Ricardo Lange: Leiharbeit in der Pflege rettet vielen Kliniken den Hintern

Leasingfirmen sind angeblich am Personalproblem der Krankenhäuser schuld. Quatsch, sagt unser Kolumnist. Ohne sie wäre die Krise deutlich schlimmer.

Eine Pflegekraft auf einer Intensivstation. Ohne Leiharbeit sähe es in mancher Klinik finster aus, sagt Ricardo Lange.
Eine Pflegekraft auf einer Intensivstation. Ohne Leiharbeit sähe es in mancher Klinik finster aus, sagt Ricardo Lange.Jens Büttner/dpa

Dieser Zirkus kotzt mich an! Jedes Mal, wenn die Personalproblematik der Pflegebranche in der Öffentlichkeit hochkocht, verrenken sich Arbeitgeber, Verbände und Politik die Hälse auf der Suche nach einem Sündenbock. Wer die Hoffnung hat, dass das Problem endlich an der Wurzel gepackt wird, der darf enttäuscht sein, denn das Einzige, was dabei rumkommt, ist eine erneute Diskussion über das Verbot von Leiharbeit in der Pflege.

Übrigens genau der Leiharbeit, die während der Pandemie vielen Kliniken den Arsch gerettet hat. Der Leiharbeit, die bis heute um den Corona-Bonus geprellt wird und der zu Beginn sogar die Corona-Schutzimpfung verwehrt wurde, weil uns die Politik vergessen hat. Ich weiß, wovon ich rede: Als Leasingkraft war ich selbst betroffen.

Jahrelang haben Kliniken und Pflegeeinrichtungen zugunsten der Gewinnmaximierung am Pflegepersonal gespart und ihre Mitarbeiter ohne Rücksicht auf Verluste verheizt. Permanente Anrufe nach Feierabend und das Abrufen aus dem wohlverdienten Urlaub gehören auch heute noch zum Alltag. Ein Nein wird dabei selten entgegnet – aus Angst, als unkollegial abgestempelt zu werden. Obwohl sich der Personalmangel schon damals abgezeichnet hat, wurden überwiegend befristete Arbeitsverträge angeboten, und selbst fachliche Weiterbildungen mussten förmlich erbettelt oder sogar selbst bezahlt werden.

Wer denkt, dass da niemand die Kurve kratzt, wenn sich ihm die Chance auf bessere Möglichkeiten bietet, ist gewaltig auf dem Holzweg! Die Leasingunternehmen haben genau diese Schwachstellen erkannt und bieten den Beschäftigten unter anderem unbefristete Arbeitsverträge, flexibel gestaltete Dienstpläne und bessere Bezahlung an.

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Markus Wächter/Berliner Zeitung
Zur Person
Ricardo Lange, 41, wuchs in Berlin-Hellersdorf auf. Um sich gegen Übergriffe behaupten zu können, betrieb er Kampfsport und Bodybuilding. Er arbeitete als Fitnesstrainer und bei der Polizei, bevor er sich zum Intensivpfleger ausbilden ließ und in diesem Beruf seine Berufung fand.

Für eine Zeitarbeitsfirma
springt Lange in Berliner Krankenhäusern ein, in denen die Personalnot am größten ist. Im Januar hat er ein Buch über den Pflegenotstand veröffentlicht: „Intensiv: Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist – ein Notruf“ (dtv). Er ist Kolumnist der Berliner Zeitung.

Möchte man also verhindern, dass die eigenen Mitarbeiter in solche Firmen abwandern, sollte man die eigenen Konditionen einer kritischen Prüfung unterziehen und sich stärker an den Bedürfnissen des Personals ausrichten, anstatt als Erster „hier“ zu schreien, wenn es darum geht, ein Arbeitsmodell zu verbieten oder einzuschränken, das den Pflegekräften endlich angemessene Rahmenbedingungen bietet. Völlig absurd!

Überall kämpfen Firmen um Fachkräfte und bieten finanzielle und anderweitige Zusatzleistungen. Niemand käme hier auf die Idee, ein anderes Unternehmen verbieten zu lassen, nur um die eigenen miserablen Arbeitsbedingungen und alles weitere Drumherum durchzudrücken.

