Senator Andreas Geisel und Seeed-Sänger Pierre Baigorry über Klimaschutz: "Wenn es um Verzicht geht, wird es immer unsexy"
Was muss geschehen, damit Berlin das vom Senat beschlossene Ziel erreichen kann, bis 2050 „klimaneutral“ zu werden? In diese meist von Politikern und Experten geführte Debatte mischen sich jetzt auch Künstler wie der Sänger Pierre Baigorry ein, besser bekannt als Peter Fox und erfolgreicher Musiker bei Seeed. Im Gespräch mit Umweltsenator Andreas Geisel kritisiert er als Mitglied der Künstlerinitiative „Geht-auch-anders“, dass die Politik den Klimaschutz nicht entschieden genug vorantreibt.
Herr Senator Geisel, in einem seiner Songs träumt Herr Baigorry davon, sich ein Haus am See zu bauen. Wie müsste der Bau aussehen, damit die Stadt 2050 klimaneutral sein kann?
Geisel: Er müsste in jedem Fall gut wärmegedämmt sein, bei der Heizung kommt Fernwärme in Frage oder auch ein effizientes Blockheizkraftwerk. Aber das Haus am See steht in dem Video von Peter Fox recht einsam da, wir müssen in Berlin aber hunderttausende Häuser in einen energetisch guten Zustand bekommen. Dabei sind wir ganz gut unterwegs, aber es gibt noch viel zu tun.
Herr Baigorry, gut gedämmte Häuser sind teurer als herkömmliche. Sie können sich den Aufpreis als erfolgreicher Musiker sicher leisten – aber was ist mit denen, die wenig Geld haben?
Baigorry: Ich bezahle den Aufpreis gerne, weil es dem Klimaschutz dient und gleichzeitig die Heizkosten senkt. Aber für viele Leute sind höhere Baukosten oder höhere Mieten sicher eine Frage des Geldes, die würden sicher nicht sofort zustimmen. Ich muss aber sagen, dass oft auch Polemik im Spiel ist, wenn es um die Kosten für den Klimaschutz geht. Wenn es beispielsweise um die Energiewende und etwas höhere Preise für Ökostrom geht, führt Vizekanzler Sigmar Gabriel stets die arme Oma Erna an, die er berücksichtigen müsse, weil sie das angeblich nicht bezahlen kann. Dabei geht es vielleicht um fünf Euro mehr im Monat, was sich der Großteil der Deutschen meiner Meinung nach leisten kann, wenn man sieht, wie oft das neuste Smartphone am Start ist. Dann sollte es auch für normal verdienende Menschen möglich sein, Prioritäten zu setzen und ihren Beitrag für den Klimaschutz zu leisten, was letztlich nicht nur der Umwelt, sondern uns allen nützt.
Geisel: Die Energiewende, Herr Baigorry, muss aber sozialverträglich gestaltet werden. Den Ungeduldigen sage ich, dass wir dafür Zeit und technologische Innovationen brauchen, weil die Preise, etwa für Solaranlagen, im Laufe der Jahre sinken. Ich war kürzlich im deutschen Pavillon auf der Expo in Mailand. Dort gab es Solarfolien zu sehen, die man sich aufs Handy oder ans Fenster kleben kann, um Strom zu erzeugen. Solche Technologien werden unsere Möglichkeiten erweitern. Deshalb plädiere ich dafür, die Energiewende in Berlin schrittweise zu gestalten und flexibel auf die technische Entwicklung zu reagieren. Wir werden deshalb alle fünf Jahre unsere Klimaziele überprüfen und gegebenenfalls anpassen.
Herr Baigorry, Sie sind ungeduldig?
Baigorry: Na klar bin ich das. Denn niemand bestreitet mehr, dass es einen Klimawandel mit dramatischen Auswirkungen gibt. Deshalb haben wir keine Zeit mehr zu verplempern. Ich will keine Weltuntergangsstimmung verbreiten, aber wir müssen jetzt handeln. Das Problem kann zwar nur international gelöst werden und es gibt viele Staaten, die beim Klimaschutz stärker bremsen als Deutschland. Andererseits finde ich es verlogen, so zu tun, als seien die Deutschen die Klimaengel. Die Bundesregierung war ganz vorne mit dabei, als es darum ging, die hohen Abgaswerte unserer Autos möglichst lange beizubehalten.
Arbeitgeber Autoindustrie
Die Autoindustrie ist einer der größten Arbeitgeber.
