Berliner spenden für Erdbeben-Opfer: „Egal ob Türken, Araber oder Kurden – alle helfen allen“

Überall in Berlin spenden die Menschen Hilfsgüter für die Erdbeben-Opfer in der Türkei und Syrien. Wem genau geholfen wird, ist dabei häufig zweitrangig.

Vereinsvorstand Ibrahim al Sayed ist stolz auf die Hilfsbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner.
Vereinsvorstand Ibrahim al Sayed ist stolz auf die Hilfsbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Am Mittwochvormittag muss Ibrahim al Sayed immer noch das Durcheinander organisieren: viele Spenden, viele Helfer und dann noch die Gedanken an die Heimat. Seine Schwester lebe mit ihren Kindern in Kahramanmaraş, der Ort, der gerade weltbekannt wurde, weil dort das Epizentrum des Erdbebens vom Montag lag. „Auch ihr zu Hause ist eingestürzt“, sagte er. Er wischt sich eine Träne aus dem Auge. Dann: „Es geht aber allen zum Glück gut.“

Al Sayed ist Vorstand des syrischen Kultur- und Sportvereins Salam in Wedding und startete bereits am Montag eine Hilfsaktion. Ab Dienstag um 14 Uhr bat der Verein um Spenden, nach drei Stunden waren alle Räume voll, dass sie auf den Bürgersteig ausweichen mussten. Am Mittwoch klebt im Schaufenster des Vereinsheims noch dieser Zettel: „Spenden für Erdbebenopfer in Osttürkei/Nordsyrien können hier abgegeben werden. Danke.“

Insbesondere Bekleidung, Windeln, Babypuder und Grundlebensmittel kommen viel zusammen, säckeweise liegen die Hilfsgüter auf dem Bürgersteig und werden in Kartons verpackt, die dann via Transporter in ein Versandzentrum in Teltow verschickt werden können.

Eines hört man in den Hilfezentren zwischen Wedding, Kreuzberg und Neukölln häufig: Hauptsache, es wird geholfen. In welches der beiden betroffenen Länder die Spenden letztendlich gehen, sei zunächst zweitrangig. Die türkisch-syrische Grenzregion war am Montag von einem der schlimmsten Erdbeben der vergangenen Jahrzehnte heimgesucht worden. Stand Dienstag starben mindestens 11.200 Menschen, über 45.000 wurden verletzt.

Nach zwei Tagen stehen Tausende Kartons mit Hilfsgütern zum Abtransport in die Türkei bereit. Bei einer Spendenaktion im Märkischen Viertel kamen in den vergangenen zwei Tagen insgesamt 450 Europaletten voller Sachspenden zusammen. Das sagte eine Mitarbeiterin der Kaplan Food GmbH, die ihre Lagerhalle in der Quickborner Straße für die Aktion zur Verfügung gestellt hatte. Darunter sind demnach unter anderem Decken, Kleidung, Medikamente und Hygieneartikel. Die Spenden sollen noch am gleichen Tag per Lkw und per Flugzeug in die Türkei gebracht werden.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) besuchte die Lagerhalle am Mittwoch und dankte den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. „Es ist immens, was hier auf die Beine gestellt wurde“, sagte Giffey. „Berlin hilft und ist in dieser riesigen Katastrophe solidarisch.“ Laut Giffey soll am Flughafen BER eine Halle für den Flugtransport zur Verfügung stehen.

Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin, in einer Lagerhalle der Kaplan Food GmbH in der Quickborner Straße, wo Sachspenden für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien gesammelt werden
Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin, in einer Lagerhalle der Kaplan Food GmbH in der Quickborner Straße, wo Sachspenden für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien gesammelt werdendpa

Auch am Konservatorium für türkische Musik in Kreuzberg kamen zahlreiche Spenden zusammen. Die Hilfsbereitschaft der Menschen sei so groß, dass keine weiteren Spenden mehr aufgenommen werden könnten, so die Organisatoren. Auch das Türkische Generalkonsulat will demnach ein bestimmtes Kontingent an Hilfsgütern liefern. Noch am Mittwochabend soll Turkish Airlines eine Maschine mit rund 500 Kartons in die betroffenen Erdbebenregionen fliegen – es werde aber noch weitere Flüge brauchen, um all die Sachen auch zu senden, so die Musikschule.

Zwei junge Frauen kommen gegen Mittag am Mittwoch zum Verein Salam. Eine von ihnen, die 18-jährige Studentin Zeynep Akin, packt Pakete zusammen. Ihre Familie komme aus Istanbul, sagt sie, sie seien also selbst nicht betroffen. „Aber Mensch ist Mensch“, sagt Akin, sie wolle einfach nur helfen, wo es geht. In ihrem Freundeskreis machen das momentan auch viele. „Ich habe auf Instagram erfahren“, sagt sie, „dass hier im Wedding noch Spenden angenommen werden.“ Also sei sie hin. Jemand tippt Akin auf die Schulter. Ob sie türkisch spreche? Akin bejaht und hilft mit der Übersetzung der Beschriftungen auf den vielen Kartons.

Auch die Polizei steuerte drei Autos bei

Vor Ort in der Türkei und in Syrien erschwert auch die politische Lage die Hilfen – so etwa am einzigen offenen Grenzübergang Bab al-Hawa. Wegen Straßenschäden verzögere sich dort die Lieferung humanitärer Hilfe, sagten UN-Quellen der Deutschen Presse-Agentur. Aus der Gegend des Grenzübergangs hieß es, einige Hauptstraßen auf dem Weg zur Grenze hätten durch die Beben Risse oder andere Schäden erlitten.

Ibrahim al Sayed kann von Wedding aus schwer einschätzen, wie die Versorgungslage vor Ort aussehe. Aber hier in Berlin sei er ehrlich begeistert, wie viel Solidarität den Menschen in der Türkei und in Syrien entgegengebracht werde. „Egal ob Türken, Araber oder Kurden“, sagt er, „alle helfen allen.“ Auf den Rückhalt in der Nachbarschaft sei er besonders stolz, sagt er, auch die Polizeidirektion um die Ecke hätte drei Autos für den Transport von Hilfsgütern beigesteuert.