, kommt der Papa seit den 1990ern immer mit einer Aktentasche nach Hause. Jeder möchte studieren. Die Leute, die aktuell auf dem Bau arbeiten, sprechen kaum noch Deutsch, sondern kommen oft aus Rumänien, Moldawien und Ex-Jugoslawien. Das ist nicht schlimm, sie leisten gute Arbeit.“

Fakt sei aber: Gute Handwerker sind Mangelware und werden „sehr gut bezahlt“, sagt Nina. „Sie verlangen gerade in der Inflation 20, 30 Prozent mehr Geld und kriegen es auch. Die ausführenden Handwerksunternehmen können sich vor den Aufträgen kaum retten und suchen sich die Aufträge und die Preise teilweise selbst aus.“

Nina G. im Büro.
Nina G. im Büro.Sebastian Wells/Ostkreuz

„Bürokratie verhindert, dass mehr gebaut wird“

Die Wohnungsnot in Berlin war seit Jahrzehnten nicht so dramatisch wie heute. Und trotzdem hält Nina G. nicht viel von dem Vorwurf, dass Berlin zu wenig baue. „Berlin baut so, wie es kann. Berlin kann nicht mehr bauen, weil kaum Personal da ist.“ Und das betrifft nicht nur die Handwerker. Es fehle auch an fähigen Leuten in Planungsbüros der Bauunternehmen. „Es mangelt an Architekten, Fachplanern, Bauingenieuren, Brandschutzbeauftragten. Die Firmen haben Personalengpässe und kommen nicht mehr hinterher mit der Arbeit, weil sie keine guten und Deutsch sprechenden Mitarbeiter finden.“

Bei dem Wachstumstempo Berlins werden die Bauprozesse noch unnötig verkompliziert. „Heutzutage einen Bauantrag stellen ist schwieriger als vor zehn Jahren“, erzählt Nina G. weiter. Es werden immer mehr Formulare benötigt, die man ausfüllen muss. Das Energieeinspargesetz und viele andere müssen zwar zu Recht beachtet werden. Und trotzdem reißt einem mal der Geduldsfaden.

„Warum werden so viele komplexe Vorschriften erstellt, die man oft nicht hält?“, sagt Nina G. „Aktuell muss man zum Beispiel noch schriftlich zusichern, dass man keine russischen Subunternehmer beschäftigt, wenn man für den Staat baut. Und die Geschäftsführer dürfen keinen russischen Pass haben, egal, wie sie zum Krieg stehen.“

Ein Brief der Wohnungsbaugesellschaft Howoge, die diese Zusicherung einfordert, im Mai verschickt, landete in der Redaktion der Berliner Zeitung. „Eigenerklärung zur Einhaltung restriktiver Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage der Ukraine destabilisieren“, heißt das Formular, das nun von Bauherren zwingend ausgefüllt werden muss.

Zeit ist Geld – diese Ressource wird in der Bürokratie als Erstes verschwendet. Als die Corona-Krise angefangen habe, schildert Nina G. die Lage, hätten die Bauämter pauschal gesagt, die Bearbeitungszeit von Bauanträgen verdoppele sich jetzt, etwa von sechs Monaten auf zwölf Monate. „Die Bürokratie verhindert, dass mehr gebaut wird. Diese Bürokratie, begleitet von Effizienzproblemen und Personalengpässen, wenn die Mitarbeiter krank sind und es keine Vertretung gibt und die Anfragen deswegen nicht bearbeitet werden, führt dazu, dass viele schöne Bauprojekte lahm liegen.“ Die Politik sei an dieser Stelle gefragt, die Kommunikation zwischen den Bauämtern und den Bauunternehmen müsse beschleunigt werden.

Der Walter-Benjamin-Platz
Der Walter-Benjamin-PlatzSebastian Wells/Ostkreuz

Eine größere Wohnung fand Nina G. selbst nicht

Nina G. wohnt mit ihrer Tochter, die zehn Jahre alt ist, zurzeit in einem Ein-Zimmer-Apartment in Karlshorst. Etwas Größeres, das auch bezahlbar ist, gab es für sie auf dem Wohnungsmarkt nicht. Sie kann über ein Nettogehalt von knapp 2500 Euro verfügen, bei einer 30-Stunden-Woche. Ihre ältere Tochter ist schon 22 und wohnt nicht mehr zu Hause.

Weitersuchen hat wenig Sinn, Nina G. hat eine andere Lösung für ihre private Situation gefunden. „Ich habe mir im letzten Jahr ein Minihaus gekauft“, sagt sie. Es liege etwas außerhalb des Rings. Das Minihaus mit 42 Quadratmetern und einem Einkaufspreis von 220.000 Euro, ein Baugruppen-Projekt, finanziert Nina G. mit einem kleinen Kredit über sieben Jahre mit einem Zins von knapp drei Prozent sowie einem großen Kredit über 20 Jahre mit einem Zins von 1,59 Prozent.

Für diejenigen, die den Traum vom eigenen Zuhause in Berlin nicht aufgegeben haben, hat Nina G. einen Tipp. „Das Grundstück des Projekts, das ich gekauft habe, gehört nicht uns, sondern der Stadt Berlin“, sagt sie. Sie verweist auf die sogenannten Konzeptverfahren des BIM, des Berliner Immobilienmanagements. „So bin ich in die Baugruppe gekommen.“

Mit dem Konzeptverfahren vergibt die Stadt Berlin landeseigene Grundstücke zu vergünstigten Konditionen, für die Errichtung und Nutzung gemeinwohlorientierter Projekte. Genossenschaftlich organisierte Gruppen oder Baugruppen erklären sich gewissermaßen bereit, eine Teilaufgabe der Daseinsvorsorge für Berlin zu übernehmen. Mit einer Baugruppe kann man sich um ein Grundstück bewerben. Die Gruppe, die das beste Konzept hat, bekommt das Grundstück. Das Grundstück von Nina G. und ihrer Gruppe liegt nach ihren Worten in „einer sehr tollen Lage“ in Treptow-Köpenick. Sie hätte sich ein solches Haus ohne dieses Konzeptverfahren nie leisten können.

Man solle sich mit anderen Leuten zusammentun und schauen: Was bietet die Stadt an Grundstücken an?, rät Nina G. Man müsse nicht unbedingt Land kaufen. „Wir haben eine Erbbaupacht, das Grundstück wird also in der Regel für 99 Jahre gepachtet, und das Haus da drauf gehört dir. Wenn dieser Pachtvertrag ausläuft, wird er in der Regel verlängert, und wenn nicht, kriegst du den Immobilienwert als Ablösung.“

Einziehen wird Nina G. in das neue Haus voraussichtlich im September 2023, in einem Jahr. Es ist zwar nicht viel größer als ihre aktuelle Mietwohnung in Karlshorst. Aber es ist ihr eigenes Zuhause.

*Name geändert

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