Baigorry: Ich kann dieses Arbeitsplatz-Lamento nicht mehr hören. Mit diesem Argument kann man jede Entwicklung zugunsten der Umwelt totschlagen. So macht es auch der brandenburgische Ministerpräsident Woidke mit der Lausitzer Braunkohle. Ich bin unbedingt dafür, „den Arbeiter“ im Blick zu haben. Aber anstatt den nötigen Strukturwandel in den Mittelpunkt zu stellen und Lösungen zu erzwingen, wird bei CDU und SPD mit Blick auf das nächste Wahlergebnis gebremst. Ich finde diese Art Politik schwächlich.
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Herr Geisel, man hat den Eindruck, dass in der Klimapolitik in Berlin zu wenig passiert. Was haben Sie vorzuweisen?
Geisel: Berlin ist zum Beispiel Hauptstadt der Elektromobilität, das wollen wir ausbauen. Wir diskutieren, wie wir das Strom- und das Gasnetz rekommunalisieren können, um mehr Einfluss auf die Energiewende nehmen zu können. Wir sanieren unsere Gebäude, damit sie weniger Heizenergie verbrauchen. Wir haben gerade im Senat ein Energiewendegesetz beschlossen. Darin steht, dass Berlin bis 2050 klimaneutral werden soll. Dieses Ziel in ein Gesetz zu schreiben, ist schon ein Wert an sich. Und wir diskutieren mit Experten und Bürgern seit einem Jahr in einem breit angelegten Verfahren das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm. Darin geht es um konkrete Vorschläge, wie wir den Ausstoß von Kohlendioxid senken können.
Fehler nicht wiederholen
Das Energiewendegesetz ist sehr luftig, weil es keine verbindlichen Vorschriften enthält.
Geisel: Unter Rot-Rot sind zwei Mal Entwürfe für ein Klimaschutzgesetz gescheitert, weil es mit Vorschriften überfrachtet war, die die Abgeordneten und viele Leute in der Stadt nicht gut fanden. Den Fehler möchte ich nicht wiederholen.
Wie will denn der Senat Hausbesitzer dazu veranlassen, ihre Gebäude energetisch zu sanieren?
Geisel: Indem wir beispielsweise im Wohnraumversorgungsgesetz ein Sanierungsprogramm für den Altbaubestand aufgenommen haben. Es ist falsch anzunehmen, dass alles zum Klimaschutz in ein einziges Gesetz gehört. Die Bandbreite ist aber riesengroß. Jede Schule, die wir wärmedämmen, jedes Fenster, das wir austauschen, trägt dazu bei, den Klimaschutz voranzubringen. Es werden jedes Jahr tausende Wohnungen saniert….
… bei einem Bestand von rund zwei 1, 9 Millionen.
Geisel: Aber es ist jeden Tag ein kleiner Schritt, der machbar ist. Denn es wird nicht der Tag kommen, an dem der Finanzsenator ein paar Milliarden Euro auf den Tisch legt und zu mir sagt: bring mal den gesamten Gebäudebestand energetisch auf Vordermann.
"Das ist sicher ein Mehrgenerationenprojekt"
Vielleicht ist der Senat auch so zögerlich, weil im BEK ganz unpopuläre Maßnahmen vorgeschlagen werden. Weniger Wohnfläche pro Einwohner, weniger Autoverkehr, weniger Fleischkonsum. Nichts, womit man Wahlen gewinnt.
Baigorry: Das ist sicher ein Mehrgenerationenprojekt, denn es müssen eingefahrene Verhaltensweisen in Frage gestellt werden. Ich würde Senator Geisel in der Hinsicht keinen Vorwurf machen, denn wenn es um liebe Gewohnheiten und Verzicht geht, wird es immer unsexy. Die Grünen sind deshalb mit ihrem Veggie-Day auf die Schnauze gefallen. Die Idee war richtig, aber in den Medien wurde es sofort als unhaltbare Freiheitseinschränkung zerstört. Es als Chance zu sehen, sind wir anscheinend noch nicht bereit. Bestimmte Verhaltensweisen in der Bevölkerung verstehe ich auch nicht. Warum stehen die Leute lieber im Berufsverkehr auf der Warschauer Straße im Stau, statt mit Fahrrad und S-Bahn schnell voranzukommen? Das ist mir ein Rätsel.
Geisel: Das Wachstum der Stadt läuft aber nicht mehr über den Autoverkehr, der Anteil liegt unter 30 Prozent, während der Anteil des Radverkehrs stark wächst.
Die Politik ist widersprüchlich. Fliegen ist die mit Abstand klimaschädlichste Verkehrsart, die ein Umweltsenator eigentlich verabscheuen muss. Aber der Senat jubiliert jedes Mal, wenn die Fluggastzahlen in Tegel und Schönefeld steigen.