Ricardo Lange: Extrageld für flexible Pflegekräfte

Wem dieser Einwand noch nicht zu denken gibt, dem rücke ich gerne auch das schlechte Licht gerade, das allzu gerne auf die Zeitarbeit in der Pflege geworfen wird und mitunter unnötige Neiddebatten auslöst: Es wird zum Beispiel behauptet, wir Leasingkräfte würden für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen als unsere fest angestellten Kollegen. Das ist natürlich Quatsch.

Die Wahrheit ist, dass sich unsere Arbeit in einigen Punkten unterscheidet. Oft erfährt man in der Leiharbeit den nächsten Einsatzort erst sehr kurzfristig, ebenso verhält es sich mit einem Schichtausfall. Heute ist man auf einer kardiologischen Station eingesetzt, nächste Woche vielleicht auf einer neurochirurgischen. Das erfordert nicht nur ein hohes Maß an medizinischem Fachwissen, sondern auch der Umgang mit den unterschiedlichsten medizinischen Geräten muss sitzen, denn jede Klinik arbeitet mit anderen Fabrikaten und Modellen. Diese erhöhte Flexibilität muss selbstverständlich extra vergütet werden.

Kosten, die natürlich jeder Geschäftsführung ein Dorn im Auge sind. Dem stehen die Personalkosten für Fortbildungen, anfallendes Krankengeld, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie andere Sozialabgaben für das Stammpersonal gegenüber, die beim Einsatz von Leiharbeitern entfallen und eingespart werden. Diesen Umstand lässt man gerne unter den Tisch fallen, und es ist scheinbar immer noch lukrativer, als die Konditionen für seine fest angestellten Mitarbeiter entsprechend anzuheben.

Ein weiteres Argument gegen die Leiharbeit lautet, wir würden uns nur die Rosinen herauspicken und unbeliebte Schichten wie Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste auf die Stammbelegschaft abwälzen. Dabei sind gerade diese Dienste bei uns Leiharbeitern sehr beliebt, da sie sich durch die hohen Zuschläge besonders lohnen. Mitarbeiter, die aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen bestimmte Schichten nicht abdecken können, gibt es auf beiden Seiten, das ist kein alleiniges Phänomen der Zeitarbeit.

Ebenso werden die häufig wechselnden Einsatzorte oftmals mit minderer Pflegequalität gleichgesetzt. Dabei kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen, dass es gerade die Einsätze auf den unterschiedlichsten Stationen verschiedenster Kliniken sind, die den Erfahrungsschatz einer Pflegekraft enorm erweitern. Davon können am Ende viele profitieren.

Zeitarbeit als letzter Anker

Vor einigen Tagen erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel, dessen reißerischer Überschrift ich vehement widerspreche: „Wie Leiharbeit den Personalmangel in der Pflege verschärft“. Die Zeitarbeit ist weder für die Personalnot verantwortlich noch dafür, dass sich die Lage verschärft. Ganz im Gegenteil. Für viele Pflegekräfte ist die Zeitarbeit der letzte Anker, bevor sie den Job endgültig an den Nagel hängen. Wer also glaubt, Pflegekräfte mit einem Verbot nötigen zu können, wieder für schlechtere Konditionen in eine medizinische Einrichtung zurückzukehren, wird sein blaues Wunder erleben. Ein Großteil der Pflegenden würde eher an der Supermarktkasse arbeiten oder ganz auswandern, als sich erpressen zu lassen!

In dem oben genannten Artikel kommt auch Herr H. Wallrafen zu Wort. Er ist Geschäftsführer der Sozial-Holding Mönchengladbach, die selbst sieben Pflegeheime betreibt. Er sieht nur einen Ausweg: „Die externen Kräfte werden per Gesetz verpflichtet, an 365 Tagen 24 Stunden täglich zur Verfügung zu stehen – genauso wie die Stammbelegschaften.“

Bei allem Respekt, aber wer ernsthaft denkt, dass ihm ein Arbeitnehmer rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen hat, der hat eindeutig den Schuss nicht gehört. Die Missstände der vergangenen Jahrzehnte haben die Zeitarbeit zu dem gemacht, was sie heute ist: zum stillen Protest der Pflege.

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