Raser in Berlin: Mit dem Frühling beginnt die Rennsaison
Immer wieder lässt der Audi-Fahrer auf der Bismarckstraße den Motor aufheulen. Er will offensichtlich den Fahrer des Wagens neben ihm zum Autorennen einladen. Mehrmals beschleunigt er und bremst ab. Er weiß nicht, dass im Wagen neben ihm eine Zivilstreife des Verkehrsdienstes sitzt.
Die Polizisten halten den 41-Jährigen an und beschlagnahmen seinen Führerschein. Sie erstatten Anzeige wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens. An die Windschutzscheibe des Audi A8 kleben sie eine grüne Beschlagnahme-Plakette und lassen ihn auf einen Transporter hieven. Jetzt steht das Auto, das am vergangenen Sonnabendvormittag beschlagnahmt wurde, auf einem Sicherstellungsgelände der Polizei.
In Berlin beginnt die Rennsaison
Mit dem Frühling beginnt in Berlin die Rennsaison. Die Polizei richtet sich darauf ein, dass junge Männer sich auf den Straßen illegale Autorennen liefern oder – das ist der zweite Aspekt des PS-Frühlings – bei sogenannten Profilierungsfahrten die Stärke und Lautstärke der Motoren ihrer Protz-Autos testen. Im vergangenen Jahr stoppte die Polizei in der Stadt illegale Autorennen, bei denen sie insgesamt 163 Autos beschlagnahmte. Die Beamten zogen zudem 130 Führerscheine ein.
Bislang galt die Teilnahme an illegalen Rennen im Straßenverkehr nur als Ordnungswidrigkeit. Im Oktober 2017 trat der Paragraf 315d des Strafgesetzbuches in Kraft. Das war eine Konsequenz aus der Nacht zum 1. Februar 2016. Damals wurde ein 69-jähriger Fahrer eines Jeep auf der Tauentzienstraße getötet, weil sich der 27-jährige Hamdi H. und der 30-jährige Marvin N. mit hochmotorisierten Autos ein Rennen lieferten.
279 Ermittlungsverfahren im vergangenen Jahr in Berlin
Der neue Strafrechtsparagraf stellt nicht nur Rennen, an denen mehrere Fahrzeuge teilnehmen, unter Strafe. Auch Einzeltäter müssen mit bis zu zwei Jahren Haft oder zu einer hohen Geldstrafe rechnen. Bringen sie Gesundheit und Leben anderer in Gefahr, dann drohen bis zu fünf Jahre Haft. Bei Tod können es bis zu zehn Jahre Haft sein.
Von den 279 Ermittlungsverfahren, die 2018 von der Berliner Polizei wegen des Raserparagrafen eingeleitet wurden, betreffen fast die Hälfte Einzeltäter. Paragraf 315f, der ebenfalls 2017 ins Strafgesetzbuch kam, erlaubt es, Autos, die bei illegalen Rennen eingesetzt wurden, einzuziehen.
Berliner Polizei intensiviert Verkehrsüberwachung
„Der Senat hat den tödlichen Verkehrsunfall auf der Tauentzienstraße am 1. Februar 2016 zum Anlass genommen, die Polizei zu bitten, stadtweit ihre zielgerichteten Verkehrsüberwachungsmaßnahmen deutlich zu intensivieren“, teilte Innenstaatssekretär Torsten Akmann vor einiger Zeit auf eine parlamentarische Anfrage der SPD mit. Seit der Einführung des Paragrafen 325d seien die Polizisten erheblich aufmerksamer im Erkennen von Rennverläufen, so Akmann. Dies sei vor allem deshalb bedeutend, weil verbotene Autorennen konspirativ oder sehr kurzfristig vereinbart oder ad hoc durchgeführt würden.
Immerhin leitete die Polizei nach Inkrafttreten des neuen Paragrafen im vergangenen Jahr 279 Ermittlungsverfahren wegen Rasens ein. Davon richteten sich 146 Anzeigen gegen Einzeltäter. Bei den übrigen ging es um mehrere Beschuldigte, wegen des Verdachts an einem Rennen beteiligt gewesen zu sein.
Unterschied zwischen Raser- und Tuning-Szene
Die beschlagnahmten Autos werden auf Sicherstellungsgelände der Polizei gebracht: an die Cecilienstraße, Ecke Blumberger Damm in Biesdorf und zur Belziger Straße in Schöneberg. Dort stehen die Autos dann, bis ein Richter irgendwann über die Herausgabe entscheidet.
