So lief der Frauentag in Berlin: Feminismus-Fest auf der Frankfurter Allee

Gegen Spaltung und für eine internationale und solidarische Frauenbewegung: Zwei Demonstrationen versuchen das auf unterschiedliche Weise zu erreichen.

Am Frankfurter Tor liegt der Fokus auf der internationalen Vereinigung.
Am Frankfurter Tor liegt der Fokus auf der internationalen Vereinigung.Andreas Friedrichs/Imago

Bengalos brennen auf einem Hausdach am U-Bahnhof Samariterstraße, Feuerwerksraketen pfeifen und besprenkeln den grauen Berliner Himmel mit grünen und goldenen Funken. Die Demonstrantinnen jubeln und schauen mit glitzernden Augen nach oben auf ein Banner: „The Future is Revolutionary Feminism“, steht dort. Die Frauen auf der Frankfurter Allee feiern ihren Tag als ein solidarisches internationales Fest.

Cis-Männer sind bei dem Demonstrationszug vom Frankfurter Tor bis zur Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg nicht erwünscht. Ein paar wenige, die so aussehen, stehen am Rand, ansonsten sind – so weit das Auge reicht – Frauen zu sehen: Frauen aus Lateinamerika, Schwarze Frauen, Frauen aus dem Iran, der Türkei. Sie tanzen zu Trommelmusik und skandieren „Jin, Jiyan, Azadî“, das ist Kurdisch für „Frauen, Leben, Freiheit“. Laut Polizei sind etwa 4000 Menschen gekommen.

Rahel ist allein auf der Demo unterwegs und „begeistert“. Die Menschen hätten sich rausgeputzt, sagt sie, sie sähen alle toll aus. „Ich finde das Gefühl schön, einfach nur unter Frauen zu sein“, sagt sie. „Als ich mich hier bewegt habe, hatte ich den Gedanken, dass Frauen einfach die angenehmeren Mitmenschen sind.“ Frauen fehle oft der Raum, um ihr Potenzial zu entdecken und sich auszuprobieren.

Auf der Frankfurter Allee wird demonstriert. Bengalos und Feuerwerk werden auf einem Hausdach gezündet. Die Polizei spricht von 4000 Demo-Teilnehmerinnen. 
Auf der Frankfurter Allee wird demonstriert. Bengalos und Feuerwerk werden auf einem Hausdach gezündet. Die Polizei spricht von 4000 Demo-Teilnehmerinnen. Maria Häußler/Berliner Zeitung

Die Stimmung ist entspannt, die Teilnehmerinnen bewegen sich langsam und nehmen in der Menge aufeinander Rücksicht. Transfrauen in Leopardenlook schlendern neben gepiercten Frauen mit zerschlissener Jeansjacke oder schwarzer Kapuze. Viele von ihnen halten kleine Pappschilder hoch: „Macker auf die Knie“, „Big Clit Energy“ und „Stop Femicide“ steht darauf. Eine Frau hält ein Gemälde einer bunten Vulva hoch, auf der Rückseite stehen alle möglichen Bezeichnungen dafür. Ursprünglich stehe das Gemälde für eine argentinische Bewegung, die sich für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt, sagt die 29-jährige Luisa. Diese Bewegung sei die, die sie persönlich am meisten geprägt habe. Heute gehe es aber vor allem um die Frauen im Iran.

Die Menschen hier sind eher jung, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist zu spüren. „Eine andere Welt ist in der Produktion“, sagt eine Rednerin, die für die iranische Frauenbewegung spricht. Feministinnen seien global viel besser vernetzt als früher.

Wege zur Vereinigung

Die Rednerinnen sprechen verschiedene Sprachen, sie nehmen Bezug auf weltweite Kämpfe und betonen, dass ihr Feminismus intersektional und international sei. Intersektional bedeutet, dass er Mehrfachdiskriminierungen miteinschließt. Damit richten sie sich neben dem Patriarchat auch gegen Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus. „In unserem Feminismus sind Transgender, nonbinäre Menschen und Sexarbeiterinnen nicht nur mitgedacht und mitgemeint, sondern werden als essentieller Teil der Bewegung verstanden“, sagt eine Rednerin der koreanischen Trostfrauen. Damit wehre man sich gegen jede Spaltung.

