Schlange stehen dank Corona

Früher drängelten sich alle im Geschäft. Jetzt reiht man sich draußen auf, bei Wind und Wetter und interessanten Einsichten.

Menschen stehen Schlange, bevor sie ins Geschäft dürfen. 
Menschen stehen Schlange, bevor sie ins Geschäft dürfen. www.imago-images.de

Die Runde des Tages ist schnell erledigt: einmal Post – und auf direktem Weg wieder zurück nach Hause. Bei dem Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür. Schwer vorstellbar, dass durch diesen tiefhängenden grauen Schleier am Himmel, der seltsam an den Smog chinesischer Metropolen erinnert, tatsächlich noch ein paar Strahlen dringen sollen, die uns mit Vitamin D versorgen. Wirklich spürbar ist davon jedenfalls nichts.

Auf dem Weg fällt ein Aushang in der Eingangstür eines Cafés ins Auge. Die Betreiber informieren darauf über die Schließung und bitten die ehemalige Kundschaft, sie in guter Erinnerung zu behalten. Es gibt hier eigentlich genug Publikumsverkehr und durch die Nachbarschaft ein potenzielles Stammpublikum. Es ist unklar, ob der Schritt allein eine Folge des Coronavirus ist, immerhin bleibt in anderen Cafés und Restaurants derzeit kein Platz frei, was darauf schließen lässt, dass 2G+ als Maßnahme nicht so viele Menschen abschreckt, wie manche Wirte beklagen.

Vor der Post zieht sich eine Warteschlange vorbei am nächsten Hauseingang und bis vor das große Fenster des benachbarten Friseursalons. In solchen Momenten schlägt das Unterbewusstsein Alarm: Das wird hier ewig dauern. Dabei sind wir inzwischen natürlich Corona-weise und wissen, dass in vielen Filialen und Läden nur eine begrenzte Zahl von Kunden gleichzeitig eintreten dürfen, auch wenn das mit dem Abstandhalten schon länger nicht mehr streng eingehalten wird. Wer sich bewusst macht, dass die gleiche Zahl von Leuten früher einfach drinnen anstand, reiht sich gleich mal bereitwilliger ein.

Nun ist Schlangestehen natürlich kein Zeitvertreib, der vergnügungssteuerpflichtig ist, was besonders gilt, wenn es auch noch zu nieseln beginnt. Ein ausrangierter Tannenbaum, der am gelben Briefkasten vor der Postfiliale lehnt, wirkt auch nicht begeistert. Während andere gelangweilt zum Handy greifen, bleibt der eigene Blick beim Friseur hängen. Dort trottet gerade ein junger Mann mit zum Turban geschlagenen Handtuch auf dem Kopf zu seinem Platz. Eine Frau begutachtet ihren neuen Schnitt, bis sie erschrocken bemerkt, dass mittlerweile drei Leute sie von draußen ungeniert anstarren, wie Zuschauer eines Theaterstücks. Zur Entschuldigung sei angefügt: Es heißt ja nicht umsonst Schaufenster.