Oliver Woitzik arbeitet im Stab der Polizeipräsidentin. Er beschäftigt sich mit der Szene, die in Berlin unorganisiert und spontan ist. „Es gibt drei Bereiche, die sich unterscheiden. Zum einen die Tuning-Schrauber und Fahrer, zum anderen die Profilierungsfahrer, die mit aufheulenden, lautstarken Motoren durch die Innenstadt fahren und die Männer die sich illegale Rennen liefern und das Leben Unbeteiligter stark gefährden.“
Beginn am Karfreitag, dem "Car-Freitag"
„Schrauber“ sind auch Heinz K. und Ali Ö. Die Autoschlosser betreiben im Norden Pankows eine kleine Werkstatt. Sie leben von Stammkunden, die ihre Neuwagen oder gebrauchten Autos bringen. Sie tunen Autos, verbessern, schrauben, reparieren, tauschen aus – je nachdem, was die Kunden verlangen und gesetzlich erlaubt ist. Und an das Gesetz halten sie sich, wie sie sagen.
Zur Zeit haben sie viel zu tun, denn die Freunde getunter Wagen bereiten sich auf die Saison vor. Sie begann in den vergangenen Jahren immer am Karfreitag unter dem Stichwort Car-Freitag. Das soll auch in diesem Jahr wieder so sein. In den vergangenen Jahren trafen sich Hunderte Fahrer mit ihren Gefährten auf einer großen Parkfläche vor einem Schnellrestaurant in Mahlsdorf oder vor OBI an der Paulsternstraße in Spandau. Die Treffen finden zumeist von April bis Oktober jeden Sonnabend statt, in der Zeit von 20 bis 24 Uhr.
Bei getunten Autos geht es auch um deren Aussehen
Äußerlich sind getunte Autos an modifizierten Scheinwerfern und Rückleuchten, den breiteren Reifen oder zusätzlichen Spoilern zu erkennen. Auch die Lackierung hat mit der Farbe der Fahrzeug-Hersteller nicht viel zu tun.
Den Fahrern solcher getunter Wagen geht es auch um das Aussehen der Fahrzeuge – und nicht um Wettfahren, sagen Heinz und Ali. Die Wagen seien ihren Besitzern einfach zu teuer, um sich auf risikoreichen Strecken Rennen zu liefern. „Das machen nur Leute ohne Hirn und Verstand“, sagen die Schrauber.
1000 Euro Wetteinsatz für die Fahrt nach Warnemünde
99 Prozent dieser Raser sind Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Illegale Rennen entstehen spontan, beispielsweise an roten Ampeln, sagt Polizist Woitzik. Nur sehr selten werden Wettfahrten organisiert. Die letzte, von der die beiden Schrauber gehört haben, ist bereits mehrere Monate her, sagen sie.
Fünf Männer hätten sich zu einer Wettfahrt von Heinersdorf nach Warnemünde verabredet. Jeder habe 1000 Euro Wetteinsatz bezahlt, der Sieger erhielt die ganze Summe. Da sich die Fahrer bei solchen Rennen nicht gemeinsam auf den Weg machen, sondern am Ziel die Zeiten vergleichen, fallen die Rennen der Autobahnpolizeien meist gar nicht auf.
Illegale Wettfahrten gibt es vor allem im Westen Berlins
Illegale Wettfahrten im Berliner Stadtgebiet finden vorrangig im Westteil statt. Aber auch die Landsberger Allee im Osten gehört zu den zehn Top-Strecken. An der Spitze der Liste der beliebtesten Strecken steht der Kurfürstendamm, gefolgt vom Siemensdamm. Profilierungsfahrer sind hauptsächlich am Kurfürstendamm unterwegs. Sie protzen mit ihren auffälligen Fahrzeugen. Den Fahrern gehe es kaum darum, schneller zu sein, als ein anderer, sagte Polizist Woitzik.
Sie wollen auffallen. Dabei fahren sie auf Busspuren und wechseln schnell die Fahrstreifen. Profilierungsfahrten sind keine Straftaten sondern Ordnungswidrigkeiten. Weist die Polizei technische Manipulationen an Auspuffen, Motoren oder anderen Fahrzeugteilen nach, kann von der Polizei die Betriebserlaubnis entzogen werden. Dann ist es mit der PS-Show erst einmal vorbei.