Riesiges Werbeplakat vor Wohnungen: Berliner Mieter über Monate ohne Tageslicht
Seit November versperrt ein riesiges Plakat die Sicht. Die Mieter vermuten, dass es nur um Geld geht. Und der Bezirk sagt: Das Plakat hängt unerlaubt dort.

Sein Blick ist wirklich sehr ernst, aber der Spruch dazu ist die reinste Ironie „Willkommen am Time Square“, sagt Patrick L. bitter. Er meint den legendären Platz am New Yorker Broadway, der für seine gigantischen Werbewände weltbekannt ist. Doch Patrick L. steht nicht in New York, sondern im Osten von Berlin, an der viel befahrenen Warschauer Straße. Auch hier gibt es seit langem eine riesige Werbewand und die sorgt für reichlich Ärger und Wut – nicht nur bei Patrick L.
Der junge Mann zeigt auf das riesige Poster, das fast das gesamte Haus verdeckt, in dem er seit Jahren wohnt. Auf der Werbewand wirbt eine Sportmarke für neue Laufschuhe. Im Erdgeschoss ist das massive Baugerüst zu erkennen, an dem die Werbung angehängt wurde. „Riesig, was?“, sagt er und schüttelt den Kopf. Von Bauarbeitern fehlt jede Spur.
Wird dort gar nicht gearbeitet? Ist das Baugerüst nur Fake?
Er und anderer Hausbewohner vermuten, dass die Werbeaktion sogar illegal sein könnte und dass es dem Hausbesitzer nur darum geht, mit der Vermietung des riesigen Werbeplatzes richtig viel Geld zu verdienen. Doch vor Gericht ziehen will Patrick L. nicht, er will auch nicht seinen richtigen Namen in der Zeitung sehen. „Mit der Hausverwaltung legt man sich heutzutage besser nicht an“, sagt er. Denn in Berlin mangle es nun mal bekannterweise an alternativem Wohnraum.
Die Warschauer Straße 47 ist ein Eckhaus in Friedrichshain, vor der Kreuzung zwischen der Oberbaumbrücke und der East Side Gallery. Hier ist es laut, viele Fußgängerinnen und Fußgänger eilen über die Gehwege. Auf der mehrspurigen Straße rollen Autos, Fahrräder und Trams. Gegenüber befindet sich der S-Bahnhof, darunter ein Technoclub. „Hier zu wohnen ist auf jeden Fall eine Entscheidung, die man wollen muss“, sagt Patrick L. Aber der Trubel und die Lautstärke mache ihm nicht viel aus. Monatelang ohne Tageslicht und Ausblick aus dem Fenster zu wohnen allerdings schon.
Die Masche läuft seit etwa 2019, sagt er. Etwa einmal pro Jahr komme eine Firma. „Dann geht es ganz schnell“, sagt er, „um sieben Uhr morgens fangen die an, das Gerüst aufzubauen, und um 12 Uhr ist alles fertig, und das Riesenplakat hängt für ein paar Monate an der Fassade.“ Irgendwann ist das Plakat dann auch wieder eine Weile verschwunden. Nach Angaben des Bezirks sind solche Werbeplakate genehmigungspflichtig. Und sie dürfen maximal sechs Monate an einem Baugerüst hängen – erlaubt wird es nur an Häusern, an denen auch wirklich gebaut wird.

Laut Patrick L. hänge die Hausverwaltung kurz vorher einen Zettel aus, dass das Gerüst wegen Baumaßnahmen aufgestellt werden würde. „Ich kann versichern, da wird überhaupt nichts gebaut“, sagt er. „Ich arbeite von zu Hause aus und würde alles mitkriegen, aber hier arbeitet niemand.“
Der Hausbewohner hat eine Erklärung, warum die Hausverwaltung hier das Plakat hat aufhängen lassen. „Die Vermieter machen ein Haufen Geld mit dem Plakat“, sagt er und schätzt, dass es sich um mehr als einhunderttausend Euro handelt. Baumaßnahmen seien nur ein Vorwand, aber das Plakat selbst sei der eigentlich Grund für das Gerüst. Er mutmaßt sogar, dass die Gerüstfirma ebenfalls von dem Deal profitiere. Baufirmen in Berlin hätten grundsätzlich zu wenig Lagermöglichkeiten, und fänden so einen Weg, ihre Gerüste dauerhaft aufgebaut zu lassen.
