Rigaer Straße in Berlin: War der Polizeieinsatz in Berlin legal und rechtmäßig?

Vier Stunden und 17 Minuten lang stritten die vier in den Umfragen gleich vorn liegenden Parteien (und die Piraten) über die Rigaer Straße. Der Saal im Abgeordnetenhaus war am Donnerstag voller Publikum, weil in der Sondersitzung des Innenausschusses alle wissen wollten, ob der Polizeieinsatz am 22. Juni in der Rigaer Straße 94 rechtmäßig war.

An jenem Tag waren 300 Polizisten nach Friedrichshain ausgerückt. Sie sollten 22 Handwerker beschützen, die im Auftrag des Eigentümers – einer undurchsichtigen britischen Briefkastenfirma – beziehungsweise der Hausverwaltung handelten. In dem linken Wohnprojekt sollten die Männer den Szenetreff „Kadterschmiede“ und eine Werkstatt entrümpeln. Der Hauptvorwurf gegen die Polizei: Sie habe eine rechtswidrige Handlung beschützt.

Drei Anwälte - vier Meinungen

Linke, Grüne, Piraten, und neuerdings auch der Noch-Koalitionspartner SPD schließen das aus einem vorläufigen Urteil des Landgerichts zugunsten des Vereins „Kadterschmiede“ e.V, der gegen die Teilräumung Beschwerde einlegte. Das Versäumnisurteil kam auch deshalb zustande, weil der Anwalt des Eigentümers bei der Verhandlung fehlte. Er fühlte sich von den Linken bedroht.

Getreu der Weisheit „Drei Anwälte vier Meinungen“ lieferten sich echte und Hobby-Juristen im Innenausschuss emotionsgeladene Redeschlachten. Schon das Wort „Räumung“ birgt Konfliktstoff. Immer wieder stellten Innensenator Frank Henkel (CDU), Polizeipräsident Klaus Kandt und Polizeijustiziar Oliver Tölle klar, dass es keine Räumung durch die Polizei gegeben habe. Die sei lediglich aus Gründen der Gefahrenabwehr präsent gewesen.

In dem Schreiben, in dem der Anwalt der Eigentümer am 31. Mai die Polizei um Schutz bittet, steht, dass dieser plane, in dem Haus Sperrmüll zu entsorgen – vom Dachboden, aus dem Keller den beiden Höfen und zwei Flächen im Seitenflügel und im Hinterhaus. Er plane, die Örtlichkeiten zu öffnen „und zu räumen“. Nach der Räumung würden diese saniert und an Flüchtlinge vermietet.

Kritiker der Opposition argumentieren, dass die Polizei die Rechtmäßigkeit dieses Anliegens hätte prüfen müssen. Sie hätte einen Räumungstitel gebraucht. Nein – argumentiert die Polizei. Es habe gar kein Besitzverhältnis durch die Nutzer bestanden, erläuterte Justiziar Tölle. Der Eigentümer habe seine Ansprüche glaubhaft dargelegt. Die Räume seien nicht vermietet gewesen, die Kadterschmiede auch sonst nicht dauerhaft sondern nur sporadisch genutzt worden.

„Gegen wen sollte sich ein Räumungstitel richten?“

Auch am 22. Juni habe sich kein Vertreter des Kadterschmiede e.V. gemeldet und Besitzansprüche geltend gemacht. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, wiederum verteilte an Interessierte eine Stellungnahme eines räumungserfahrenen ehemaligen Leitenden Polizeidirektors.

Dieser schreibt, dass die Polizei prüfen müsse, „ob von einem fortdauernden Hausfriedensbruch durch die Besetzer auszugehen ist, oder ob durch die Duldung die Widerrechtlichkeit des Aufenthalts in den Räumlichkeiten entfallen ist, weil (...) Besitzansprüche durch die Besetzer entstanden sind“. „Der Hauseigentümer hat sich die Räume verbotenerweise angeeignet“, sagte Christopher Lauer von der Piratenfraktion.

Christopher Lauer: "Die Polizei hat sich verselbstständigt"

Er und auch die anderen Oppositionspolitiker unterstellen der Polizei, auf Wunsch von Innensenator Henkel gehandelt zu haben und die Rigaer Straße aus Wahlkampfgründen zu instrumentalisieren. Lauer, der am Tag zuvor Akteneinsicht erhalten hatte, entnahm den Papieren, dass die Polizei – die den Einsatz nach eigenen Angaben über Wochen geheim plante – den Senator erst am Vorabend informierte. Lauer kann auch mit dieser Variante leben und sie für sich nutzen, Henkel ist in jedem Fall schuld: „Die Polizei hat sich verselbstständigt, sie macht, was sie will.“

Den Akten will er auch entnommen haben, dass die Polizei aktiv an den Eigentümer wegen einer Räumung herangetreten sei. „Sie müssen schon richtig zitieren“, korrigierte ihn Tölle. Der Eigentümer habe die Polizei um Schutz gebeten. „Wir sagten ihm, was möglich ist. Dann kam ein Antrag, der so nicht ging. Wir haben ihm gesagt, wie man den Antrag richtig schreibt. Das gehört bei uns zum üblichen Bürgerservice.“

Rigaer Straße 94 erneut verkauft

Ganz nebenbei wurde im Ausschuss bekannt, dass die Rigaer Straße 94 kurz nach dem Polizeieinsatz erneut verkauft wurde. Der neue Besitzer ist noch unbekannt.