Schoppenstube Berlin: Letzte Runde - Schoppenstube schließt
Wer in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als schwuler Mann in Berlin lebte, hatte es auf beiden Seiten der Mauer nicht leicht. Am Paragraph 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, wurde im Westen wie im Osten gleichermaßen festgehalten, schwules Leben fand ausschließlich im Geheimen statt. Ungefähr zu dieser Zeit betrat Wolfhard Zehe zum ersten Mal die Schoppenstube an der Schönhauser Allee – und wurde prompt wieder rausgeschmissen, weil er sich über die Bedienung beschwerte. Im kommenden Juni wird er zum letzten Mal die Türen des Lokals aufschließen.
Die Schwulen wandern gern
Als die älteste Schwulenbar Berlins 1963 ihre Türen öffnete, war sie eigentlich gar keine Schwulenbar. Wie die meisten Schankwirtschaften in der DDR unterstand die Schoppenstube in Prenzlauer Berg der HO, dem staatseigenen Einzelhandelsunternehmen, und war als solche ursprünglich nicht explizit als Nachtlokal für homosexuelle Männer gedacht. Sie kamen trotzdem – weil an der repräsentativen Friedrichstraße in Mitte kein Platz mehr für schwules Nachtleben war und weil man sich in Prenzlauer Berg Ende der Sechzigerjahre auch in guter Gesellschaft befand. „Die Schwulen wandern gern“, sagt Wolfhard Zehe, 68 Jahre alt, der in der Schoppenstube seit 1980 Getränke mischt und sie seit 1994 betreibt.
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Er spielt damit auf die Vielzahl von Schwulenbars an, die es hier zu dieser Zeit in fußläufiger Reichweite gab. In der Schoppenstube – von Stammgästen schnell nur noch Schoppe genannt – fanden sich die Szenegänger zu später Stunde ein, wenn das Café Schönhauser und der Burgfrieden schon geschlossen hatten. Zur Blütezeit in den Achtzigerjahren feierten allnächtlich bis zu dreihundert Leute in der Bar und dem dazugehörigen Kellerraum, beinahe ebenso viele warteten vor der Tür auf Einlass. Holzvertäfelte Wände, ein Keramikfries als Bordüre und das sakrale Fenster aus buntem Glas gaben dem Lokal seinen gemütlichen Charme.
Zur Legendenbildung um die Schoppenstube trugen auch ihre prominenten Besucher bei. Tänzer aus dem Friedrichstadtpalast, Sänger, Schauspieler und Botschafter machten das Lokal schon zu DDR-Zeiten zu einem Geheimtipp in der Szene – auch wegen der Verschwiegenheit der Gastwirte: Ihre Namen gibt Zehe bis heute nicht preis. Später fand die Schoppenstube Erwähnung im New Yorker Schwulenmagazin Spartacus und war 1989 Schauplatz des DDR-Films „Coming Out“. Der Film wurde am 9. November uraufgeführt, gerade als ein paar hundert Meter weiter die Berliner Mauer fiel.
Das letzte Kapitel
Die Schoppenstube war zu DDR-Zeiten für ihre Gäste immer auch eine Art Refugium: „Viele konnten nicht offen schwul sein. Wir durften alle nicht reisen. Also traf man sich mit seinen Freunden am Wochenende in der Schoppe“, erinnert sich Wolfhard Zehe. Daran änderte auch die Öffnung der Mauer vorerst nichts. Wegen des günstigen Wechselkurses der Ost-Mark kamen nun auch die schwulen Männer aus West-Berlin. Erst mit der deutschen Einheit begann für die Schoppenstube ihr letztes Kapitel. Die Schwulen wandern gern, nun aber lieber nach Schöneberg, wo modernere Bars, Saunen und Darkrooms lockten. Die Motzstraße war das Spektakel, die Schönhauser Allee nur noch Peripherie. Durch das Internet hatten schwule Männer nun zusätzlich die Möglichkeit, sich außerhalb von Bars kennenzulernen. „Unter der Woche kamen immer weniger Leute“, beschreibt Zehe das Kneipensterben zu dieser Zeit.
In der Schoppe ist es merklich ruhiger geworden. Die treue Stammkundschaft kommt weiterhin. Von den einstmals 13 Mitarbeitern sind noch zwei geblieben: Zehe selbst und der Barkeeper, den er nur liebevoll „mein Jörg“ nennt. Nach fast fünfzig Jahren geht es wieder familiär zu in der Schoppenstube, in jedem Bierglas versteckt sich eine Anekdote. Und weil die sich in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre viel besser erzählen lassen, gibt es nun Sitzecken, wo früher im schummrigen Licht getanzt wurde. Die Gäste von damals sind inzwischen Freunde und es gibt neue Projekte, die Wolfhard Zehe beschäftigen. Das Waisenhaus in Sri Lanka, für das er sich seit Jahren engagiert, zum Beispiel. Oder die große Party am 11. Mai, wenn Berlins älteste Schwulenbar ihren fünfzigsten Geburtstag ausrichtet.
Der Prenzlauer Berg hat sich von dem anfänglichen Boom der West-Berliner Bezirke erholt. Ende der neunziger Jahre siedelten sich wieder Lokale an, neue Bevölkerungsschichten zogen zu, die Mieten stiegen. Der Schoppenstube half das letztlich wenig: Weil der Vermieter die Miete für das Haus drastisch erhöht, wird das Lokal kurz nach seinem 50. Geburtstag schließen müssen. Wolfhard Zehe sieht diese Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Irgendwie hat es ja auch sein Gutes. Unsere Gesellschaft ist inzwischen so tolerant gegenüber Homosexuellen geworden, dass sich Schwule auch in heterosexuellen Bars wohlfühlen können.“