Schilda in Brandenburg: Gemeinde ist fast pleite

Schilda - Das kleine Dorf Schilda liegt tief im Süden und ist fast pleite, ein Ort weiter nördlich in Brandenburg, Groß Köris, schwimmt fast im Geld. Woran liegt das? Wir haben beide Orte besucht und Antworten gefunden.

Es ist eines jener brandenburgischen Dörfer, durch die die Leute durchfahren, aber nicht anhalten. Warum auch? Es gibt kein Geschäft und keine Gaststätte. Und dass dieses Schilda im Landkreis Elbe-Elster einst wirklich das legendäre Schilda der Schildbürger war, ist eher unwahrscheinlich – trotz der liebevoll gestalteten Skulpturen ihrer Streiche neben der Feldsteinkirche.

Dennoch lohnt sich in Schilda ein zweiter Blick, denn hier werden die Nöte deutlich, die jene Orte belasten, die weit weg von Berlin sind. Schilda hatte 2018 mit gerade einmal 296,62 Euro pro Einwohner die niedrigsten Steuereinnahmen aller brandenburgischen Gemeinden, meldet das Potsdamer Finanzministerium.

Es ist ein Vormittag, als Lothar Benning sein Auto auf einem Parkplatz abstellt. Weit und breit ist niemand zu sehen, bis auf einen Gemeindearbeiter. Benning ist nicht nur hier geboren, seit 2014 ist er auch ehrenamtlicher Bürgermeister.

Schilda: keine Kita, keinen Hort, keine Schule

Es dauert nicht lange, bis der 60-Jährige die Situation seines Orts beschrieben hat. Die Einwohnerschaft ist seit 1990 von 723 auf 454 im Jahre 2018 geschrumpft, es gibt keine Kita mehr, keinen Hort, keine Schule, keinen Pfarrer, aber immerhin noch einen Arzt. Die Bushaltestelle bekommt zweimal am Tag Besuch – allerdings nur montags bis freitags.

Arbeit gibt es kaum. Benning fällt nur eine Firma ein – ein Betrieb für Aufzugwartung, dessen Mitarbeiter nicht im Ort arbeiten, denn es gibt keine Aufzüge. „Wer hier Arbeit hat, verlässt Schilda jeden Tag.“ Deshalb die geringen Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Landwirtschaft gibt es nur noch im Nebenerwerb, die meisten Äcker hat eine weit entfernte Genossenschaft gepachtet. Die Arbeitslosigkeit liege bei etwa fünf Prozent, die Hartz-IV-Empfänger kann Benning an einer Hand abzählen.

Schildas Bürgermeister Benning: „Die Politik, in die Zentren zu investieren, schwächt die Schwachen“

Der Elektroingenieur in Frührente ist kein Hobby-Politiker. Als Mitarbeiter des regionalen Energieversorgers EnviaM hatte er viel mit Kommunen zu tun, er kennt sich aus. Ihn stört, dass seit Jahren vor allem in Vorzeigeregionen investiert wird. „Die Politik, die Stärken zu stärken, also in die Zentren zu investieren, schwächt die Schwachen.“ Die Regelungen, wie Steuern verteilt werden, führe zu einer Abwärtsspirale, die nur durch einen massiven Aufwuchs bei Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl zu durchbrechen wäre.

Damit sei aber nicht zu rechnen, sagt auch Andreas Dommaschk, der Direktor des Amts Elsterland, zu dem Schilda gehört. Arbeitsplätze werden oft nur entlang der Autobahnen angesiedelt, doch hier gibt es keine Autobahn. Dommaschk beklagt, dass das Land seine Straßen vernachlässige. Es stehe auch in den Sternen, ob die einst geplante Autobahn A16 von Leipzig nach Cottbus in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird.

Schilda hat noch keinen Glasfaser-Anschluss

Die Malaise des Ortes dauert schon Jahrzehnte. Nach der Wende brach die Industrie weg, vor allem die Landmaschinenfabrik in der Nähe, die tausend Leuten Arbeit gab. Es gibt zwar noch ein wenig Industrie in den Orten, aber es kommt nichts dazu. Auch Zuwanderung ist kaum spürbar, sagt Benning. Es sind ältere Heimkehrer, die sich nach dem Ende der DDR anderswo Arbeit gesucht hatten oder auf Montage gingen. Dazu kommen ein paar Leute aus Berlin, die aber laut Benning „alternative Lebensformen“ ausprobieren und keine Wirtschaftskraft mitbringen. Die jungen Leute, die weggehen, gründen Familien, wenn sie irgendwo Arbeit finden und kehren nicht mehr zurück.

