„Scheiß-Jude“: Die Angst vor der Intifada im Klassenraum

Berlin - Der Staat Israel ist im Atlas mit schwarzem Edding übermalt. Ein Schüler sagt, Israelis müsse man töten. Ein Lehrer rechnet im Geschichtsunterricht mit einer Intifada, wenn er das Thema Judentum nur anspricht. „Du Jude“, „Scheiß-Jude“, „Juden sind Mörder“. Es sind solche Äußerungen, die Lehrer im Berliner Schulalltag von ihren Schülern hören. Viele reagieren ratlos. Manche gehen den Themen, die Zündstoff bieten könnten, deshalb lieber aus dem Weg. „Sonst wecke ich schlafende Hunde“, sagt einer.

Radikalisierungsprozesse, gewaltbereiter Islamismus und terroristische Anschläge belasten das gesellschaftliche Zusammenleben. Naheliegend, dass sich dies auch an den Berliner Schulen niederschlägt. Es war jedenfalls dieser Gedanke, der Mitarbeiter des American Jewish Committee (AJC) animierte, die Sache in einer Studie zu untersuchen. Sie befragten Lehrer an 21 Berliner Schulen zu ihren Erfahrungen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) und die AJC-Direktorin Deidre Berger stellten die Dokumentation am Mittwoch gemeinsam vor.

„Wir sind der Auffassung, dass wir das Thema Antisemitismus an Schulen stärker in den Fokus rücken müssen“, sagt Senatorin Scheeres. Denn Salafismus und der ihm zugrundeliegende Antisemitismus seien an Berliner Schulen ein Problem. Nur in Einzelfällen, wie an der Friedenauer Gemeinschaftsschule, wo ein jüdischer Schüler nach antisemitischen Beleidigungen die Schule verließ, dringt das an die Öffentlichkeit. Wir haben über diesen Fall berichtet.

Israel als Zentrum einer Verschwörung

Das AJC hat von Herbst 2015 bis Frühjahr 2016 genau 27 Lehrer interviewt. Das sind nicht viele, aber die Bildungsverwaltung hält die Aussagen trotzdem für aussagekräftig. Dabei waren Schulen mit einem hohen Anteil türkischer oder arabischer Schüler wie auch Schulen aus bürgerlichen Gegenden. Sie liegen in Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln, Reinickendorf, Spandau, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg. Die Lehrer wurden über das landeseigene Lehrerfortbildungsinstitut Lisum angefragt. Denn dies startete zeitgleich ein Fortbildungsprojekt für Lehrer zur Demokratieerziehung.

In der Studie sind Antisemitismus und Israelhass eins von mehreren Themenfeldern. „Jude“ sei in Schulen ein gängiges Schimpfwort, heißt es da. Im Zusammenhang mit Israel würden Juden kollektiv dämonisiert und als Zentrum einer weltweiten Verschwörung dargestellt. Ein größerer Teil der Lehrer berichtet, nur dem Thema Holocaust stünden gerade auch muslimische Schüler aufgeschlossen gegenüber. Gute Erfahrungen machten sie mit Begegnungen mit deutschen und israelischen Juden sowie Klassenfahrten nach Israel.

Gekümmert haben sich die AJC-Mitarbeiter auch um die Rolle von Religion und religiöser Identität bei Schülern. Fast zwei Drittel der Lehrer berichteten, die Bedeutung von Religion habe in den letzten Jahren zugenommen. Der Islam diene der Identifikation und Abgrenzung. Das kollidiere mehr und mehr mit dem Schulalltag. So würden zunehmend gemischtgeschlechtlicher Sportunterricht, Sexualkunde und Evolutionslehre abgelehnt. Minderheiten machten Druck auf andere Schüler. Schulstoff werde von Koranlehrern oder Moscheen überprüft. Ein Lehrer sagt: „Wir haben mittlerweile so eine Art Parallelbildung.“ In Klassen gibt es Moralwächter, die Schüler maßregeln und Aussagen der Lehrer überprüfen. Sie übten Druck aus, zu fasten und ein Kopftuch zu tragen, und verbreiteten ein intolerantes Religionsbild.

Lehrer fühlen sich nicht vorbereitet

Ein Drittel der Lehrer berichte von ausgeprägten Konflikten zwischen den Religionsvorstellungen mancher Schüler und den Werten der demokratischen Grundordnung. Geschlechtergleichheit würde von diesen Schülern abgelehnt. Sie hielten religiöse Texte für wichtiger als die Demokratie und äußerten sich abfällig über Homosexuelle, Atheisten und Juden.

Verschwörungstheorien seien mittlerweile in allen Schülergruppen weit verbreitet, spielten aber für muslimische Schüler eine besondere Rolle und kreisen oft um den 11. September. „Die Amerikaner haben natürlich das World Trade Center selber in die Luft gesprengt“, sagen Schüler, „in den Flugzeugen war doch keiner drin“, „jüdische Kreise haben das inszeniert, um die arabische Welt zu diffamieren“. Die Lehrer sind der Ansicht, dass das Gefühl der eigenen Opferrolle die Schüler anfällig für extremistische Ideologien macht. Terrorismus und Gewalt würden relativiert und als Notwehr betrachtet.

Ein großer Teil der Lehrer fühlt sich der Studie zufolge nur unzureichend vorbereitet. Sie wünschen sich eine Art Leitfaden für den Umgang mit problematischen Äußerungen und eine Kontaktstelle.

Die Bildungsverwaltung glaubt, mit ihrem Fortbildungsprojekt angemessen auf die Unsicherheiten bei den Lehrern reagieren zu können. 21 Schulen mit jeweils 25 bis 40 Lehrern nehmen seit dem Schuljahr 2015/16 daran teil. Externe Experten wie der auf Islamismus spezialisierte Ahmad Mansour, jemand aus der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden, Vertreter der Gedenkstätte Yad Vashem nehmen teil. Senatorin Scheeres hält es darüber hinaus für notwendig, dass Schulen bei Problemen schneller reagieren. Bildungsangebote werden ausgebaut, wie auch der Austausch mit Israel. Es gebe bereits zahlreiche Maßnahmen in den Bereichen Jugend, Bildung, Soziales, Inneres. „Aber die Vernetzung und der Austausch müssen intensiviert werden“, sagt sie.