Radbahn unter der U1: Eine urbane Hauptschlagader für Berlin
So viel Euphorie ist bei Verkehrsprojekten selten zu hören. „Was hier geplant ist, wird weltweit Eindruck machen, bis nach New York und Moskau“, schwärmte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele. „Ich habe selten so etwas Professionelles gesehen“, pflichtete Christian Wiesenhütter von der Berliner Industrie- und Handelskammer begeistert bei. „Ich glaube, dass dieses Ding Potenzial hat, weltweit zu scheinen“, lobte Christian Tänzler, der die Tourismuswerber von Visit Berlin vertrat.
„Dieses Ding“: Damit meinte Tänzler das Projekt Radbahn – eine Radwegverbindung, die quer durch Berlin führen soll, größtenteils beschirmt von den Hochbahnstrecken der U1 und U2. Jetzt haben die Planer, die sich nicht mehr und nicht weniger als eine neun Kilometer lange „neue urbane Hauptschlagader“ zwischen Zoo und Oberbaumbrücke wünschen, ihr Konzept weiter ausgearbeitet. Und inzwischen schlägt sich auch die Senatsverkehrsverwaltung, die diese Idee anfangs abgelehnt hatte, auf die Seite der Bürger. „Wir werden Sie unterstützen“, versprach Burkhard Horn, Chef der Abteilung Verkehr.
Einer der Planer ist Matthias Heskamp, Architekt, heute 47 Jahre alt. Er lebte lange in Portugal und kam nach Berlin, „weil man hier offen ist für neue Ideen“. Mit anderen Kreuzbergern, passionierten Alltagsradlern, ärgerte er sich darüber, dass unter der Hochbahn Platz brach liegt – Platz, den man für eine neue Art von Radtrasse nutzen könnte. So entstand die Idee der Radbahn, die bereits 2015 für Furore sorgte.
Manchmal auch auf der Straße
Zu der Gruppe, die sich jetzt Paper Planes nennt, stießen andere junge Mitstreiter hinzu. „Selbst in Brasilien kennt man uns“, erzählt Heskamp. Die Gruppe gewann Preise, aber auch Geldgeber – etwa die Barmer Ersatzkasse, die Radfahren zur Gesundheitsförderung propagiert. Oder die Kreativagentur Waald, die im alten Postgebäude in der Skalitzer Straße Räume gratis zur Verfügung stellt. Dort wurde Dienstagabend die Vorstellung der überarbeiteten Pläne gefeiert – mit Craft Beer in Dosen und Loungemusik.
„Wir wollen die Radbahn zu einer Strecke machen, die man gefahren sein muss“, sagte Simon Wöhr vom Radbahn-Team. Los ginge es am Hardenbergplatz. In der Tauentzienstraße würde sich die Radbahn den zwölf Meter breiten Mittelboulevard mit Fußgängern teilen. Danach weicht sie auf die Straße aus, um den U-Bahnhof Wittenbergplatz auf einem abgetrennten Zweirichtungs-Radweg zu umrunden.
Auch der U-Bahnhof Nollendorfplatz würde nördlich umradelt. Unter der Hochbahn in der Bülowstraße ginge es weiter, durch den Gleisdreieck-Park, auf die Nordseite des Landwehrkanals – auf einer neuen oder einer bestehenden Brücke. Jenseits vom Halleschen Tor schwenkt die Radbahn unter das Viadukt der U 1, das sie bis zur Oberbaumbrücke nur an wenigen Stellen verlässt. Das Ingenieurunternehmen Arup hat die Kosten errechnet, je nach Standard 12,96 oder 26,72 Millionen Euro.
Die „Potenzialanalyse“, die bald als 134-seitiges Buch vorliegt, geht auch auf Kritik ein, die von Seiten der Verwaltung laut geworden war. In der Tat sei zwischen den Viaduktpfeilern nicht überall Platz für die Trasse, die mindestens 2,50 Meter breit sein müsse, sagte Heskamp. So schlägt das Team vor, dass sie zwischen Görlitzer Bahnhof und Lausitzer Platz auf die Nordseite der Skalitzer Straße ausweicht – wo acht Parkplätze verschwinden müssten. Auch an dem ehemaligen Pissoir, in dem der „Burgermeister“ jetzt Haburger brät, rückt die Radbahn auf die Straße. Auf der Oberbaumbrücke ebenfalls, baulich abgetrennt.
Dass die Radbahn viele, zum Teil große Straßen quert, löst weitere Skepsis aus – und Ängste: Wie sicher ist es dort? In ihrer Analyse präsentierten die Planer nun Ideen, wie Ampelschaltungen und Kreuzungen umgestaltet werden könnten.
Weniger Platz für Fußgänger
„Wir sind immer wieder die Strecke abgelaufen, um gut planen zu können“, so Heskamp. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass es mancherorts eng werden könnte – etwa am U-Bahnhof Schlesisches Tor. Absehbar ist auch, dass Fußgänger an einigen Stellen Platz verlieren. Das Team habe mit dem Fachverband Fußverkehr gesprochen, entgegnete Heskamp. So rückt die Radbahn am Kanal auf die Straße, um einen Fußweg zu ermöglichen. „Unser Projekt ist nicht nur für Radler interessant.“
So soll am Kanal eine Freitreppe mit Südblick entstehen, der „Möckernstrand“ – ein Ort, um in der Sonne zu sitzen. Das Konzept ist ein Füllhorn mit vielen Ideen: einem Hafen, in dem Container auf Lastenräder geladen werden, Solarpaneelen im Weg durch den Gleisdreieck-Park, Sensoren, die bei Regen Radler länger Ampel-Grün geben.
Geht es um einen Verkehrsweg oder um einen neuen Stadtraum? Jedenfalls soll die Radbahn kein Radschnellweg sein, eher ein lokaler Verteiler, meinte Heskamp. Darum sei sie kein Ersatz für die Radfahrstreifen, die nebenan auf den Fahrbahnen markiert werden müssten, sagte Nikolas Linck vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Dort könne schnell gefahren werden.
„Es muss auch in Berlin möglich sein, verwegene Ideen zu diskutieren“, sagte Verkehrs-Staatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne). Allerdings: „Die Umsetzung an diesem Ort wird nicht einfach, dessen sind sich alle bewusst.“ Schöne Computersimulationen seien das eine, „konkrete Pläne sind das andere“, sagt Chefplaner Horn. Das Projekt habe „noch viel vor sich, um umsetzbar zu werden“. Das Radbahn-Team setzt sich dafür ein, dass es nun eine „ingenieurtechnische Machbarkeitsstudie“ gibt.
Eine erste, nicht so weit gehende Untersuchung dieser Art ist für die Radbahn bereits im Gange, im Auftrag des Abgeordnetenhauses. Die CDU drängt darauf, dass die Ergebnisse noch in diesem Jahr vorlegen, damit mögliche Investitionen im Doppelhaushalt 2018/19 berücksichtigt werden können. Auch bei der Studie, bei der mögliche Trassen für Radschnellwege untersucht wurden, spielte die Radbahn eine Rolle. Dort bekam sie allerdings nur eine 3,3 – eine relativ schlechte Bewertung. Anlass waren unter anderem die Platzprobleme unter der Hochbahn – auf die das Radbahn-Team aber inzwischen reagiert hat.
Horn wird das Projekt nicht mehr begleiten. Noch im Juni feiert er seinen Abschied.