Schauspielschule "Ernst Busch": Zwischen Marionette und Avatar
Berlin - Was haben ein Stück Schaumstoff, ein Kühlschrank und ein Metronom gemeinsam?
Fangen wir mit dem Schaumstoff an. Karin Tiefensee schneidet mit der Bandsäge ein kopfgroßes Stück aus einer Platte, „das wird ein Elvis-Kopf“, sagt sie, für ein Puppenspiel im BKA in Kreuzberg. Auf eine Holzwand hat sie Bleistiftskizzen geheftet, Kopf von der Seite, Kopf von vorn. Sie überträgt die Konturen auf den Schaumstoff und beginnt mit einem Messer, Elvis zu formen.
Karin Tiefensee ist Puppenbauerin. Wie Generationen vor ihr schnitzt sie für das Puppenspiel Marionetten aus Lindenholz, kleine Gestalten mit eindrucksvollen Gesichtern, fein ausgearbeiteten Händen, lustigen Schuhen. Fertigt Fingerpuppen, deren Köpfe aus Pappmaché oder aus Gummimilch bestehen. Kleidet Stabpuppen in Samt und Seide. Oder schält eben aus dem Schaumstoff den Elvis-Kopf heraus, eine Klappmaulpuppe wird das, wie man sie aus der „Muppet Show“ kennt.
Die 56-jährige ist Quereinsteigerin, eine Ausbildung zum Puppenbauer gibt es in Deutschland nicht. Sie hat an der Kunsthochschule Weißensee Bildhauerei studiert. Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Puppenbauern und Bildhauern. Wie der Bildhauer zeichnet der Puppenbauer zunächst, dann formt er Modelle aus Ton. Erst dann wird geschnitzt oder abgeformt und gegossen. Drei, vier Wochen kann es dann schon dauern, bis eine klassische Marionette gebaut und eingekleidet ist.
Ein totes Ding
Seit gut 20 Jahren arbeitet Karin Tiefensee in der Werkstatt der Abteilung Puppenspiel der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Die Ausbildung hat sich in der kurzen Zeit gewandelt, heutzutage wird nicht mehr nur mit Marionetten und Stabpuppen gespielt, die in der Werkstatt gebaut werden, inzwischen entstehen Puppen auch am Computer, virtuelle Gestalten, die die Studenten digital zu animieren lernen.
Eines aber hat sich nicht verändert: Wenn sie fertig ist, ist auch die allerschönste Puppe zunächst nichts anderes als, sagen wir, ein Kochlöffel – ein totes Ding, ein Objekt. Von einer Waschmaschine oder einem Metronom unterscheidet sie sich nur dadurch, dass sie unserer Vorstellung von einem lebendigen Wesen ähnlicher ist. Erst der Puppenspieler wird es mit seiner Kunst auf magische Weise zum Leben erwecken. Und auch das stimmt so nicht ganz, denn das Spiel allein reicht dazu nicht. Ohne das Gegenüber, den Zuschauer, wird auch die lebhafteste Puppe nicht lebendig. Der Zuschauer ist es, der in dem geheimnisvollen Spiel zwischen Puppe, Puppenspieler und sich selbst durch seine Wahrnehmung ein totes Ding zum Atmen bringt.
Zehn Puppenspieler pro Jahrgang werden in dem alten Gebäude an der Parkaue in Lichtenberg momentan ausgebildet. Es geht um Schauspiel und Animation, um Szenenstudien mit Maske, Handpuppe und Mensch-Klappmaul, später auch Marionette. Hinzu kommen diverse Körperfächer von Pantomime bis Sprecherziehung, Theorie, Musik, Theatergeschichte. Später im Hauptstudium geht es dann mehr um eigene Projekte. Darum, ein eigenes Profil auszubilden.
60 Stunden wird auch bei den Puppenbauern gelernt, das ist nicht viel, die meiste Zeit wird gezeichnet. Puppenspieler müssen nicht unbedingt zugleich Puppenbauer sein. Aber sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, was eine Puppe ist, wie sie aufgebaut ist, wie sie funktioniert. Für ihr Spiel holen sich die Studenten die Figuren aus dem Fundus der Schule, wo sie in Reih und Glied aufgehängt sind; einfache Marionetten und märchenhafte Gestalten, viele Puppen von Karin Tiefensee sind dabei.
Markus Joss ist Regisseur und Philosoph. In Religionen und Philosophien, sagt er, bestehe Konsens darüber, dass Mensch und Ding sich unterscheiden. „Wenn nun aber ein totes Ding, vom Spieler animiert, uns zuzurufen scheint: Schau, ich bin wie du!, dann ist das immer ein Hingucker. Lebt es nun? Oder lebt es nicht?“ Joss interessieren die Übergänge und Schnittstellen zwischen belebter und unbelebter Materie.
Seit knapp anderthalb Jahren leitet der 47-jährige Schweizer die Abteilung Puppenspiel an der Hochschule. Joss sitzt in seinem Büro, von Stühlen, vom Fensterbrett schauen ihm die unterschiedlichsten Puppen bei der Arbeit zu. Kleine Objekte und große Puppen, die wie Menschen aussehen. Er nimmt einen der Herren auf den Schoß und fängt an, mit ihm zu spielen. Eine seiner Hände wird zur Puppenhand, die andere führt die Puppe, sie beginnt zu leben. „Richtig toll und verstörend wird es, wenn ich über diese Schnittstellen arbeite, wenn der Fokus zwischen Spieler- und Puppenkörper wechselt: Wann ist die Puppe dramatische Figur, wann mischt der Spieler sich ein, wann treten die beiden in einen Dialog, wann verwandelt sich das Subjekt Puppe wieder in ein Objekt?“