Richardplatz, mon amour!
Lust auf Urlaub von der Metropole? Zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße liegt der Richardplatz. Eine dörfliche Idylle mitten in Neukölln.

Oft bekomme ich Leserzuschriften von Menschen, denen meine Meinung zu Berlin aus diesen oder jenen Gründen nicht passt. „Dann geh doch zurück in dein doofes Schwabenländle“, so der gängige und echt nichts besonders originelle Ratschlag.
Dabei sehne ich mich weder nach Stuttgart, noch empfinde ich meine Wurzeln als besonders süddeutsch. Ich mache auch keine Kehrwoche oder fahre Mercedes. Ich bin nicht besonders sparsam und schabe auch nicht ständig Spätzleteig in kochendes Wasser. Ich wurde allerdings auch im Ruhrpott sozialisiert. Den Ruhrpott muss man sich vorstellen wie Neukölln mit zehn Millionen Einwohnern, dazu ein bisschen Charlottenburg und viel Köpenick. Bevor Sie mir schreiben: Düsseldorf und Köln liegen nicht im Ruhrgebiet.
Manchmal aber vermisse ich ein Heimatgefühl, das mir Berlin nicht geben kann. Das ist: eine Art dörflich-idyllisches Flair, obwohl ich in der Stadt groß geworden bin. Aber viele meiner Verwandten leben im Umland von Stuttgart, in Städten mit Namen wie Plieningen und Tübingen, auf der Schwäbischen Alb, in Echterdingen und Schönaich. Also in Mittelzentren und Dörfern mit einer ganz bestimmten Struktur, die Berlin nicht hat, nämlich einen Kern mit einem Platz in der Mitte. Drumherum Bäume, unbedingt einen Kirchturm, Kneipen, Cafés und Restaurants. Berlin hat zwar viele Zentren, aber kein richtiges.
Als ich vor ein paar Jahren mal eine Affäre in Neukölln hatte, entdeckte ich den Richardplatz, genau zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße. Die Affäre wohnte auf der Richardstraße, die geht von dem Platz ab, und ich war sofort verliebt. Also in den Richardplatz. Ich war wirklich überrascht, wohnte ich doch schon seit fast 20 Jahren in Berlin und auch gar nicht so weit entfernt von Rixdorf, wie Neukölln einmal hieß und dessen Zentrum der Richardplatz ist, der mir vollkommen unbekannt war.
Besser zu Fuß als mit dem Rad
So wie die Sonnenallee und die Karl-Marx-Straße urban und an vielen Ecken auch problematisch sind, mit allen Problemen halt, die Metropolen so mit sich bringen, so dörflich mutet der Raum dazwischen an. Ich hatte das Gefühl, in Süddeutschland zu sein. In der Mitte des Platzes steht eine historische Schmiede, wie es sie zuhauf auch im Süden des Landes noch gibt, eine kleine Gruppe leicht windschiefer, mittelalterlich wirkender Häuser, etwas gedrungen und mit tief herabreichenden Ziegeldächern.
Drumherum liegt das obligatorische Kopfsteinpflaster, so bucklig, das man das Rad besser abstellt und zu Fuß geht. Ich fand ein paar Cafés, eine Schmuckwerkstätte, einen Bücherladen und ein hübsches Restaurant mit dem Namen „Villa Rixdorf“. Also keine Mischung, die besonders aufregend wäre. Und genau das finde ich am Richardplatz so anziehend: Er fühlt sich an wie Urlaub von der Stadt, vom mal sehr hippen Berlin, mal sehr nervigen Berlin. Vor allen Dingen nach ein paar Kilometern mit dem Rad auf der Karl-Marx-Straße.
Meine Affäre dauerte nicht lange, wohl aber meine Liebe zum Richardplatz. Wenn ich die Schnauze voll habe von Berlin mit seiner Ruppigkeit, dann setze ich mich aufs Rad und fahre die rund fünf Kilometer von Kreuzberg zum Richardplatz, die Hasenheide und die Karl-Marx-Straße entlang, vorbei am Rathaus Neukölln und kurz nach der Neuköllner Oper dann links über den Karl-Marx-Platz zum Richardplatz. Die Fahrt dauert vielleicht 25 Minuten, gefühlt aber habe ich eine Strecke von vielen hundert Kilometern überwunden, irgendwie verwunschen liegt dann da der kleine, sehr alte Platz mit seiner Schmiede, die das erste Mal 1624 erwähnt wurde.
Paradebeispiel preußischer Einwanderungspolitik
Geht man an der Schmiede vorbei in Richtung Sonnenallee, gelangt man zum Museum im Böhmischen Dorf, das auf die Wurzeln des Ortes verweist. Eine Gruppe protestantischer Flüchtlinge aus Böhmen gründete zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Gemeinde Böhmisch-Rixdorf, 350 Menschen lebten in der Siedlung entlang der Richardstraße - ein Paradebeispiel preußischer Einwanderungspolitik im 18. Jahrhundert. Die beiden selbstständigen Gemeinden Böhmisch-Rixdorf und Deutsch-Rixdorf wurden vor rund 150 Jahren zur Gemeinde Rixdorf zusammengeschlossen, die so quasi über Nacht auf 8000 Einwohner und im Jahre darauf schon auf 15.000 wuchs.
Viele der kleinen Wege und Straßen, die vom Platz abgehen, verweisen auf den böhmischen Ursprung des Kiezes mit Namen wie Wanzlikpfad, Böhmische Straße oder Herrnhuter Weg. Wem das nun zu viel lokale Historie ist, der lässt das Museum einfach links liegen und legt sich wie ich auf die Wiese des Comenius-Gartens, einer kleinen Parkanlage auf dem Grundstück der ehemaligen „Richardsburg“, einer monströsen Mietskaserne. Die wurde in den 70ern abgerissen und machte Platz für den Comenius-Garten, dessen Umsetzung dann aber noch rund 20 Jahren brauchte und dessen Gestaltung auf den Philosophen Johann Amos Comenius zurückgeht.
Nach ein paar Stunden und ein paar Runden um den Richardplatz und den umliegenden Kiez habe ich dann aber meistens genug von dörflicher Idylle und fahre über die Sonnenallee zurück nach Kreuzberg, um nach ein paar Monaten zurückzukehren. Wenn Sie in der Nähe leben und ein wenig Abstand brauchen von Berlin und den Richardplatz noch nicht kennen, dann ist das Ihr Ausflugsziel fürs Wochenende. Sie müssen sich dort ja nicht gleich eine Affäre suchen.