Helfen könnte vielleicht ein schneller Internetzugang, damit die Chance besteht, auch in der Provinz arbeiten zu können. Doch Schilda hat noch keinen Glasfaser-Anschluss. Andere Orte schon.

Grotesk wird es in den Augen des Bürgermeisters und des Amtsdirektors, wenn es um den Kern der Dinge geht: das Geld. 480.000 Euro erhielt Schilda aus Zuweisungen und Einkommenssteuer, die eigenen Einnahmen aus Gewerbe- und Grundsteuer beliefen sich auf knapp 40.000 Euro. Von den 520.000 flossen 356.000 Euro aber sofort wieder an den Kreis Elbe-Elster und das Amt Elsterland für die Verwaltungsaufgaben, die die für die Gemeinden übernehmen.

Den schmalen Rest von 120.000 Euro gibt Benning für die beiden Gemeindearbeiter aus, die die Grünanlagen und den Friedhof pflegen, die kleinere Reparaturen unter anderem an den Straßen machen. Außerdem wird mit dem Geld die Straßenbeleuchtung bezahlt, Baumpflege-Firmen oder die TÜV-Untersuchungen der Geräte auf dem Spielplatz.

Schilda: Schulden pro Kopf der Einwohner liegen bei 136 Euro

Der Bürgermeister würde gern mehr ausgeben, aber er darf nicht. Denn es wurde die kommunale Finanzabrechnung umgestellt, und das Amt hat es – wie viele andere auch – wegen des Personalmangels seit Jahren nicht geschafft, die Jahresabschlüsse der Gemeinden zu testieren. Das führt dazu, dass die Orte weder Geld für größere freiwillige Maßnahmen ausgeben dürfen noch Kredite aufnehmen.

Dabei sitzt Schilda auf Geld: Fast 300.000 Euro haben sich über Jahre angesammelt, die Schulden pro Kopf der Einwohner liegen bei 136 Euro – in Berlin sind es knapp 16.000 Euro.

„Wir fahren unsere Gebäude und die Ortsstraßen auf Verschleiß“, sagt Benning über die Ausgabensperre. 300.000 Euro würde die Straßenreparatur kosten. Die Kita würde er gern abreißen lassen, aber auch diese 25.000 Euro kann er nicht loseisen. „Erst, wenn Gefahr von dem Haus ausgeht, darf ich abreißen lassen.“

Die Gaststätte „Zum Schildbürger“, deren Wirte zu wenig Kundschaft fanden, gehört ebenfalls der Gemeinde. Sie dient nur noch in unregelmäßigen Abständen für Tanzvergnügen des älteren Publikums. Eigentlich müsste das Haus weg.

Schilda: Mangel junger Leute ist spürbar

Benning ist trotz seiner Sorgen froh, dass es noch Dorfleben gibt: Frauensportgruppe, Dart-Gruppe, Senioren-Club, Jugendclub am Wochenende und ein ulkiges Männerballett. Die Freiwillige Feuerwehr ist intakt. Wenngleich auch hier der Mangel junger Leute spürbar ist.

Ein bisschen mehr Geld wünscht sich Benning für die Gemeinden. Denn sie seien eigentlich billiger als Städte. „Wir brauchen weder Straßenbahnen noch Parkhäuser, und wir verplempern das Geld nicht.“ Mit der Zentralisierung von Einrichtungen in größeren Gemeinden und Städten lüge sich das Land Brandenburg auch in die Tasche.

Zwar sei es vordergründig billiger, Schulen und Kitas auf den Dörfern aufzugeben. Der Transport mit Schulbussen oder durch die Eltern an zentrale Schulen sowie der Verlust an Lebensqualität für die Kinder werde aber nicht einbezogen. Ähnliches gilt auch für die Konzentration von Kliniken oder Läden.

Amtsdirektor Dommaschk wünscht sich zudem eine andere Finanzierungsstruktur für das platte Land: Es dürfe nicht nur nach der Einwohnerzahl gehen, sondern auch nach der Fläche. Dann müsse er nicht mehr ständig lauern, wo es neue Fördertöpfe gibt und Vorhaben vorbereiten, die er dann sofort aus der Schublade ziehen kann.