Luisas Zeichnung ist schon ein paar Jahre alt.
Luisas Zeichnung ist schon ein paar Jahre alt.Maria Häußler/Berliner Zeitung

Explizit gegen eine Spaltung der feministischen Bewegungen richtet sich eine Demonstration auf dem Platz der Republik. Streichmusik sorgt für bedächtige Stimmung. Eine Frau mit dunklen Haaren singt dazu: „Ich habe meine Kinder zur Liebe geboren.“ Es ist das Lied der Mütter gegen den Krieg. Vor der Bühne schweben Luftballons über den Fotos der ermordeten Frauenrechtlerinnen im Iran. Sie sind in Richtung des Deutschen Bundestags ausgerichtet. Frauen von Terre de Femmes halten Schilder mit Jahreszahlen in die Höhe, die zeigen, wann sich diskriminierende Gesetze geändert haben. Direkt neben ihnen stehen die Omas gegen Rechts. Vor allem ältere Frauen sind heute am Frauenkampftag hierhergekommen, um verschiedene feministische Bewegungen zusammenzubringen.

Die Demonstration „Gemeinsam sind wir mächtig“ will, dass Frauen ihre Kämpfe vereinen und gemeinsam demonstrieren. Am 8. März sind mehr als fünf verschiedene Demonstrationen für Frauenrechte angemeldet worden. Der Feminismus hat verschiedene Strömungen. So widmet sich die gewerkschaftliche Demonstration heute vor allem dem Kampf der Arbeiterinnen, die queerfeministische der Gleichberechtigung von LGBTQI+-Personen und die internationale Demonstration vom Frankfurter Tor nimmt Bezug auf eine globale Vernetzung.

Demo-Organisatorin: Es gibt noch genauso viele Vergewaltigungen wie vor 50 Jahren

In einem Rollstuhl am Rande des Aufbaus sitzt eine Frau in einem stattlichen weißen Pelzmantel. Ursula Häusler ist 73 Jahre alt und hat diese Demonstration mit organisiert. „Der Feminismus ist keine Ideologie, sondern eine Bewegung“, sagt sie. Deshalb orientiere sie sich auch an keiner bestimmten Vordenkerin. „Gewalt gegen Frauen“, das sei die Ungerechtigkeit, die feministische Kämpfe vereint und auf die sie sich konzentriere. Was fehle, sei die gemeinsame Präsenz, das hier könnte vielleicht ein Anfang sein, meint sie. „Akademisch ändert sich etwas“, sagt Häusler. „Gesetzestexte werden umgeschrieben. Aber es gibt heute immer noch genauso viele Vergewaltigungen wie vor 50 Jahren.“ Das Thema werde mehr diskutiert, aber es gebe keine wirkliche Veränderung.

Internationaler Frauentag: feministische Kundgebung in Berlin
Internationaler Frauentag: feministische Kundgebung in BerlinMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Gegen 12.30 Uhr ist der Bühnenaufbau abgeschlossen, etwa 150 Menschen haben sich versammelt, es sind auch ein paar Männer dabei. Häusler hofft, dass dies ein Startpunkt sein kann und im nächsten Jahr mehr Teilnehmerinnen kommen. Eine Tanzgruppe aus dem Iran trägt weiße Masken „zum Schutz“, da ihr Engagement sonst eine Gefahr für ihre Familien im Iran sein könnte. An der Bühne hängt ein Banner, „Women, Life, Freedom“. Auf der von iranischen Frauen dominierten Demonstration fällt auf, dass neben ihnen die Organisation Terre de Femmes mit vielen Mitgliedern vertreten ist. Kritiker sagen, ihre Auffassung des Feminismus sei rassistisch und transfeindlich geprägt. Auf den anderen, eindeutig linkspolitischen Demonstrationen würde die Bewegung aber möglicherweise offener abgelehnt.

Dürfen Cis-Männer am Frauentag für den Feminismus demonstrieren?

Es ist außerdem eine heiß diskutierte Frage, wie und ob Cis-Männer am Frauentag für den Feminismus auf die Straße gehen sollen. Für Ursula Häusler steht die Diskussion nicht im Vordergrund. Bei der Frage seufzt sie und verdreht die Augen. „Es geht heute nicht um die Männer!“ Ob sie dabei sind oder nicht, wolle sie nicht vorschreiben. Häusler stellt aber klar, dass sich die Demonstration nicht gegen Männer richte, sondern gegen das Patriarchat und seine Strukturen, unter denen auch Männer leiden. Eine der Omas gegen Rechts kritisiert dagegen, dass so wenige Männer anwesend seien. „Es müssten viel mehr sein“, ruft sie nach einem Interview mit einer anderen „Oma“ dazwischen.

Auf der Bühne stimmt derweil ein iranischer Chor ein Lied an. Es klingt traurig, die Stimmen verschwinden auf dem großen Platz zunächst im Wind, doch dann schwellen sie an. Die Grundemotion, das sei teils Wut, meint Ursula Häusler. „Es ist aber auch ein Stück Verzweiflung“, sagt sie. „Darüber, dass sich bis zum Ende meines Lebens so wenig verändert hat.“