Radfahren in Berlin: An jeder Kreuzung droht ein Kulturkampf zwischen Autofahrern und Radfahrern

Alles schien so friedlich: Der Morgen war kalt, aber die Sonne strahlte. Also waren reichlich Radfahrer unterwegs – aber auch Autofahrer. Da droht an jeder Kreuzung ein kleiner Kulturkampf.

Wie immer radelte ich auf Seitenstraßen durch Friedrichshain. Vor mir ein älterer Herr, der recht gemächlich unterwegs war. Gemächlich bog er auch nach rechts in eine Einbahnstraße. Tempo-30-Zone, er hatte Vorfahrt. Alles schien klar. Doch die Straße war abschüssig – und auf einer Strecke von 500 Metern gab es keine einzige Ampel.

Das nutzte ein Autofahrer für einen Zwischensprint am Morgen. Offenbar hatte er keine Lust, wegen so ein bisschen Vorfahrt zu bremsen. Er raste den Herrn fast um und hupte auch noch. Der Radfahrer bremste scharf und rief: „Sie Arschloch, Sie.“ Wie gesagt, es war ein älterer Herr und als solcher höflich.

Ich fragte ihn: „Und überlebt?“

Er sagte: „Gerade so.“

Wir radelten weiter und sahen, wie der Autofahrer – laut Kennzeichen stammte er aus dem hoffentlich schönen Landkreis Neustadt an der Waldnaab – weiter mit Vollgas die Straße entlangraste. Unten, an der nächsten Kreuzung, hätte er nur nach rechts abbiegen dürfen, bog aber nach links ab.

Dem Raser einen Schrecken einjagen

„Drei Verstöße in nicht mal 30 Sekunden“, kommentierte der ältere Herr und trat in die Pedale. Ich hinterher. Notfalls wollte ich den Streitschlichter geben. Wir holten das Auto tatsächlich ein, denn der Fahrer musste an einer Ampel warten. Der ältere Herr stellte sich neben dem Auto auf und fotografierte es mit dem Handy. Der Fahrer kurbelte die Scheibe runter und rief: „Was soll das?“ Der Herr sagte: „Nur so. Für die Anzeige. Ihr glaubt wohl, dass in der Großstadt alles erlaubt ist?“

Der Autofahrer rief: „Ihr Radfahrer macht doch auch immer…“

Weiter kam er nicht, denn der Herr sagte freundlich, aber bestimmt: „Ich bin nicht ihr Radfahrer. Ich bin ich. Und Sie wollten mich gerade überfahren.“ Das saß.

Der junge Mann schwieg tatsächlich, schien aber zu überlegen, ob er aussteigen sollte. Doch sein Gegenüber war so schrecklich unaggressiv. Also fuhr er, als die Ampel auf Grün sprang, einfach weiter. Ich fragte den freundlichen Herren, ob er tatsächlich Anzeige  erstatten werde. „Nee“, sagte er. „Der Piepel war doch noch so jung. Der hat  jetzt hoffentlich so viel Angst, dass er ganz vorbildlich fahren wird.“ Nun war wieder alles friedlich. Jedenfalls für den Moment.