Geisel: Was wir in diesem Zusammenhang brauchen, ist der technische Fortschritt, sonst werden wir die Herausforderungen beim Klimaschutz nicht bewältigen. Wenn es immer nur darum geht, Verzicht zu üben, etwa beim Fliegen, dann ist das nicht sympathisch. Ohne technologische Innovationen geht es nicht. Der heutige Flugverkehr ist wegen besserer Triebwerke schon wesentlich leiser geworden als vor 10 oder 15 Jahren, und in weiteren 10 Jahren wird er noch leiser sein und weniger verbrauchen als heute.
Ausbau des Eisenbahnnetzes
Fliegen bleibt klimaschädlich.
Geisel: Die Menschen werden trotzdem weiter in den Urlaub fliegen. Und wir können ihnen noch so oft einreden, dass sie lieber umweltschonend in den Brandenburger Wäldern wandern sollen: sie werden weiter fliegen. Deshalb bin ich gegen Verbote, und setze darauf, dass der Ausbau des Eisenbahnnetzes vorangeht. Wenn die Fahrt von Berlin nach München per Bahn schneller ist als ein Flug, steigen die Menschen freiwillig auf die Bahn um.
Baigorry: Glaube ich nicht, wenn die Bahn so schweineteuer bleibt.
Apropos Schwein. Herr Senator, in Ihren BEK-Papieren steht, dass vegetarische oder gar vegane Ernährung das Klima erheblich von CO2 entlasten würde. Das spricht für einen Veggie-Day, mindestens.
Geisel: Nicht alle BEK-Vorschläge finde ich sinnvoll. Bei mir zu Hause ist im übrigen seit vier Jahren jeden Tag Veggie-Day, weil meine Töchter sich für fleischlose Ernährung entschieden haben. Das getrennte Kochen – ihr Gemüse, wir Fleisch – war im Alltag der Familie nicht mehr zu handhaben. Also haben wir entschieden, zu Hause essen wir alle vegetarisch. Außerhalb, das gebe ich zu, esse ich auch gern ein gutes Steak. Ich fände es aber gut, wenn es in Kantinen mehr vegetarische Angebote gäbe.
"Nur eine kleine Gruppe denkt progressiv"
Herr Baigorry, haben Sie in Ihrer Szene den Eindruck, dass sich in solchen Fragen des Klimaschutzes etwas bewegt?
Baigorry: Nur bedingt. Nach meinem Eindruck gibt es nur eine relativ kleine Gruppe von Menschen, die progressiv denken und handeln und Themen wie den Umweltschutz oder die sehr wichtige Frage der sozialen Gerechtigkeit –national wie international- nach vorne bringen. Da ist noch ganz viel Luft nach oben. Wir sind halt ein wohlhabendes Land, wo viele Probleme nicht so nah an einen heranrücken, das ändert sich gerade mit den Flüchtlingen, die zu uns kommen. Es ist noch nicht allen klar, dass sich niemand mehr als Nation isolieren kann, sondern die Schicksale von Deutschland, China, Simbabwe oder Syrien immer enger miteinander verbunden sind.
Geisel: Allen denkenden Menschen ist klar, dass wir nicht einfach weiter auf grenzenloses Wachstum setzen können und dabei weiter alle natürlichen Ressourcen aufbrauchen. Dann schafft sich diese Gesellschaft selber ab. Deshalb gibt es im Grundsatz eine breite Zustimmung zur Energiewende – nur bei der Umsetzung in der Praxis treten dann die Konflikte auf.
Herr Baigorry, wo kommen Sie als Musiker in Konflikte mit Ihrem Anspruch, das Klima zu retten? Spielen Sie nur noch ohne Verstärker?
Baigorry: Das nicht, aber wir haben uns beispielsweise beim Bühnenlicht für sparsames LED entschieden, obwohl wir Fans der alten „Glühtöpfe“ sind. Und wir haben diskutiert, Konzerte nur noch an Veranstaltungsorten zu geben, die mit Ökostrom versorgt werden. Das ist leider oft nicht möglich. Deshalb überlegen wir, ob man nicht ein paar tausend Fans auf Dynamoräder setzen kann, damit sie umweltfreundlich Strom für das Konzert erzeugen, bevor es das Ticket gibt. Das ist gut für die Pumpe, das Klima und die Stimmung. Denn wenn sich tausende Leute in Vorfreude auf das Konzerterlebnis gemeinsam abstrampeln, würde das auch den Spaßfaktor erhöhen.