Eine Anfrage beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg führt zu folgender Antwort: „Das Bezirksamt bearbeitet seit längerem diesen Fall. Bisher wurde eine Beseitigungsaufforderung erteilt und auch durch das Bezirksamt durchgesetzt.“ Das würde passen, denn Patrick L. hatte gesagt, dass das Plakat zwischenzeitlich abgenommen wurde. Auch der Bezirk weiß inzwischen von dem neuen Plakat. „Aktuell ist erneut unerlaubt ein Plakat aufgehängt worden“, teilte das Bezirksamt der Berliner Zeitung mit. „Hierzu sind wir als Bezirksamt derzeit im Rechtsstreit mit der Werbefirma.“
Dazu, ob es einen Grund für das Gerüst gibt, also Bauarbeiten, sagt das Bezirksamt, dass ein Gutachten vorliege von einem vereidigten Sachverständigen. Darin ist von Schäden an dem 120 Jahre alten Haus die Rede, die beseitigt werden sollten. „Die Informationen aus dem Stadtentwicklungsamt über die bereits abgelaufenen Bautätigkeiten liegen noch nicht vor“, heißt es beim Bezirksamt. Und weiter: „Sollte das Gerüst nicht für Bauzwecke genutzt werden, müsste es abgebaut werden und somit wäre eine Plakatierung nicht möglich.“
Nachträglich ergänzte das Bezirksamt folgende Informationen zu Bauvorhaben am Gebäude: „2014 wurde eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Gaststätte und eines Bistros erteilt und 2016 wurde die Errichtung eines temporäres Riesenposters, Format: 50m Breite x 15m Höhe, im Zeitraum von November 2016 bis April 2017 genehmigt.“ In 2021 sei eine Genehmigung für den Umbau des Ladengeschäfts im EG erteilt worden. Über Baumaßnahmen die verfahrensfrei durchgeführt werden können, könne die bezirkliche Bauaufsicht keine Aussagen treffen.
Angedrohte Strafe: 25.000 Euro
Es ist nicht das erste Mal, dass in Berlin Werbeplakate ohne Erlaubnis aufgehängt werden. Im Sommer des vergangenen Jahres hängte eine Werbefirma ohne Genehmigung des Bezirksamtes ein Haus am Hermannplatz zu. Der Antrag sei laut Bezirksamt zwar gestellt worden, wurde aber aufgrund der Verdunkelung der Wohnräume nicht gestattet. Als Bewohner sich beschwerten und die Aktion aufflog, verschwand das Plakat in kürzester Zeit. Der Bezirk hatte mit einem Zwangsgeld von 25.000 Euro gedroht, sollte die Werbung nicht innerhalb einer Woche entfernt sein.
Patrick L. hat sich auch an den Bausenat gewandt, doch bislang keine Antwort bekommen, sagt er. Die Hausverwaltung kommuniziere ebenfalls nur sporadisch und mache keine Anstalten, etwas zu unternehmen. Eine Mietminderung als Kompensation für die Verdunkelung der Wohnungen sei nicht angeboten worden.
Keine Antwort der Hausverwaltung
Bei der Hausverwaltung handelt es sich offensichtlich um ein recht kleines Unternehmen, im Internet ist keine eigene Website zu finden, auch keine E-Mail-Adresse. Ansprechbar ist die Firma nur an drei Tagen für jeweils zwei bis maximal vier Stunden. Trotz mehrmaliger telefonischer Nachfrage wollte sich die Firma gegenüber der Berliner Zeitung zu dem Vorgang nicht äußern und verwies auf den langwierigen Postweg. Das Bezirksamt hat die Berliner Zeitung ebenfalls angefragt, die Antwort steht noch aus.
Während des Gesprächs mit Patrick L. kommt ein andere Bewohner vorbei, bleibt stehen und grüßt. Auch er möchte sich auf keinen Fall zu erkennen geben. „Das Plakat stört mich auf jeden Fall“, sagt er. „Aber ich bin froh, überhaupt eine Wohnung zu haben.“ Das sei seine erste Wohnung in Berlin mit einem Mietvertrag, der auf seinen Namen läuft. Auch er sagt, dass er bislang von Baumaßnahmen nichts mitbekommen habt. „Ist doch klar, was hier läuft“, sagt er. „Es geht nur ums Geld.“
„Mieter sind immer am kürzeren Hebel“
Der Mann bittet in seine Wohnung, um die Situation von innen zu demonstrieren: Die Wohnung ist durch das vorhängende Plakat abgedunkelt, wer aus dem Fenster sieht, blickt nur auf die Rückseite des Plakats. Nur Umrisse der Außenwelt scheinen durch das Plakat durch. „Hier wohnen viele Familien mit Kindern“, sagt Patrick L., als er in der dunklen Wohnung seines Nachbarn steht. Zusammengeschlossen habe sich die Hausgemeinschaft bisher nicht. „Niemand glaubt daran, wirklich was ausrichten zu können“, sagt er. Jeder habe Angst, seine Wohnung zu verlieren, wenn er sich beschwert. „Wir Mieter sind hier in Berlin immer am kürzeren Hebel.“
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