Berlin-Tausende Kilometer nach Berlin zu reisen, um originale Gegenstände der eigenen Kultur und Geschichte zu sehen, weil es solche im eigenen Land nicht mehr gibt? Was für ein Gedanke. Doch er ist alles andere als abwegig. Die Eröffnung der letzten Bereiche der ethnologischen Sammlungen im Humboldt-Forum erinnert daran, dass zentrale Stücke anderer Kulturen in Berlin liegen, während die Nachkommen derer, die diese Werke einst geschaffen haben, kein einziges mehr besitzen.
Es ist so, als müssten Deutsche nach Nebraska in den USA oder nach Nordostindien fliegen, um eine mittelalterliche Ritterrüstung oder eine Lutherbibel zu sehen im Versuch zu begreifen, was die eigene Herkunft ausmacht.
Das erlebten zwei Frauen bei ihrer jeweils ersten Begegnung mit Kunst-, Kult- und Gebrauchsobjekten aus den Berliner ethnologischen Sammlungen: Die eine, Wynema Morris, gehört dem indianischen Volk der Omaha an, beheimatet vor allem in Nebraska. Die Dozentin für Tribal History and Culture hatte nichts gewusst von den etwa 60 erlesenen Omaha-Werken, die vor 120 Jahren nach Berlin gelangten – originale Kleidungsstücke, Gegenständen für Zeremonien, Spiel, Essen und Krieg. „Was habe ich gestaunt, als ich die Dinge zum ersten Mal sah“, sagte sie jetzt in Berlin.
Identität wiedergewinnen
Die andere, Zubeni Lotha, gehört zum Volk der Naga, dessen Heimat im nordöstlichen Zipfel Indiens liegt. Sie beschreibt ihr erstes Erstaunen genauso: „Als ich die Berliner Sammlung von Naga-Gegenständen in Berlin sah, verstand ich, was wir verloren haben. Alles erzählt unsere Geschichte.“ Nichts Vergleichbares gebe es mehr in Nagaland, sagt die Fotografin, und umso wichtiger seien die Berliner Stücke bei der Wiedergewinnung der fast verlorenen Identität ihrer Leute.
Meistgelesene Artikel

Die Omaha- wie die Naga-Sammlung gehören zu den jetzt öffnenden Bereichen des Humboldt-Forums. Beide Frauen beteiligten sich an der Gestaltung und Präsentation der wertvollen, wunderschönen Objekte: der Omaha-Leggins und -Mokassins, der großen Federhaube, oder der handwerklich herausragenden Zeugnisse der Naga-Kultur: herrliche Textilien, Schmuckstücke, Körbe.
Beide Frauen beschreiben den kulturellen Bruch, den ihre Völker durch die Fremdherrschaft erlitten haben. Die junge Generation wisse kaum noch von den Traditionen, handwerkliches Wissen und Können sei verloren, es mangele an Vorbildern. Doch beide berichten auch von einem neuen Willen, die Identität nicht vollends aufzugeben, anzuknüpfen an das fast Versunkene.
Ist da nicht eine Rückgabe der Objekte unumgänglich – seien diese auch legal erworben und ohne Raub und Betrug durch koloniale „Sammler“ nach Berlin gelangt? Doch so einfach ist es nicht. Und es zeigt sich: Die Antwort auf die Frage hat wenig mit der Haltung Deutschlands oder des Humboldt-Forums zu tun.
„Der Wunsch, das kulturelle Erbe wieder zu erobern, ist erwacht“, berichtet Wynema Morris von den Omaha, „aber es tut sich ein Schlachtfeld auf.“ Die amerikanische Regierung habe zwar die Möglichkeit eröffnet, Objekte zurückzufordern – jedenfalls von den großen, föderalen Museen wie dem Smithonian oder dem in Berkeley, die über entsprechende Sammlungen verfügen: „Das Gesetz ist auf Seiten der Indianer, die spannen die Muskeln. Doch die Museen kooperieren nicht.“ Noch komplizierter liegt die Frage der sogenannten Repatriierung im Falle privater Museen.

„Diese Objekte öffnen die Augen“
Doch auch innerhalb der Communities gebe es Uneinigkeit, wie Wynema Morris berichtet: „Als die Berliner Sammlung von Omaha-Objekten bei uns bekannt wurde, war das für viele eine totale Überraschung. Manche sagten: Diese Objekte haben uns die Augen geöffnet, die junge Generation braucht das kulturelle Erbe. Sie muss inspiriert werden zu erforschen, wer wir waren. Holt alles, alles heim.“ Dabei geht es immer wieder um den zentralen Punkt: Nach der Eroberung Amerikas durch weiße Eindringlinge seien die ansässigen Völker als unzivilisiert und minderwertig dargestellt worden: „Aber das waren wir nicht, und die Objekte sind der Beweis.“
Für Deutschland gelte allerdings kein Gesetz wie in den USA, und Wynema Morris sagt: „In Berlin haben sie die Sachen gekauft und gut gehütet. Bitte seid dankbar. Lasst es da. Es ist nun mal jetzt das Eigentum anderer.“
Für den Fall einer Rückkehr schwanen ihr neue Konflikte: „Was dann?“, fragt sie, „werden die Objekte öffentlich zugänglich sein oder verschwinden sie in irgendwelchen Kellern?“ Die Omaha müssten einen Konsens untereinander, eine Brücke in die Vergangenheit finden und sich „selbst wertschätzen“.
Respekt vor den Objekten – das ist für Zubeni Lotha, die Foto-Künstlerin aus Nagaland, entscheidend: Die seien nun schon so lange in Berlin, hier habe sich Wissen um sie aufgebaut. In Nagaland fehle es derzeit an Bewusstsein für diese Dinge. Es sei völlig unklar, wem was gehöre, welche Familien und Clans Ansprüche erheben würden. „Eine Rückkehr brächte unter heutigen Umständen einen Riesenkampf mit sich.“ Sie bevorzugt „einen langen Prozess“; viele Informationen müssten gesammelt werden. Vor allem hinsichtlich menschlicher Überreste sei größtmögliche Sorgfalt angebracht.

Kein neues Geld in Sicht
Mit dem Motto „langer Prozess“ hat Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt-Forums, kein Problem. Auf diesen Weg will er sich gern machen: „Wir müssen langfristig Vertrauen schaffen.“ Doch dazu braucht er auch langfristig Geld. 40 Millionen Euro standen zur Verfügung, um die Ausstellungen „zu optimieren“. Dazu gehörten auch die vielen neuen Kooperationen mit Partnern in aller Welt, den „Herkunftsgesellschaften“. 130 Vertreter reisen zur Eröffnung der letzten Ausstellungsbereiche an, sie werden auch das Eröffnungsprogramm an diesem Wochenende mitgestalten.
Nun ist das Programm beendet. Das Geld ist alle und, so Dorgerloh, „Anschluss ist nicht in Sicht“, vielmehr gebe es allenthalben Kürzungen im Kulturbereich. Ohne finanzielle Sicherheit für ein mehrjähriges Programm „können wir nichts machen“. Man brauche einen stabilen Rahmen. Das habe die Politik noch nicht verstanden, und er mutmaßt: Wenn manche Rückgaben gut fänden, dann wohl nach dem Motto, alles weg, dann wird das Haus frei für Vermietungen.