Der Suizid eines elfjährigen Mädchens in der vergangenen Woche, das an seiner Grundschule in Reinickendorf gemobbt worden war, hat viele Menschen ratlos und wütend gemacht. Etwa 150 Menschen waren am Sonnabendabend zur Grundschule am Hausotterplatz gekommen. Sie stellten Kerzen auf den Treppenstufen vor dem Eingang ab, legten Blumen und eine Plüsch-Robbe nieder. Dahinter stand ein Foto des Kindes, der Rahmen war mit dem Schriftzug „in ewiger Liebe und Erinnerung“ versehen.
Mädchen wurde von Mitschülern auch körperlich angegriffen
Das Mädchen soll von Mitschülern gemobbt und auch körperlich angegriffen worden sein. Die Eltern hätten dies bei der Schulleitung auch immer wieder angesprochen, hieß es. Die Schulleiterin Daniela Walter erklärte der BZ, dass das Mädchen im vergangenen Schuljahr Konflikte mit Mitschülern ihrer vierten Klasse gehabt habe. Es seien verbale Äußerungen gewesen. Die Schulleitung habe mit den Eltern und der Klasse gesprochen. Die Mädchen, mit denen es die Konflikte gab, seien nicht mehr in der Klasse. „Seitdem herrschte Ruhe.“
Viele Eltern der 600 Grundschüler sehen das jedoch ganz anders. Daniel Richter ist Vater eines Sechstklässlers an der Hausotterschule und gehört der Elternvertretung an.
Eltern beklagen massives Mobbing an der Hausotterschule
Er beklagte gegenüber der Berliner Zeitung, dass es an der Hausotter-Schule Gewalt und Mobbing gebe: „Das geht durch alle Klassen, durch alle Nationalitäten und Altersgruppen, zwischen Jungen und Mädchen.“ Manuel Wilken, Vater eines Jungen in einer 2. Klasse, berichtete von Angriffen größerer Schüler auf die kleineren, von Tritten und Boxhieben. Jacken würden in den Schmutz geworfen.
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Mobbing gehe aber nicht nur von Schülern aus, berichtete Jessica Bittner. Sie ist die Mutter eines Fünftklässlers, der von einer Lehrerin immer wieder erniedrigt werde. „Ich halte es nicht mehr aus.“ Die Schule streite jedoch alles ab.
Kehrt die Schule das Thema Mobbing unter den Teppich?
Auch Daniel Richter machte der Schulleitung den Vorwurf, das Thema Mobbing unter den Teppich zu kehren. Die Direktorin habe mit Hinweis auf ihr Hausrecht gedroht, eine Sitzung der Elternvertretung zu beenden, wenn das Thema angesprochen werde. Das Problem sei auch dem Schulamt bekanntgewesen. Schulleiterin Daniela Walter wies den Vorwurf der Vertuschung zurück. Dem RBB sagte sie, dass es zwar Konflikte gebe, aber auch Konfliktlotsen unter den Schülern und eine gute Schulsozialarbeit.
Bei der Mahnwache am Sonnabend vor der Schule sprach der Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl. Er leitet seit fünf Jahren die von ihm gegründete Kampagne „Stoppt Mobbing“ und hält bundesweit Vorträge. An rund 150 Schulen hat er nach eigenen Angaben bereits Aufklärungs- und Präventionsveranstaltungen durchgeführt. Er ist durch eigene Erfahrung zu dem Thema gekommen: Sein Sohn sei gemobbt geworden, er selbst habe als Kind aus dem gleichen Grund sterben wollen. Am Sonnabend rief er dazu auf, dass endlich etwas getan werden müsse. Mobbing töte.
„Stopp!" – Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl fordert ein Umdenken
Wie tief das Mobbing in die Schulen eingedrungen sei, habe er im September 2018 in der Nähe der nun betroffenen Schule erfahren. Bei einer Veranstaltung des SPD-Abgeordneten Thorsten Karge habe er die rund 150 Schüler gefragt, ob sie schon mal so stark gemobbt wurden, dass sie an Selbstmord dachten. 25 von ihnen hätten die Hand gehoben, so Stahl. „Schüler und Eltern fühlen sich im Stich gelassen. Schulsenatorin Scheeres muss diese Themen endlich ernst nehmen.“ Seine Hilfe habe sie nicht angenommen.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wies gegenüber der Berliner Zeitung den Vorwurf zurück: „Die 287 Schulen, die wegen der schwierigen Sozialstruktur ihrer Schülerschaft bis zu 100.000 Euro aus dem Programm Bonusschulen erhalten, können Trainer wie Stahl buchen.“ Alle Schulen hätten die Möglichkeit, mit der Polizei zu kooperieren und intern über Sozialarbeit und Krisenteams zu reagieren. „Ich habe ins im Dezember verabschiedete neue Schulgesetz geschrieben, dass jede Schule Krisenteams haben muss“, sagte Scheeres. „90 Prozent der Schulen haben diese Teams bereits. Das sind Lehrkräfte, die sich zum Beispiel um Mobbingfälle kümmern.“
Neues Präventionsprogramm gegen Mobbing
Im Sommer werde das Programm „Pro Respekt“ starten. „Schulen können zweiköpfige Sozialarbeiterteams anfordern, wenn sie das Gefühl haben, dass das innerschulische Klima sei von Respektlosigkeit und Gewalt geprägt sei.“ Die Senatorin sieht darin eine Präventionsmöglichkeit. Zudem sei die Teilnahme an Fortbildungen für Schulleitungen und Führungskräfte der Verwaltung über Mobbing jetzt verpflichtend. Die Senatorin versprach Aufklärung darüber, was an der Hausotter-Schule geschehen ist. Es müsse herausgefunden werden, warum die Eltern trotz der Maßnahmen an der Schule das Gefühl haben, dass nichts geschehe.
Der frühere Bezirksverordnete in Reinickendorf, Michael Schulz, schlägt vor, dass jeder Bezirk einen Ombudsmann bekommt, der nicht der Verwaltung angehört. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schulen und Verwaltung bestrebt sind, es kleinzureden, um den Ruf der Schule nicht zu beschädigen“, sagte er.