Energie Cottbus: Wie die größte Wärmepumpe Deutschlands entstehen soll
Die Hauptstadt der Energieregion des Ostens will den Status halten und Motor der Zukunftstechnologien werden. Teil 5 der Serie über die DDR-Bezirkshauptstädte.

Cottbus ist auch eine Stadt der großen Illusionen – besser gesagt: eine Stadt des Wandels. Deshalb ist oft Fantasie nötig, um sich das Gestern vorstellen zu können und vor allem das Morgen. Die Versprechungen. Die Zukunft.
Um das Gestern und das Morgen zu erahnen, lohnt es sich, die 173 Stufen auf den zugigen Aussichtsturm Merzdorf zu steigen. Der 34 Meter hohe Turm aus Beton steht wunderbar windschief am Rand des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord.
Die Kohlegrube wurde am Tag vor Heiligabend 2015 geschlossen. Davor hatte sie 34 Jahre lang die gigantische Menge von 220 Millionen Tonnen Braunkohle für die fossil angetriebene Wirtschaft geliefert und Tausenden Cottbuser Bergarbeiterfamilien ein gutes Gehalt eingebracht.

Die Grube befindet sich direkt an der Grenze von Cottbus und ist deutlich größer als die gesamte Innenstadt. Die Grube steht für die Vergangenheit. Und gleichzeitig für die Zukunft. Denn bei diesen 19 Quadratkilometern ist kaum noch zu erkennen, dass es ein Tagebaurestloch ist. Stefan Korb, der Wirtschaftsdezernent der Stadt, steht oben auf der Plattform und zeigt über die weite platte Landschaft, die zu einem beachtlichen Teil geflutet ist – mit Wasser aus der nahen Spree.
„Das wird unser Cottbuser Ostsee“, sagt der 53-Jährige und zeigt auf die fertige lange Kaimauer, an der in naher Zukunft eine Marina für Segelboote errichtet werden soll. Er zeigt ein Stück weiter auf den hellen Sand des weitläufigen Strandes, auf dem irgendwann Kinder toben werden.
Die „Lausitzer Riviera“
Der Ostsee wird ein Gewässer der Superlative: Der größte geflutete ehemalige Tagebau und damit der größte künstliche See in ganz Deutschland. Quasi das Herzstück der „Lausitzer Riviera“, der größten künstlichen Teichlandschaft Europas, bei der etwa 70 ehemalige Tagebaue in Südbrandenburg und Nordsachsen geflutet werden. „Aber Tourismus kann nicht unsere einzige Zukunft sein“, sagt Korb. Der Tourismus könne nicht die vielen gut bezahlten Industriearbeitsplätze ersetzen, die hier bald mit dem Kohleausstieg zu Tausenden in den Tagebauen und Kraftwerken abgeschafft werden.
Korb zeigt zum Horizont. Dort schicken die Kühltürme des Kraftwerkes Jänschwalde ihre Wolken aus Wasserdampf in den Himmel. „Dort wird noch mit Kohle geheizt“, sagt der Mann, der einst selbst Maschinist für Tagebaugroßgeräte gelernt hat – mit Abitur. Ab 1991 studierte er dann Umweltwissenschaft an der frisch gegründeten Uni Cottbus. Das Kraftwerk gilt als eine echte Dreckschleuder und war bereits zum großen Teil heruntergefahren. Doch seit Putins Angriff auf die Ukraine läuft das Werk wieder Volllast.

Doch das soll nicht die Zukunft sein. Korb sagt, dass es volkswirtschaftlicher Irrsinn wäre, die vorhandene teure Infrastruktur rund um die Kraftwerke einfach abzureißen. Die Idee: Sie werden weiterbetrieben, laufen aber nicht mehr mit Kohle, sondern mit grünem Wasserstoff, der in der Region aus erneuerbaren Quellen, aus Windkraft und Solaranlagen gewonnen wird. „Das ist unsere Zukunft“, sagt Korb, „wir wollen beweisen, dass es möglich ist, dass ein Kohlerevier auch nach dem Kohleausstieg eine Energieregion bleibt.“
Und ein Teil davon soll der Ostsee werden. Ein See, der nur an den Rändern tief ist, zum größten Teil aber mit 2,70 Metern sehr flach sein wird. „Das Wasser wird sich also recht schnell erwärmen, und das wollen wir nutzen“, sagt Korb. Der Ostsee soll die größte Wärmepumpe Deutschlands werden.
Wärmepumpen funktionieren wie Kühlschränke – nur umgekehrt. Sie nehmen Wärme aus der Umgebung auf und erhitzen eine Kühlflüssigkeit. Dazu muss das Wasser des Ostsees nicht warm sein, es reichen zwei Grad Temperaturunterschied.
Erfolgreichster Fußballklub des Ostens
„Und mit dieser Energie werden wir langfristig alle Wohnungen versorgen können, die am Fernwärmenetz der Stadt hängen“, sagt Korb. Das Projekt kostet mehr als 50 Millionen Euro, und die Pläne liegen bei der EU, wegen des Fördergeldes.
Wieder zeigt Korb Richtung Horizont und damit in die Zukunft. „Dort soll auf dem See eine schwimmende Photovoltaik-Anlage hinkommen“, sagt er. Sie soll Solarstrom liefern und wird fast 15-mal so groß wie der wunderbar sanierte Altmarkt in der Stadt.
Cottbus will den Schritt gehen von der fossilen Vergangenheit in die regenerative Zukunft. Und als Stefan Korb wieder unten am Fuß des Aussichtsturms angekommen ist, steht er neben einem großen rot-weißen Graffito von Energie Cottbus, der erfolgreichsten Fußballmannschaft Ostdeutschlands Anfang des Jahrtausends.

