Berlin: Falscher Polizist soll 90-Jährigen die Treppe hinuntergestoßen haben
Vor dem Landgericht Berlin begann ein Prozess gegen einen mutmaßlichen Betrüger und Räuber, der auf rabiate Weise an das Geld seiner Opfer gelangt sein soll.

Gerhard H. ist ein kleiner Mann. Er läuft am Stock und hört schon etwas schwer. Vor Gericht erzählt er an diesem Montag, dass er und seine Ehefrau schon viele Anrufe von Betrügern erhalten hätten, und nie seien sie auf den Enkeltrick hereingefallen. Doch dann rief dieser Mann an. Dieser Hauptkommissar. Eine halbe Stunde lang. „Er hat am Telefon so gut gesprochen. Ich habe gedacht, er muss von der Polizei sein“, sagt Gerhard H.
Der alte Herr auf dem Zeugenstuhl ist 93 Jahre alt. Er heißt nicht Gerhard H., will aber nicht erkannt werden – vor allem nicht von seiner Familie, die von dem Betrug noch nichts erfahren hat. Sehr dicht bei ihm sitzt Nermin M., der Angeklagte, der ihn beraubt und ihn dabei eine Treppe hinuntergestoßen haben soll. Mit 3000 Euro soll Nermin M. aus dem Wittenauer Haus von Gerhard H. geflohen sein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm schweren Raub und Körperverletzung vor.
Die Tat ist schon länger als zwei Jahre her. Und da verwundert es nicht, dass die Eheleute sich nicht mehr an alles erinnern können. Laut Anklage soll sich am 14. Januar 2021 gegen 14.10 Uhr ein Mittäter des Angeklagten bei der Ehefrau von Gerhard H. gemeldet und als Mitarbeiter der Sparkasse ausgegeben haben. Er erklärte, dass eine Kollegin in betrügerischer Absicht Falschgeld in Umlauf gebracht habe, die Eheleute bei ihrem letzten Bankbesuch auch Blüten bekommen haben könnten und sich deswegen ein Polizeibeamter des Landeskriminalamtes bei ihnen melden werde.
Hauptkommissar vom Betrugsdezernat
So geschah es. Kurz danach klingelte erneut das Telefon. Diesmal sprach der damals 90-jährige Gerhard H. mit dem Anrufer, der sich als Hauptkommissar des Betrugsdezernats ausgab. Er forderte die Eheleute auf, ihr gesamtes im Haus befindliches Geld zusammenzusuchen und mit ihm die Seriennummern durchzugehen. Gerhard H. und seine Frau befolgten die Anweisung. Der „Hauptkommissar“ soll daraufhin erklärt haben, ein Mitarbeiter der Kripo werde kommen und die falschen Scheine abholen.
Gegen 14.45 Uhr soll Nermin M. am Tor des Grundstücks in Wittenau geklingelt, die damals 85-jährige Ehefrau von Gerhard H. soll geöffnet haben. Da sie ihre Brille nicht aufhatte, konnte sie auch den ihr vorgehaltenen Dienstausweis nicht erkennen. An der Haustür wollte Gerhard H. deswegen den grünen Ausweis noch einmal sehen. Doch der Unbekannte, der eine Kapuze und einen Mund-Nasen-Schutz trug, ließ die Karte nicht los. Vielmehr soll er den alten Mann die Kellertreppe hinuntergestoßen haben.
Gerhard H. fiel nach eigenen Worten drei Stufen hinunter. Er habe sich an einer Strebe des Geländers festhalten können, sagt er. Ein paar Prellungen und eine Platzwunde trug er davon. Nach dem Stoß soll sich Nermin M. das im Flur bereitgelegte Geld und eine auf dem Wohnzimmertisch liegende Brieftasche gegriffen haben und mit 3000 Euro entkommen sein.
Seinen Mund-Nasen-Schutz verlor er offenbar an der Haustür. DNA-Spuren lassen wohl den Schluss zu, dass der Angeklagte die Maske getragen hatte. Nermin M. selbst äußert sich an diesem ersten Verhandlungstag nicht zu den Vorwürfen.
Mal war der Täter schlank, mal bepackt
Die Frage ist: Ist Nermin M. wirklich der Täter, der das Geld raubte und den alten Mann die Treppe hinunterwarf? Gerhard H. sagt, dass der angebliche Kriminalist an der Haustür ein junger Mann gewesen sei, schlank noch dazu. Nermin M. ist 44 Jahre alt und untersetzt. Die Ehefrau von Gerhard H., heute 87 Jahre alt, widerspricht ihrem Mann. Schlank sei der angebliche Polizist nicht gewesen, eher bepackt, sagt sie als Zeugin.
Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, ob sie seit dem Überfall ängstlicher geworden seien, sagt die 87-Jährige, sie hätten sich bisher mit dieser Sache nicht auseinandergesetzt, die Familie wisse von nichts. „Ich war schon sehr glücklich, dass sich mein Mann bei dem Sturz nichts gebrochen hat“, sagt die Zeugin.
Der Prozess wird am nächsten Montag fortgesetzt. Dann sollen richtige Polizeibeamte als Zeugen aussagen. Ein Urteil in dem Fall könnte in zwei Wochen gesprochen werden.