Zoff in Marzahn: „Der Streit wird zu einem psychischen Problem“
Zwei Rentnerinnen streiten seit Monaten, Schlichtung scheint unmöglich: In den vergangenen Tagen ist der Sicherheitsdienst im Marzahner Mehrfamilienhaus nachts bis zu sieben Mal im Einsatz gewesen - wegen eines zu lauten Fernsehers.

Der bizarre Nachbarschaftskrieg in einem Mehrfamilienhaus in Marzahn spitzt sich immer mehr zu: Fast jede Nacht muss die Lärmschutzpolizei, ein privater Sicherheitsdienst, Wachpersonal rausschicken.
Aber schlichten können sie den Streit nicht. Wie bereits berichtet hat ein zu laut eingestellter Fernseher zu einem Konflikt zwischen zwei Bewohnerinnen geführt und beschäftigt seitdem auch die Berliner Sicherheitsbehörden.
Es ist 21.30 Uhr. Frührentnerin Elke S. sitzt in ihrer Wohnung auf der Bettkante und weint. „Ich kann nicht mehr. So geht das jede Nacht und ich bekomme keinen Schlaf“, sagt die 54-Jährige. Die Geräusche des Fernsehers aus einer der unteren Wohnung schallen bis hinauf in den vierten Stock ihrer Zweizimmerwohnung. Elke S. greift wie fast jeden Abend zum Hörer, um die Lärmschutzpolizei anzurufen. Auch aus einer weiteren Wohnung soll ein Fernseher Lärm verursachen.
Die Nacht zuvor hat sie gleich fünf Mal beim Wachschutz angerufen, das erste Mal um 20.30 Uhr, das letzte Mal um 0.30 Uhr. So steht es in ihrem eigenen Protokoll. Zwei Einsätze sind auch von der Lärmschutzpolizei dokumentiert worden. „Es kann auch sein, dass es mehrere waren. Wir schaffen es nicht immer, alle schriftlich zu erfassen“, sagt eine Mitarbeiterin der Lärmpolizei der Berliner Zeitung, die anonym bleiben möchte. Die Polizei Berlin bestätigt ebenfalls, dass es kurz nach 23 Uhr einen Einsatz wegen „eines gemeldeten unzulässigen Lärms“ in dem Mehrfamilienhaus gab.
Mitarbeiterin eines Wachschutzes: „Es wird zu einem psychischen Problem“
„Mir tut die Dame wirklich leid. Sie möchte einfach nur ihre Ruhe. Der Streit wird zum psychischen Problem“, so die Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes weiter. Sie hätten selbst nicht mehr Handlungsmacht, als immer wieder hinzufahren und die Nachbarn zu bitten, ihre Fernseher leiser zu stellen oder Kopfhörer zu verwenden. In ihren Augen sei es Aufgabe der Wohnungsgesellschaft Degewo nun endlich mal für die Dame in die Bresche zu springen. „Mein Eindruck ist aber, dass Elke S. als verrückt dargestellt wird und ihr Problem nicht ernst genommen wird. Das finde ich einfach unverschämt“, betont sie.
Als die Reporterin an der Wohnungstür klingelt, aus der Lärm kommt, macht niemand auf. „Das sind ältere Leute. Die schlafen auf dem Sofa vor dem Fernseher ein“, sagt Elke S. Sie selbst findet kaum noch eine Nacht in den Schlaf und war schon mehrmals beim Arzt, um sich die Belastung medizinisch attestieren zu lassen. Die ehemalige Mitarbeiterin eines Jugendamtes hat gleich drei tragische Schicksalsschläge erlebt und ist nach mehreren Bandscheibenvorfällen erwerbsunfähig. „Mein Ehemann und zwei meiner vier Kinder sind an Krebs verstorben. Ich möchte endlich mal irgendwo meinen Frieden finden“, erzählt sie. In ihrer letzten Wohnung hatte sie Raucher unter sich und Mängel und musste deshalb in diese Wohnung umziehen.
Vor zwei Wochen berichtete die Berliner Zeitung schon einmal über Kleinkrieg der beiden Nachbarinnen Elke S. und Renate S., der auch die Berliner Polizei und Generalstaatsanwaltschaft beschäftigt, weil diverse Strafanzeigen vorliegen. Elke S. hat wegen Störung des Hausfriedens schon eine Abmahnung von der Degewo bekommen.
Elke S. fand unter anderem Hundekot in ihrem Briefkasten, gab zu, ihn danach bei ihrer Nachbarin Renate S. in den Briefkasten geworfen zu haben. Rentnerin Renate S. behauptete, dass Elke S. den Hundekot in ihren Briefkasten gelegt haben soll. Sie gestand gegenüber der Berliner Zeitung aber, Nagelöl vor der Wohnungstür ihrer Nachbarin Elke S. ausgegossen zu haben, damit diese dort ausrutschen soll. Außerdem beschimpfte Renate S. ihre Nachbarin als „diebische Elster“, weil sie Blumenkränze von ihrer Wohnungstür gestohlen haben soll und sie soll nachts immer laut in ihrer Wohnung klopfen. Die könne ihr ohnehin gar nichts, behauptete Renate S.: „Ich bin über 80 und habe hier im Haus Welpenschutz.“

Nun will Elke S. erneut böse Überraschungen erlebt haben. „Vor ein paar Tagen hatte ich wieder Hundescheiße in meinem Briefkasten und mein Wohnungstürschloss war mit Nadeln blockiert, sodass ich abends nicht mehr in meine Wohnung kam“, sagt sie. Sie habe auf einer Parkbank hinter dem Haus übernachtet, weil der Schlüsseldienst einen so horrenden Preis verlangt habe. 300 Euro sollte sie für die Türöffnung zahlen. Die Berliner Zeitung erreichte Renate S. diesmal leider nicht für eine Stellungnahme.
Der Rechtsbeistand von Elke S. will nun Mietminderungsbeträge bei Gericht einklagen. „Man stempelt meine Mandantin in eine bestimmte Richtung ab. Das ist nicht fair und gerechtfertigt“, sagt Rechtsanwältin Marion Vorpahl der Berliner Zeitung. Die Degewo könne Druck auf die anderen Mieter ausüben, die ihre Fernseher so laut hätten. Für Elke S. sei die Situation sehr belastend, weil sie alles darlegen und beweisen müsse.
Auf Anfrage der Berliner Zeitung bei der Degewo, was man derzeit gegen die Streitigkeiten unternimmt, teilte Sprecher Stefan Weidelich mit: „Alle Maßnahmen, die wir als Vermieter unternehmen konnten, sind erfolgt.“ Er bestätigte der Berliner Zeitung bereits vor zwei Wochen, dass das Unternehmen den beiden Frauen ein Mediationsverfahren angeboten habe und hierfür auch die Kosten übernehme. Aus datenschutzrechtlichen Gründen habe die Degewo keine weiteren Informationen über das Verfahren selbst erhalten. Und weiter: „Mit dem privaten Sicherheitsdienst versuchen wir weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, für ein gutes Miteinander zu sorgen“, so Weidelich.
Doch Elke S. glaubt nicht mehr an eine friedliche Einigung. Sie hat sich heute eine Wohnung in Spandau angeschaut. Sie hat nur 34 Quadratmeter und soll mehr kosten. „Ich bin schon so verzweifelt, dass ich verschlechtern würde. Nur damit ich hier endlich wegkomme.“