Quereinsteiger und LovL als Lehrer in Berlin: Immer mehr Unqualifizierte unterrichten an Schulen

Berlin - Immer mehr Unqualifizierte unterrichten als Lehrer an Berliner Schulen. Vor den Folgen warnte jetzt Dieter Haase, Vize-Gesamtpersonalrat der Bildungsverwaltung. Derzeit würden noch mindestens 550 Vollzeit-Lehrer für das Anfang August startende neue Schuljahr fehlen. Die Bildungsverwaltung und viele Schulen behelfen sich aus seiner Sicht zunehmend mit Lehrern ohne volle Lehrbefähigung (LovL). Diese haben anders als die Quereinsteiger überhaupt kein Berliner Schulfach studiert. „Das verschärft die Situation an den Schulen“, sagte Haase. Es seien Personen darunter, die das Referendariat nicht geschafft oder das Lehramtsstudium bereits im zweiten oder dritten Semester abgebrochen hätten. Nicht in jedem Fall hätten diese LovL überhaupt Abitur. Darunter sei auch eine Reiseverkehrsfachfrau, die statt im Reisebüro nun als Erdkunde-Lehrerin arbeiten soll, und ein Gymnastiklehrer, der Sport unterrichten wird, hieß es unter Personalräten.

Nach Haases Berechnungen müssen in diesem Jahr insgesamt mindestens 2200 Lehrer in Vollzeit eingestellt werden. Schon zum Schulhalbjahr Anfang Februar seien etwa 730 Vollzeit-Stellen mit 965 Lehrern besetzt worden, davon noch etwa 425 Stellen mit regulären Lehrkräften, gut 168 mit Quereinsteigern, die dann noch parallel zum Unterricht ein berufsbegleitendes Referendariat machen müssen. Hinzu kommen demnach 145 LovL. „Hier habe ich Studenten und Pensionäre, die ebenfalls unterrichten, bereits herausgerechnet“, sagte Hasse.

Zum neuen Schuljahr habe die Bildungsverwaltung bisher neben 750 regulären Lehrer noch ungefähr 450 Quereinsteiger eingestellt. „Weitere 400 Quereinsteiger stehen auf einer Warteliste, sind von den Schulen noch nicht angefordert“, berichtet Dieter Haase.

Denn viele Schulleiter würden lieber LovL einstellen, die sie bereits kennen. Zum Beispiel weil diese schon jahrelang als Vertretungslehrer an der Schule gearbeitet haben. „Anders als Quereinsteiger können diese LovL auch in Vollzeit unterrichten.“ Tatsächlich unterrichten Quereinsteiger wöchentlich 18 Stunden und weniger, während Vollzeit-Lehrer an Grundschulen 28 Stunden, an weiterführenden Schulen 26 Stunden wöchentlich unterrichten müssen.

Besonders Grundschulen betroffen

Besonders kritisch ist die Situation an Schulen in Neukölln, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Spandau, besonders an den Grundschulen. Neukölln hat 227 Vollzeit-Stellen zu besetzen. Davon konnten etwa 51 Stellen mit regulären Laufbahnbewerbern besetzt werden, 42 mit Quereinsteigern und 72 mit LovL’s.

Das bedeutet: In Neukölln, wo der Anteil der Schüler mit besonderem Förderbedarf besonders hoch ist, gibt es besonders viele Lehrer ohne pädagogische Ausbildung. 60 Stellen sind allein in Neukölln immer noch unbesetzt. Im sozial ungleich besser gestellten Steglitz-Zehlendorf hingegen sind schon längst alle Stellen besetzt.

In der Bildungsverwaltung bestätigte man am Donnerstag den Einstellungsbedarf von 2200 Vollzeit-Lehrern, das sei aber wie in den vergangenen Jahren auch zu schaffen. Das Vorgehen des Gesamtpersonalrates nannte man „destruktiv“. Die Gewerkschaften hätten doch seinerzeit dafür gewoben, die Lehrer aus den Willkommensklassen weiterzubeschäftigen. Auch davon seien ja viele LovL’s geworden, jetzt kritisiere man das.

Tatsächlich berichtet Vize-Gesamtpersonalrat Haase von der GEW, dass bereits 1000 LovL im Schuldienst tätig seien. Die meisten davon allerdings befristet auf ein, zwei Jahre. Die Personalräte sind auch dagegen, diese Verträge zu entfristen. „Wir müssen in den nächsten Jahren schließlich auch den gut ausgebildeten Referendaren eine Perspektive bieten“, sagte Haase.

Bisherige Sprecherin des SPD- Landesverbandes unterrichtet jetzt

Die Verwaltung vermeidet seit Jahresbeginn den Begriff ’Lehrer ohne volle Lehrbefähigung’. Lieber nennt man diese ’LovL’ nun Seiteneinsteiger. Aus Sicht der Personalräte ist das allerdings eine bewusst irreführende Bezeichnung. Denn in anderen Bundesländern werden Quereinsteiger als Seiteneinsteiger bezeichnet. Auch die Kultusministerkonferenz benutzt letzteren Begriff. „Die Menschen, die die Bildungsverwaltung als Seiteneinsteiger bezeichnet, dürften allerdings in anderen Bundesländern gar nicht als Lehrer arbeiten“, sagte Haase.
Die Bildungsverwaltung bemüht sich nun noch mehr um Quereinsteiger.

Ab Freitag soll es laut Gesamtpersonalrat noch einmal eine neue Ausschreibung für Quereinsteiger geben, die Bewerbungsfrist würde demnach erst am 19. Juli enden. Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD) möchte die bisher stets befristeten Ausschreibungen zu einer Dauerausschreibung für Quereinsteiger umwandeln. Der Gesamtpersonalrat wiederum ist erbost, sieht sich bisher nicht beteiligt.

Unter den Quer- und Seiteneinsteigern, die zum kommenden Schuljahr anfangen, ist übrigens auch die bisherige Sprecherin des SPD-Landesverbandes. Sie unterrichtet künftig an einer deutsch-italienischen Grundschule. Nach den Schätzungen der Personalräte wird der Lehrermangel noch bis zum Jahr 2023 andauern. Dann ist die Pensionierungswelle vorbei.