Radfahren in Berlin: Nicht einschlafen - Überholen am Mehringdamm klappt nie
Mit dem Rad den Mehringdamm runter. Da beschleunige ich gerne auf Überschallgeschwindigkeit und mein größter Ehrgeiz auf diesem Stück der Strecke ist es, vom Platz der Luftbrücke bis zur Kreuzung Mehringdamm Ecke Gneisenaustraße so wenig wie möglich in die Pedale zu treten. Das klappt natürlich nur, wenn zum einen die Ampel grün und zum anderen der Weg frei ist. Denn zwischen der Bergmannstraße und der Gneisenaustraße ist der Radweg so schmal, dass das Überholen anderer Verkehrsteilnehmer unmöglich ist. Mit anderen Worten: Es klappt nie!
Vor mir fährt eine Frau auf einem klapprigen Hollandrad. Das Hollandrad ist ein Fortbewegungsmittel aus einer Zeit, in der Geschwindigkeit absolut keine Rolle spielte, zu groß, zu unbeweglich. Gemächlich fährt die Frau vor mir her, ihr Zopf baumelt leicht von links nach rechts, auf den Gepäckträger hat sie eine Weinkiste montiert. Was früher einfach ein Ersatz für einen Korb war, ist heute ein Statement der Mittelschicht, die Wert legt auf gute Ernährung und auf wertvolle Freizeitaktivitäten, auch „Quality Time“ genannt.
Nach dem Einkauf im Bio-Supermarkt kann man das Schrumpelgemüse so in der Weinkiste dekorieren, dass es aussieht, als würde man in einem verträumten süddeutschen Dorf vom Wochenmarkt im Sonnenschein den Feldweg langradeln und nicht den verdieselten Mehringdamm.
Ich hasse sie!
Die Frau tritt zweimal in die Pedale, dann lässt sie das Rad ausrollen, dann tritt sie wieder zweimal und rollt wieder zehn Meter und so weiter. Ich hasse sie! Die 150 Meter Radweg dauern nun gefühlte 150 Minuten und der Choleriker in mir ist auch schon zur Stelle. „Gute Frau, jetzt schlafen Sie mal nicht ein“, entfährt es mir unfreundlicher als geplant.
Die gute Frau dreht sich um: Es ist die Osteopathin, die meine Verspannung im Nackenbereich behandelt. „Herr Weingärtner“, sagt sie mit hochgezogener Augenbraue, „wenn Sie nicht anfangen, sich zu entspannen, dann werden Sie ewig bei mir in Behandlung sein“.