Berliner Gewerkschafter: „Kriminelle Methoden auf dem Bau gehören zum Alltag“
Inflation und Kostenanstieg treiben die Schwarzarbeit auf den Baustellen der Hauptstadt an. Sauber arbeitende Firmen stehen zunehmend unter Druck.

Die Schwarzarbeit auf Berliner Baustellen explodiert. Hatte das hiesige Hauptzollamt in der ersten Hälfte des Jahres 2021 noch insgesamt 177 Ermittlungsverfahren wegen illegaler Beschäftigung, Sozialbetrug und Mindestlohnverstöße eingeleitet, so waren es im ersten Halbjahr 2022 bereits 364 Verfahren, also mehr als doppelt so viele. Christian Stephan sagt: „Kriminelle Methoden auf dem Bau gehören auch in unserer Region zum Alltag.“
Der Bezirkschef der IG Bau Berlin beruft sich auf Zahlen, die das Bundesfinanzministerium auf eine Anfrage des SPD-Bundestagsabgeordneten Bernhard Daldrup zur Kontroll-Bilanz des Zolls auf dem Bau mitgeteilt hat. Insgesamt habe die vom Berliner Zoll ermittelte Schadenssumme durch nicht gezahlte Steuern und Sozialabgaben auf dem Bau rund 5,7 Millionen Euro betragen, heißt es bei der IG Bau Berlin.
Für Christian Stephan sind die aufgedeckten Verstöße allerdings nur die „Spitze des Eisbergs“, und er warnt vor einer weiteren Zunahme der Schwarzarbeit. Hohe Inflation, steigende Bauzinsen, hohe Material- und Energiekosten führten zu einem wachsenden Kostendruck auf dem Bau, sagt er. Unseriöse Chefs würden deshalb jetzt erst recht versuchen, ihre Kosten durch Lohndumping zu senken und sich noch mehr „Tricksereien einfallen“ lassen, um Steuern und Sozialabgaben zu hinterziehen. In der Folge gerieten „sauber arbeitende Unternehmen“ weiter unter Druck.
Vor diesem Hintergrund fordert der Gewerkschafter deutlich mehr Kontrollen und eine stärkere Präsenz des Zolls auf den Berliner Baustellen. „Der Staat muss sicherstellen, dass kriminelle Praktiken auf Baustellen keine Chance mehr haben“, sagt er. Zudem müssten auffällig gewordene Firmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Stephan fordert ein „Sündenregister für Schwarzarbeit“, das öffentlich Betriebe auflistet, „deren Geschäftsmodell auf illegaler Beschäftigung und Lohnprellerei beruht“.
Ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts wird durch Schwarzarbeit generiert
Tatsächlich beläuft sich das Volumen der Schwarzarbeit hierzulande auf etwa ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts. Der Wirtschaftsforscher und Schwarzarbeit-Experte Friedrich Schneider schätzt, dass in Deutschland eine Million Menschen ausschließlich schwarzarbeiten. Das Baugewerbe rangiere dabei ganz oben.
In den meisten Fällen werden dort Aufträge von Generalunternehmen an ausländische Kleinfirmen vergeben, die regulär in Rumänien, Bulgarien oder Kroatien angemeldet sind. Ob die Firmen mit Sitz in Sofia oder Bukarest Steuern zahlen, kann niemand überprüfen. Sozialabgaben fließen schon gar nicht. Hiesige Firmen stellen dagegen vorzugsweise Mitarbeiter offiziell mit einem niedrig dotierten Teilzeitvertrag ein und bezahlen für den tatsächlich erbrachten Vollzeitjob mit illegal beschafftem Bargeld.