Rettung der Raffinerie Schwedt: Bürgermeisterin fordert Tempo von Robert Habeck
Das Öl soll aus dem Rostocker Hafen kommen. Allein die Ertüchtigung der Leitungen kostet 350 Millionen Euro. Annekathrin Hoppe kritisiert Langsamkeit beim Bund.

Ab Januar plant die EU ein Ölembargo gegen Russland. Eine zentrale Frage lautet: Wird die PCK-Raffinerie Schwedt zum ersten wirtschaftlichen Opfer der Sanktionen in Deutschland? Das treibt auch Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD) um. Am Montag tagte dort die Taskforce Schwedt zum zweiten Mal. Ihr Chef Michael Kellner (Grüne), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, gab sich vorsichtig optimistisch und hofft, dass die Raffinerie überleben kann. Bislang wird sie vollständig über die Druschba-Pipeline aus Russland versorgt. Die Sitzung war der Bürgermeisterin so wichtig, dass sie trotz Quarantäne per Videoschalte teilnahm. Hinterher konnten wir mit ihr telefonieren.
Frau Hoppe, alle wollen die PCK-Raffinerie retten: Zur Kundgebung von Mitarbeitern und Bürgern am Mittwoch vergangener Woche kamen Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sowie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Am Montag tagte bei Ihnen die Taskforce. Können Sie etwas entspannter in die Zukunft blicken?
Nein, für Entspannung gibt es überhaupt keinen Anlass. Denn es gibt noch keine Alternative für das Rohöl aus der Druschba-Trasse. Künftig soll Öl aus anderen Ländern per Schiff nach Rostock kommen. PCK-Fachleute haben nun untersucht, ob es technisch machbar ist, mehr Öl vom Hafen Rostock über die vorhandene Pipeline nach Schwedt zu leiten.
Staatssekretär Keller sagte nach der Sitzung der Taskforce, dass die Pipeline erst ertüchtigt werden müsse. Ist das realistisch?
Für uns kann die Rettung nur mit der bisherigen Leitung aus Rostock gelingen. Eine bauliche Ertüchtigung dauert mindestens zwei Jahre. Selbst wenn Bund und Länder bei den Genehmigungsverfahren schneller sind, wäre ein Umbau nicht bis Jahresende umsetzbar.
Im Mai stellte Habeck ein Drei-Stufen-Modell vor: Erstens soll Öl über den Hafen Rostock geliefert werden. Zweitens: Die anfallenden Mehrkosten übernimmt der Bund. Drittens: Der russische Mehrheitsgesellschafter der Raffinerie soll durch ein Treuhandmodell ersetzt werden. Was ist davon umgesetzt?
Nichts. An der Rohölzufuhr über Rostock wird gearbeitet. Die vorher geplante Ölzufuhr über Danzig spielt keine Rolle mehr. Und bei der Gesellschafterfrage hält sich Herr Kellner weiterhin bedeckt. Da kennen wir also keinen Arbeitsstand.

Gibt es neben Solidaritätsbotschaften und Versprechen irgendwelche schriftlichen Zusagen?
Nein. Es gibt den Handschlag von Minister Habeck für eine Schwedter Ärztin, die die Kundgebung gemeinsam mit einem Bürgerbündnis organisiert hat. Bei dem Handschlag ging es um die Frage, ob der Bund finanziell aushelfen wird. Es geht um viel Geld. Die Geschäftsführung der PCK hat am Montag ihr Positionspapier überreicht. Etwa 350 Millionen Euro sind nötig, um bei der Leitung aus Rostock den Durchfluss zu erhöhen. Aber schriftliche Zusagen zur finanziellen Unterstützung gibt es nicht.
Kämpfen Sie weiter für eine Ausnahme vom Ölembargo für Schwedt, oder ist das unrealistisch?
Unrealistisch ist es erst, wenn es ein ganz klares Nein gibt. Da ist noch die Idee, kasachisches Öl durch die russischen Leitungen zu pumpen. Das wäre ein Weg für die Übergangszeit.
Wagen Sie für uns Laien bitte eine Prognose: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das PCK gerettet wird?
Die Frage ist eher: Wird PCK zu 100 Prozent gerettet oder nur zu 70 Prozent? In der Taskforce-Sitzung wurde klar: Es gibt realistische Zukunftsideen, die aber gewollt, unterstützt und gefördert werden müssen. Die Firmen Verbio und Reinertrag zeigen Interesse an einem Einstieg. Bei Verbio geht es um Bio-Diesel, Bio-Ethanol, Bio-Gas. Vor allem Bio-Gas wäre wichtig für die Wasserstoffproduktion, um in Schwedt E-Fuels herzustellen, also alternative Kraftstoffe.
Habeck wird Zögerlichkeit vorgeworfen: dass er seine Taskforce nicht selbst leitet, dass sie in fast sechs Wochen nur zwei Mal tagte. Ist der Bund zu langsam?
Ja, wir würden uns mehr Tempo wünschen. Die nächste Sitzung ist auch erst nach der Sommerpause. Das ist unverständlich. Da gehen wieder sechs Wochen ins Land.

