Prozess: Radfahrerin überrollt - Geldstrafe für Lkw-Fahrer

Reinhard M. hat lange überlegt, ob er zu diesem Prozess gehen soll. Dann hat er sich am Mittwochmorgen doch dazu entschlossen. 36 Jahre lang war er verheiratet mit seiner Frau Bärbel, um deren Tod es an diesem Tag vor dem Amtsgericht in Tiergarten geht. Es sei alles so schwer zu begreifen, sagt der 82-Jährige.

Bärbel M., 76 Jahre alt, war am Nachmittag des 28. November 2016 mit dem Fahrrad unterwegs. Als sie bei grüner Ampel den Buckower Damm in Neukölln überqueren wollte, wurde sie von einem abbiegenden Sattelschlepper erfasst. Eine Stunde später starb die Frau in einem Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen.

Vergebliche Lichtsignale

Angeklagt ist Ralf F., 57 Jahre alt und seit mehr als 30 Jahren Berufskraftfahrer. Er ist nicht vorbestraft, hat nicht einen einzigen Punkt in der Verkehrssünderdatei in Flensburg. Er sagt, er sei an jenem Tag ausgeruht losgefahren. Alles sei ganz normal gewesen. In der Gutschmidtstraße musste er an einer roten Ampel halten. Bei grün bog er rechts auf den Buckower Damm ein. Er habe in den Spiegel geschaut und niemanden gesehen. „Ich habe dann etwas gemerkt – an der Hinterachse“, sagt er. Später, als er sein Fahrzeug zum Halten gebracht und nachgeschaut habe, sei für ihn eine Welt zusammengebrochen. „Ich kann es mir nicht erklären, ich weiß nicht, wo die Frau hergekommen ist. Es tut mir so leid.“

Schluchzend verfolgt Reinhard M. die Aussage. Er ist in diesem Prozess Nebenkläger, sitzt neben seinem Anwalt. Immer wieder fragt ihn Richter André Muhmood, ob er eine Pause bräuchte. Immer wieder schüttelt der alte Herr den Kopf. Schlimm wird es für ihn, als Sascha S. aussagt. Da fängt der 82-jährige hemmungslos an zu weinen, drückt sich das Taschentuch auf die Augen. Doch auch jetzt will er bleiben.

Sascha S. und seine Frau haben den Unfall aus ihrem Auto heraus beobachtet, „vom Anfang bis zum Ende“, wie der 39-Jährige sagt. „Ich und andere Autofahrer haben gehupt und Lichtzeichen gegeben, aber der Lkw-Fahrer ist ohne zu bremsen über die Frau drüberweg“, sagt der Zeuge. Dabei hätte der Lkw-Fahrer den Unfall doch bemerken müssen.

Stattdessen kam der Laster erst 50 bis 100 Meter von der Unfallstelle entfernt zum Stehen. Sascha S. erzählt, dass er drei Monate die Kreuzung gemieden habe. „Es ist immer noch ein sehr mulmiges Gefühl, heute dort vorbeizufahren. Da kommen die Bilder wieder hoch.“

Auch Carmen S. zeigt sich noch immer erschüttert. Die 42-Jährige war damals Fußgängerin. „Ich habe noch gedacht, einer von beiden müsste jetzt mal anhalten“, erinnert sie sich. Beide seien ganz normal gefahren. Die Fahrradfahrerin ganz normal geradeaus, der Lkw-Fahrer ganz normal nach rechts. Und dann sei es passiert.

Der Tod eines Menschen könne durch kein Strafmaß aufgewogen werden, sagt Richter Muhmood. Der Angeklagte Ralf F. sei weder ein schlechter Mensch noch ein gewissenloser Fahrer. Er gehe auch davon aus, dass der Fahrer des schweren Lasters den Unfall nicht bemerkt haben muss. „Wer nie in einem Lkw saß, kann sich das nicht vorstellen.“ Er aber habe schon viele derartige Prozesse geführt, viele Gutachter dazu gehört.

Fahrlässige Tötung

Muhmood spricht von einer minimalen Unachtsamkeit des Angeklagten. „Fehler dieser Art haben alle, die Auto fahren, schon einmal gemacht. Wir haben uns dann gewundert, wo der Radfahrer oder Fußgänger denn so plötzlich hergekommen ist. Doch meist ist nichts passiert. Dieses Glück hatte der Lkw-Fahrer nicht.“

Der Richter spricht Ralf F. der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von insgesamt 2 700 Euro. Den Führerschein darf der Berufskraftfahrer behalten. Dann wendet sich Muhmood an den Ehemann der Getöteten. „Wir dürfen nicht den Fehler machen und verzweifelt einen Schuldigen ausmachen wollen“, sagt er. Vielleicht helfe der Prozess dem Hinterbliebenen, ein Stück weit abzuschließen. „Bärbel M. hätte bestimmt nicht gewollt, dass ihr Ehemann verzweifelt.“