Quereinsteiger verschärfen Kita-Krise : „Zahl funktionaler Analphabeten wird zunehmen“

Desirée Gromilovic ist 36 Jahre alt und studierte Skandinavistin. Nun hat sie sich beruflich neu orientiert. Die ein wenig schüchtern wirkende Frau lässt sich in Berlin zur Kita-Erzieherin ausbilden. Als Quereinsteigerin. An einer privaten Fachschule studiert sie die Theorie, gleichzeitig arbeitet sie bereits mit einem 28,5 Stunden-Vertrag in einer Kita.

„In der Kita bin ich gleich in einer Gruppe von Ein- und Zweijährigen eingesetzt worden“, erzählt sie. „Dabei wusste ich selbst noch nicht einmal, wo bei einer Windel hinten und vorne ist.“ Das musste sie dann beim nötigen Windewechsel ganz schnell lernen. Vieles andere auch, zum Beispiel wie man Elterngespräche führt. Nach einem Arbeitstag kamen abends oft noch Fachschulkurse dazu. Andere Quereinsteiger aus ihrem Kurs wurden gleich in Früh- und Spätdienste in Kitas eingeplant, wo sie nahezu allein mit den Kindern sind.

Auf 5 staatliche kommen 50 private Fachschulen

43 Prozent der Studierenden an Fachschulen sind nach GEW-Angaben mittlerweile Quereinsteiger, so wie Desirée Gromilovic. Ausgebildete Erzieher finden sich immer seltener. Die meisten – nämlich mehr als 5700 Schüler – werden derzeit an privaten Fachschulen ausgebildet. „Dort gibt es mittlerweile einen echten Wildwuchs“, sagt GEW-Landeschefin Doreen Siebernik. Auf 5 staatliche kämen 50 private Fachschulen. Viele Kita-Träger hätten ihre eigenen Fachschulen gegründet. „Dort ist es keine Seltenheit, dass Studierende auf der Basis eine Mini-Jobs angestellt sind“, sagt Siebernik.

Oft würden arbeitsrechtliche Mindeststandards unterlaufen. So dürften sich die Studierenden nicht in verschiedenen Arbeitsfeldern umtun. Fred Michelau ist Schulleiter der Jane-Addams-Schule, zu der auch die größte staatliche Fachschule für Erzieher gehört. Gerade war Bundeskanzlerin Angela Merkel dort zu Besuch. Michelau sorgt sich wegen der vielen Quereinsteiger und der Qualität privater Fachschulen, wo er ebenfalls Prüfungen abnimmt.

Problematisch seien nicht Akademikerinnen wie Desirée Gromilovic. Aber es gebe andere Quereinsteiger, die weniger als Vorbilder taugten. Die würden Dinge sagen wie „isch geh mit die Kindern spazieren“. Dabei gelten Kitas doch als frühkindliche Bildungseinrichtungen. Die privaten Fachschulen würden aber kam überprüft, auch nicht durch eine Schulinspektion. Fred Michelau fürchtet drastische Folgen: „Die Zahl der funktionalen Analphabeten wird zunehmen“, sagt er. Zumal an Brennpunkt-Schulen ja besonders viele Quereinsteiger tätig seien.

Rückgang an Bewerbern

Funktionaler Analphabetismus bedeutet, dass Menschen Schwierigkeiten haben, Texte zu erfassen und normgerecht zu schreiben. Die konfessionellen Fachschulen in Trägerschaft der evangelischen oder katholischen Kirche nahm Michelau von seiner Kritik ausdrücklich aus. „Mir geht es um die GmbHs und Co. Kgs“, betonte er.

Tatsache ist, dass die staatlichen Fachschulen einen Rückgang an Bewerbern zu verzeichnen haben. „Wir sind denen zu schwer“, sagt Fred Michelau selbstbewusst. GEW-Chefin Siebernik ergänzt: „Die Qualität sinkt drastisch.“ Reguläre Erzieher würden oft in Schulhorte oder in andere Bereiche wechseln.

80 Prozent der Berliner Kitas werden mittlerweile von freien Trägern betrieben. Das Land bezahlt diesen freien Trägern pauschal Personal- und Sachkosten, das Geld wird aber oft nicht in Gänze an die Erzieher weitergereicht. Siebernik forderte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) auf, dies über Neuregelungen im Kita-Gesetz und in den Rahmenvereinbarungen zu ändern.

Noch vor den Sommerferien will Scheeres zum Erzieherkrisen-Gipfel einladen. GEW-Chefin Siebernik mahnt, die Senatorin müsse dort ein umfassendes Konzept vorlegen. 

Private Fachschule widerspricht

Widerspruch kommt von einer anerkannten privaten Fachschule, der DRK-Fachschule für soziale Berufe Berlin GmbH, die auch Erzieher ausbildet. „Zunächst erschließt sich fachlich der Zusammenhang zwischen funktionalem Analphabetismus und dem Quereinstieg in den Erzieherberuf nicht“, moniert Schulleiterin Katja Bach. „Funktionaler Analphabetismus entsteht durch ein Ursachengeflecht aus individuellen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Faktoren.“ Allein ein schlechtes Sprachvorbild einer Erzieherin reiche hierfür nicht aus.

„Das sprachliche Vorbild des pädagogischen Fachpersonals in Kitas ist ungemein wichtig für den Aufbau des Wortschatzes, der Grammatik, des Ausdrucks.“ Aber es sei nicht die alleinige Grundlage. Katja Bach betont, dass sich ihre Fachschule um eine erhöhte Sprachkompetenz der Erzieher stark bemühe. Schulleiter Michelau hatte seine Kritik auf die Kitas, aber auch auf die vielen Quereinsteiger in Grundschulen bezogen, wo jetzt aufgrund des Lehrermangels auch an der Sprachförder-Stunden gespart werden soll.

Ebenso prüfe sie innerhalb der Finanzierungsberatung auf Wunsch auch die Arbeitsverträge ihrer Teilzeitstudierenden und mache sie auf arbeitsrechtliche Ungereimtheiten aufmerksam, betont Katja Bach. Sie empfiehlt Quereinsteigern , lediglich 20 Stunden in der Woche zu arbeiten, um auch genügend Zeit zur Erholung und zum Selbststudium zu haben. Die GEW hatte von Fällen an einigen privaten Fachschulen berichtet, in denen die Arbeitszeit in Kitas für Quereinsteiger gut 28 Stunden betrug.

Ihre Einrichtung werde regelmäßig von der staatlichen Schulaufsicht geprüft, ebenso die Verwendung der Zuschüsse, sagte Bach. Unterrichten dürfe nur derjenige, der durch eine Prüfung und entsprechendes Fachstudium seine fachliche und pädagogische Eignung und die Gleichwertigkeit mit dem Lehramt nachgewiesen hat.

Bach: „Wir verwahren uns ausdrücklich gegen die Verallgemeinerung, Fachschulen in privater Trägerschaft würden fachlich unsauber, qualitativ minderwertig oder zweifelhaft agieren.“ Sicher gebe es auf Trägerebene aber auch schwarze Schafe.

Die Fachschulen in freier Trägerschaft haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass der Fachkräftemangel in den Kitas nicht noch schlimmer ausfiel. Sie haben deutlich mehr Nachwuchs-Erzieher ausgebildet als die staatlichen Fachschulen.