Radfahren in Berlin: Neue Saison, alter Ärger
Berlin - Die neue Fahrradsaison hat begonnen – und mit ihr ist der alte Ärger wieder da. Autofahrer mokieren sich über Radfahrer, die nachts plötzlich ohne Licht um die Ecke kommen. Radler ärgern sich über Autofahrer, die im Fünf-Zentimeter-Abstand an ihnen vorbeibrausen oder die Tür öffnen, ohne nach hinten zu schauen. Fußgänger wiederum fürchten sich vor Radfahrern, die ihnen rücksichtlos rasend den Gehweg streitig machen. Auf Berlins Straßen herrscht oft ziemlich miese Stimmung. Das ist dem Senat nicht entgangen. Jetzt will er sie verbessern – mit einer großen Info-Kampagne, die in diesem Frühjahr beginnen soll.
„Rücksicht und Sicherheit sollen die Schwerpunktthemen sein“, sagte der neue Verkehrs-Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) der Berliner Zeitung. Geplant sind Plakate, Anzeigen, Hörfunkspots und Aktionen auf den Straßen. Ein Großteil des Geldes, die Rede ist von einer siebenstelligen Summe, kommt vom Bund. Der Senat, von dem die Idee stammt, konnte aber auch viele Sponsoren gewinnen.
Selbst in Lebensgefahr gebracht
Für Ende März, wie anfangs avisiert, fanden der Senat und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) dem Vernehmen nach keinen gemeinsamen Termin. Nun geht es voraussichtlich im Mai los.
„Wir wollen vor allem die Radfahrer ansprechen“, sagte Gaebler. „Viele von ihnen machen die Erfahrung, dass sie von Autofahrern schlecht behandelt werden – zum Beispiel, dass sie beim Abbiegen übersehen werden. Manche sagen anschließend: ’Dann muss ich auch keine Rücksicht nehmen, die Verkehrsregeln gelten für mich nicht.’“ Aber das sei falsch, weil sich Radfahrer dadurch oft selber in Lebensgefahr bringen. Wichtig sei auch: „Die Fußgänger haben ein Recht auf einen geschützten Bereich, und das ist der Gehweg.“
Doch auch die Autofahrer sollen sich angesprochen fühlen – damit sie stärker auf Radfahrer achten. „Blickwechsel“ heißt ein Slogan. Jeder Radler sei auch Fußgänger, viele Radfahrer fahren Auto. „Wir plädieren dafür, über den Tellerrand zu schauen und nicht immer auf dem eigenen Recht zu beharren“, sagte Sarah Stark. Sie ist Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), der die Aktion unterstützt – auch wenn alle Radler auf den Plakaten Helme tragen. Der Club lehnt eine Helmpflicht ab.
Noch eine Kampagne für mehr Sicherheit – hilft das wirklich? „15 Prozent der Radfahrer bringt man auch mit Plakaten nicht mehr zur Vernunft“, sagte Bernd Herzog-Schlagk vom Fachverband Fußverkehr (FUSS). „Außerdem werden wir erst dann alle Radfahrer von den Gehwegen kriegen, wenn auf den Straßen die Geschwindigkeit verringert wird“ – auf Tempo 30. „Sonst können wir so viele Plakate kleben, wie wir wollen.“ Eine Kampagne rege zum Nachdenken an, meinte Sarah Stark. „Sie führt aber nicht dazu, dass die Unfallzahlen sofort sinken. Sie kann auch keine Kontrollen an Unfallschwerpunkten ersetzen, wie die Polizei sie endlich angekündigt hat – und keine neuen Fahrradstreifen.“ Deren Netz müsse weiter wachsen, etwa auf der Schönhauser Allee.
Wowereit vermisst Platz für Autos
Insider erzählen, dass sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) darüber mokiert, dass die Extra-Spuren für Radler den Autos viel Platz wegnehmen – wovon auch der Dienstwagen des Senats-Chefs betroffen ist. Trotzdem: „Wir wollen das Netz der Fahrradstreifen weiter ausbauen, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, und dafür mehr Geld ausgeben als bislang“, sagte Gaebler. „Für den neuen Doppelhaushalt haben wir eine Erhöhung der jährlichen Mittel von 3 Millionen auf 3,5 Millionen Euro angemeldet.“ Er ist auch zuversichtlich, dass sich die drohende Halbierung der Ausgaben für die Instandsetzung von Radwegen abwenden lässt – und dafür auch künftig zwei Millionen Euro jährlich bereit stehen.
Dennoch ist die „Fahrradstadt Berlin“ knauserig. Münster gibt pro Einwohner und Jahr fünf Euro für neue Radverkehrsanlagen aus, Berlin nur einen Euro. Selbst diese geringe Summe lasse sich nur mit Mühe verbauen, weil in den Bezirksämtern Personal fehlt, klagte Stark. „Manchmal schaue ich schon neidisch auf andere Städte.“