Radfahrer über Berliner Mobilitätsgesetz: „Ich setze mich vollgepumpt mit Sauerstoff an den Schreibtisch“

Wenn es nach den Autoren des geplanten Berliner Mobilitätsgesetzes geht, müsste es bald mehr Menschen wie Sven Krein geben. Mehr Pendler, die auch auf weiten Strecken auf das Auto verzichten und stattdessen in die Pedale treten – wie es der Wunschtraum des rot-rot-grünen Senats ist. Krein, der in Velten nordwestlich von Berlin lebt, fährt mit dem Rad nach Wilmersdorf ins Büro. „34 Kilometer. Eine sehr schöne Strecke“, sagt der 49-Jährige, der in der Investitionsbank Berlin (IBB) arbeitet.

Dass das angekündigte Gesetz Radfahrern bessere Bedingungen schaffen will, klingt erst mal gut, meint er. Doch er ist skeptisch, ob Berlin wirklich wie geplant 2030 ein Radlerparadies sein wird. „Die Ziele sind sehr ambitioniert.“ Es sei noch viel zu tun.

Seerosen schaukeln träge auf der Havel. Der Wind streicht durch das Schilf, ein Eichhörnchen raschelt in einer Erle. „Kurze Pause“, sagt Sven Krein und steigt von seinem Faltrad ab. Während andere Pendler nicht weit von hier in Tegel auf der A 111 im Stau stehen, hat er das Berliner Stadtgebiet entspannt erreicht: auf dem Radfernweg Kopenhagen – Berlin, einer fast leeren Asphaltpiste im Grünen. „Es ist wie im Urlaub“, freut sich Krein, der auf Usedom eine Datsche hat.

Er atmet durch – um sich aufzuregen. „Dieser Weg könnte ein wunderbarer Radschnellweg sein, wenn wir hier nicht ausgebremst würden“, so Krein. Hier könnte der Senat unverzüglich tätig werden, ein neues Gesetz brauche er nicht.

Zehn Kilo Gewicht verloren

Auf der Trasse dürfen sich auch Fußgänger bewegen. Darum zwingen weißrot lackierte Gitter Radler zum Halten. „Welcher Autofahrer würde Gitter auf der Autobahn akzeptieren?“ fragt sich Krein. Fußgänger haben zum Teil sogar Vorrang, wie auf dem Asphalt zu lesen ist. „Auf einem von der EU geförderten Radweg!“ Für Krein ist klar: Wo möglich, hätte man die beiden Verkehrsarten trennen müssen.

Wie schön es sein kann, auf breiten Wegen weite Strecken zurückzulegen, zeigt sich einige Kilometer später. Links heben hinter Kleingärten Flugzeuge in Tegel ab, rechts schwappt das dunkle Wasser des Hohenzollernkanals – dazwischen macht Krein Tempo. „Herrlich!“ ruft er. Die Idylle ist einer jener Abschnitte auf dem Weg zur Arbeit, die ihn täglich in seiner Entscheidung fürs Rad bestärken.

Seit einem Jahrzehnt schwingt sich der Bankkaufmann aus dem Kreis Oberhavel von April bis Oktober aufs Rad, um in 95 Minuten zum IBB-Hochhaus an der Bundesallee zu fahren. „Ich hatte keine Lust mehr auf volle Regionalzüge, auf Verspätungen, auf verpasste Anschlüsse in Hennigsdorf.“ Krein nutzt sein Auto als Pendler nicht, auf der A 111 ist Stau Alltag. „Wenn sowohl der Tunnel Ortskern Tegel als auch die A 114 in Pankow saniert wird, wird sich im Norden Berlins nicht mehr viel bewegen.“

Bei Regen faltet er sein Zehn-Kilo-Rad in knapp zehn Sekunden zusammen und steigt in die Bahn. Hat er schon mal einen Unfall gehabt? „Toitoitoi, bisher nicht. Aber aufpassen muss ich schon – vor allem auf Rechtsabbieger.“ Als ihn einmal ein Lkw schnitt, brüllte er so laut, als ob er gestürzt wäre. Der Lkw-Fahrer hielt erschrocken an.

Vollgepumpt mit Sauerstoff am Schreibtisch

Seitdem er mit dem Rad pendelt, hat Krein zehn Kilo Gewicht verloren. „Jeden Morgen setze ich mich vollgepumpt mit Sauerstoff an den Schreibtisch.“ Ein Kollege fahre morgens eine halbe Stunde Auto, um eine Stunde zu joggen, sagt Krein. Er rechne anders: „Bei mir findet der Sport auf dem Arbeitsweg statt. So gesehen beträgt meine Fahrzeit null Minuten.“ Es ist Fitness, in den Alltag integriert.

Aber Krein weiß auch: Damit mehr Menschen Lust haben, aufs Rad umzusteigen, müssen noch viele Planer und Bauleute tätig werden. Zu seinem Pendleralltag gehören holprige Uralt-Radwege, erzwungene Umwege, Zäune, die zu umgehen sind, und Stufen, auf denen das Rad zu tragen ist. Nicht zu vergessen: Lieferautos, die auf Radstreifen parken, und Autofahrer, die plötzlich ihre Tür öffnen.

Am Spree-Radweg kommt es wieder ganz arg. Auch er könnte eine prima Radschnellverbindung sein. Doch es gibt Abschnitte, da ist die Piste nur etwas mehr als einen Meter breit. Scharfe Kurven, Treppenstufen, Baustellen, auf denen sich nichts tut, bremsen die Radfahrer ebenfalls aus. „Und immer wieder Kopfsteinpflaster – zum Teil neu verlegt“, sagt Krein. Es kam vor, dass der Abschnitt im Charlottenburger Schlossgarten versperrt war. „Welche Autobahn wird nachts gesperrt?“ fragt er.

Lob für den Arbeitgeber

Sven Krein hat die IBB erreicht. Im Fahrradraum stehen viele andere Zweiräder. Als erstes Unternehmen in Berlin ist die Bank vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club als fahrradfreundlicher Arbeitgeber ausgezeichnet worden. Es gibt Duschen, Umkleideschränke, Wäschetrockengeräte, einen Hol- und Bringdienst für Reparaturen. 13 Prozent der Beschäftigten kommen per Rad zur Arbeit. „Wenn gute Infrastruktur da ist, wird sie auch genutzt“, lobt Krein.

Seine Behördenbilanz fällt dagegen nicht gut aus. In den vergangenen Jahren habe sich auf seinem Arbeitsweg wenig getan: „Bislang hat sich kaum etwas verbessert.“ Auch der frühere rot-rote Senat hatte sich die Förderung des Radverkehrs auf die Fahnen geschrieben. „Warum wurde so wenig geschafft?“ Krein findet es richtig, dass Senat und Bezirke Radverkehrsplaner einstellen.

Doch Berlin und Brandenburg dürften den Nahverkehr nicht vernachlässigen: „Wann fährt die S-Bahn endlich nach Velten?“ Um das neue Gesetz mit Leben zu füllen, hat Krein einen Tipp: „Warum kauft der Senat keine Experten aus Amsterdam oder Kopenhagen ein?“

Vielleicht hätten Berlins Autofahrer dann weniger Angst, dass ihnen zu viel Platz genommen wird: „In den Niederlanden und Dänemark ist der Autoverkehr nicht zum Erliegen gekommen.“