Scharfe Kritik der Linken am geplanten Volksentscheid für mehr Videoüberwachung

Die Strategie der rot-rot-grünen Koalition im Umgang mit dem Tegel-Volksentscheid war wenig inspiriert: erst ignorieren, dann aussitzen. Erfolgreich war das nicht. Noch einmal soll so ein Debakel nicht passieren, und auch daher rührt es wohl, dass die Linke ganz früh in die Offensive geht gegen das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung, das ein Bündnis um Ex-Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) initiiert hat.

Es sind noch nicht einmal alle 20.000 Unterschriften für die erste Phase auf dem Weg zum Volksentscheid beisammen, da hat die Fraktion im Abgeordnetenhaus bereits ein Gutachten zu dem Gesetzentwurf in Auftrag gegeben. Am Freitag wurde es präsentiert, und  Fraktionschef Udo Wolf übte fundamentale Kritik. „Aus unserer Sicht ist es fast unausweichlich, dass dieses Volksbegehren abgewiesen wird.“

Grund seien insbesondere die schweren Grundrechtseingriffe, die Gutachter Fredrik Roggan von der Polizeihochschule Brandenburg konstatierte. Unter anderem sieht der Gesetzentwurf vor, dass Videoüberwachung auch unangekündigt darf, also ohne Hinweisschilder, wie sie heute etwa in den U-Bahnhöfen hängen.

Hohe Anforderungen an die Bestimmtheit des Gesetzes

Die Initiative will der Polizei zudem erlauben, nicht nur verdeckt zu filmen, sondern auch Mikrofone aufzustellen. „Das Gesetz enthält keinerlei Einschränkungen, unter welchen Voraussetzungen solche Maßnahmen eingesetzt werden dürfen“, sagte Roggan. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass einer meiner Kollegen einem solchen Vorhaben Verfassungsmäßigkeit bestätigen würde.“

Roggan – selbst Fachmann für Polizeirecht – wies auch den Standpunkt aus Reihen der Initiative zurück, entsprechende Gesetze seien häufig in Teilen relativ unbestimmt formuliert, und die Präzisierung erfolge im Zweifel über die Rechtsprechung. „Je tiefer der Eingriff in die Grundrechte ist, umso höher sind die Anforderungen an die Bestimmtheit“, sagt Roggan. Das Gesetz müsste also präzise Vorgaben enthalten, wann Kameras ohne Kennzeichnung betrieben werden dürfen.

Das Gleiche gelte für die Anwendung sogenannter intelligenter Videotechnik. Heilmann erklärte in Interviews, er wolle eine neue Generation von Kameras zum Einsatz bringen, die mit Hilfe von Algorithmen selbstständig Schlägereien oder andere Delikte erkennen, die mit auffälligen Bewegungsmustern verbunden sind, und dann selbstständig das Wachpersonal alarmieren.

Das Bundesverfassungsgericht könnte einschreiten

Im Gesetzentwurf heißt es aber nur, die Polizei solle „stets  den neuesten Stand der Technik für ihre Einsätze wählen, um möglichst intelligente Videoaufklärung durchführen zu können.“ Roggan sagte dazu: „Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt klare Handlungsanweisungen an die Verwaltung.“ Gemeinhin werde unter „intelligenter Videotechnik“ auch Gesichtserkennung verstanden. Deren Einsatz ist noch gar nicht gesetzlich geregelt.

Sollte die Innenverwaltung die Bedenken nicht teilen und das Volksbegehren für zulässig erklären, und sollte der spätere Volksentscheid erfolgreich sein, könnte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz laut  Roggan am ersten Tag nach Inkrafttreten außer Kraft setzen. Die Eingriffe in die Grundrechte seien so tief, dass  die Karlsruher Richter Rechtsschutz anordnen könnten.

Ob es so weit kommt, ist aber fraglich: Heilmann hat bereits erklärt, dass das „Bündnis für mehr Videoaufklärung“ von der Möglichkeit Gebrauch machen werde, den Gesetzentwurf vor der nächsten Phase des Volksbegehrens zu ändern. Sobald die ersten 20.000 Unterschriften  eingesammelt sind, wird die Innenverwaltung den Text auf Rechtssicherheit hin prüfen.

CDU hält am Gesetzesentwurf fest

Innerhalb der Koalition gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man mit der Initiative umgehen sollte. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte mehrfach, er sei für  Verhandlungen – auch wenn er am Gesetzentwurf Schwächen erkenne.

Die Grünen sind grundsätzlich gegen Verhandlungen. Der innenpolitische Sprecher Benedikt Lux erklärte aber: „Ich teile die Ansicht, dass das Videoüberwachungsgesetz verfassungswidrig ist.“

Die CDU, die bei der Unterschriftensammlung für mehr Kameras hilft, hält dagegen am Gesetzentwurf fest. „Wer unser Land und seine Bürger vor den Gefahren vor Kriminalität und Terror wirksam schützen will, kann nicht dem Rat der Bedenkenträger folgen“, sagte der innenpolitische Sprecher Burkard Dregger.