Es heißt, dass bestenfalls 70 Prozent der bisherigen Ölmengen über Rostock geliefert werden können. Damit wäre die Raffinerie nicht wirtschaftlich, es fehlten die Gewinne, um den Standort zu einer Raffinerie der Zukunft umzubauen. Ist das Schwarzmalerei?
Nein. Darum geht es am Ende. Wenn nur 70 Prozent des Öls geliefert werden, bleiben auch nicht alle Arbeitskräfte erhalten. Aber genau dafür setzen wir uns so vehement ein.
Sie geben die Hoffnung nicht auf. Haben Sie dennoch den Haushalt der Stadt schon mal sicherheitshalber gekürzt?
Bislang gehen wir nicht von einer Schließung aus und haben auch im Haushalt noch nichts gestrichen. Unsere Kommune ist nicht verschuldet. Das ist eine echte Leistung. Dieser Erfolg ist nun bedroht.
Um wie viele Arbeitsplätze geht es?
1200 direkt bei PCK. Aber in der Summe sind es mehr. Auf dem Gelände sind hochspezialisierte Dienstleister, Firmen, die Leitungen reinigen oder reparieren. Insgesamt sind es sicher 3000 Arbeitsplätze, die direkt und indirekt am PCK hängen. Das ist ein Viertel unserer sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Wir haben auch andere große Arbeitgeber: die Papierfabrik Leipa mit 1000 Arbeitsplätzen, das Schwerpunktkrankenhaus mit 1000 Arbeitsplätzen. Aber auch Leipa steht mächtig unter Druck, weil die Papierproduktion energieintensiv ist. Dazu kommt: Ingenieure und Ärzte kommen nur nach Schwedt, wenn sie einen attraktiven Arbeitgeber vorfinden und ein attraktives Umfeld, also eine gut funktionierende Stadt.
Aus Schwedt sind nach dem Zusammenbruch der DDR 42 Prozent der Einwohner abgewandert, wie viele wären es, wenn die PCK-Rettung nicht gelingt?
Es ginge wohl um weitere 10.000 Menschen. Das wäre ein Aderlass, den keine 35.000-Einwohner-Kommune verkraften kann.
Schwedt hat ein Theater, die Klinik, ein Museum, es gibt ein Gymnasium und zwölf andere Schulen, ein Kino, ein Freibad. Wären das alles noch finanzierbar?
Wenn wir es nicht schaffen, für Schwedt und die PCK-Raffinerie die Zukunft zu sichern, für die es seit Jahren viele Ideen und gute Angebote von Investoren gibt, kann ich den Erhalt dieser Einrichtungen nicht garantieren. Dann fällt unsere schöne Stadt in die Bedeutungslosigkeit.
Ein Gedankenspiel: Wenn sich Schwedt nicht in der nordöstlichsten Ecke Ostdeutschlands befände, sondern irgendwo in Westdeutschland – hätte Ihre Stadt dann nicht längst ganz andere Sicherungszusagen vom Bund?
Das würde ich so vermuten.