Radunfälle: Jeden Tag verunglücken 20 Radler in Berlin
Berlin - Radwege neben den Straßen, Weitwinkelspiegel an Lkw und immer wieder spezielle Aktionswochen der Polizei, in der Auto- wie Radfahrer zu mehr Rücksicht im Straßenverkehr aufgefordert werden. Nur drei von vielen Maßnahmen, mit denen schwere oder sogar tödliche Unfälle mit Radlern verhindert werden sollen. Und doch muss die Polizei durchschnittlich 20 Radunfälle pro Tag aufnehmen, allein in diesem Jahr wurden bereits sechs Fahrradfahrer getötet. In der Nacht zu Freitag wurde nun eine junge Frau lebensgefährlich verletzt.
Ersten Ermittlungen zufolge war die Radlerin aus der Kopernikusstraße kommend über eine rote Ampel auf die Warschauer Straße gefahren. Ein Taxi konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und rammte die Frau. Sie wurde auf die Frontscheibe des Wagens und von dort auf die Straße geschleudert, schwer verletzt und musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Der Fall zeigt: Auch wenn Radfahrer naturgemäß die schwächeren Verkehrsteilnehmer sind, bedeutet es nicht, dass sie auch vorsichtiger fahren. Laut Verkehrsunfallstatistik der Berliner Polizei waren Radfahrer im Jahr 2016 in 47,61 Prozent aller Unfälle mit Radler-Beteiligung Hauptunfallverursacher.
An erster Stelle bei den Hauptunfallursachen der Radfahrer steht der ungenügende Sicherheitsabstand und das Durchschlängeln zwischen stehenden Autos, ohne dafür ausreichenden Platz zu haben. Die falsche oder verbotswidrige Benutzung von Fahrbahnen und Straßenteilen, vor allem das Befahren von Gehwegen und die Benutzung von Radwegen in falscher Richtung, steht an zweiter Stelle. Eine weitere Hauptunfallursache ist das falsche Verhalten beim Einfahren in den Fließverkehr. Häufig werden nach einer verbotswidrigen Benutzung des Gehweges dann plötzlich Fahrbahnen gekreuzt. Falsches Einschätzungsvermögen sowie die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten sind laut Polizei zudem oft die Voraussetzungen für solche Fehlverhaltensweisen.
Leichtsinn und Selbstüberschätzung
Autofahrer reagieren auf solche, aus welcher Motivation auch immer begangenen Fahrfehler zudem häufig aggressiv. Der Grund, so sind sich Verkehrspsychologen sicher: Sie fühlen sich hilflos, ohnmächtig und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dann wird der Radler angehupt, beschimpft oder sogar geschnitten. Wut und Zorn als eine Form der Selbstbehauptung, mit der die vermeintlich verlorene Kontrolle über das Geschehen wiedererlangt werden soll: Vor diesen Reaktionen, meint Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss, sei niemand gefeit, in Extremsituationen könne „das jedem passieren.“ Also auch dem sonst so geduldigen Familienvater oder nahezu immer verständnisvollen Pädagogen.
Im Rahmen der Kampagne „Rücksicht im Straßenverkehr“ appelliert Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, an den gesunden Menschenverstand. „Die Kampagne fordert dazu auf, die Gewohnheiten und das eigene Verhalten im Straßenverkehr zu überdenken und sich die Frage zu stellen: Wie wirkt mein Verhalten auf andere Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer?“
Und der Automobil Club Europa (ACE) ist überzeugt, dass der Zeitgeist eine Mitschuld an dem täglichen Jeder-gegen-jeden trägt: „Es sollte allen klar sein: Je lieber wir uns in einem einzig auf Tempo, Konkurrenz, Vorteil und Rendite gedrillten Gesellschaftssystem bewegen, desto mehr ungeliebte Rambos tummeln sich auf unseren Straßen.“