Cottbus und Energie gehören zusammen. Beim Fußball und in der Wirtschaft. Cottbus ist alles mögliche und bei vielen Dingen eine ziemlich ungewöhnliche Stadt. Da ist zum einen der Branitzer Park des legendären Landschaftsarchitekten Fürst Pückler am Rande der Stadt, der ganz locker mit den Unesco-geschützten Preußenparks in Potsdam konkurrieren kann. Zudem ist Cottbus die einzige DDR-Bezirksstadt, die allein wegen der Braunkohle von einer überschaubaren Tuchmacher-Stadt mit knapp 40.000 Einwohnern nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb von vier Jahrzehnten zu einer Großstadt mit fast 130.000 Einwohnern heranwuchs. Von einer Provinzstadt zur Lausitzmetropole, zum Herz des Kohlereviers.
Die Stadt wucherte in alle Richtungen, überall wurden Plattenbauviertel für die Kohlekumpel gebaut. Doch nach der Euphorie des Mauerfalls kam recht schnell die Ernüchterung, der Schock: Der erste große Zusammenbruch in der Kohlewirtschaft. Reihenweise wurden im Osten die Kraftwerke und Gruben geschlossen, die Massenarbeitslosigkeit grassierte und sorgte für eine tiefe Verunsicherung, die bis heute nachwirkt. Auch deshalb geht in der Lausitz seit Jahren die Angst vor dem nächsten großen Zusammenbruch um: vor dem Kohleausstieg, der im geografisch nahen und doch so fernen Berlin beschlossen wurde. Denn noch sind Industriearbeitsplätze in der Kohle die wirtschaftliche Basis von allem.
AfD ist dominante Partei
Auch wegen der Energiewende ist die Kohle-Partei AfD in der Lausitz recht dominant. Und so entwickelte sich Cottbus politisch zu einer ambivalenten Stadt. Seit dem Erstarken von Pegida versuchte die antiislamistische Bewegung, die Stadt mit großen Demos zu einem zweiten Dresden zu machen, zur Zweithauptstadt der Proteste gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel. Das ist teilweise gelungen, und die AfD ist seit 2019 im Stadtparlament mit 22 Prozent die stärkste Kraft. Dann die Schlagzeilen vom Herbst 2022: Die Angst, dass erstmals ein AfD-Mann eine bundesdeutsche Großstadt regieren könnte. Lars Schieske hatte zuvor in Cottbus sein Direktmandat für den Landtag gewonnen. Doch die Verhältnisse scheinen sich zu ändern: Bei der Stichwahl zum Posten des Oberbürgermeisters siegte Ende November der SPD-Mann Tobias Schick klar mit fast 70 Prozent.

Die Verantwortlichen im Rathaus warten nun auf die Fördermilliarden des Bundes für den Kohleausstieg. Denn nur so sind die skeptischen Lausitzer zu überzeugen. Erstes Hoffnungszeichen ist das neue ICE-Instandsetzungswerk mit 1200 neuen Industriejobs. Ein Milliardenprojekt. Auch wenn die Stadt noch dafür kämpfen muss, dass sie zum ICE-Werk endlich auch den versprochenen ICE-Anschluss bekommt.
Klimaneutral fliegen
Und dann ist da noch der Lausitz Science Park, eine Gründung der Uni Cottbus. Hier wird an neuen Energiespeichern geforscht, an grünen Wasserstofftechnologien, an einer neuen nachhaltigen Kreislaufwirtschaft oder an Kraftstoffen für einen klimaneutralen Flugverkehr.
Auf dem Uni-Campus ist die Zukunft längst angekommen. Jedenfalls an dem Gebäude, in dem Christin Hoffmann arbeitet. Die künftige Wärmepumpe vom Ostsee gibt es hier als Mini-Variante. Draußen vor der Tür steht jener Teil, der die Luft ansaugt und aussieht wie eine Klimaanlage. Drinnen im Gebäude steht ein großer silbrig glänzender Wärmespeichertank, der drei Etagen hoch ist. Die 36-Jährige arbeitet hier als Verhaltensökonomin. „Wir versuchen zu verstehen, wie die Menschen ticken“, sagt sie. „Wir wollen ergründen, wie wir sie motivieren können, sich umweltschonender zu verhalten.“ Das ist wichtig. Denn was nützen all die tollen Erfindungen aus den Laboren ringsum, wenn die Bevölkerung sie nicht annimmt.

Alles in den Gebäuden ist neu und frisch, viele Räume sind noch kahl und die Regale leer. „Wir bauen alles erst auf“, sagt sie und öffnet eine Tür. Dahinter sieht es aus wie in einem Klassenraum. „Das kommt alles raus, hier entstehen Labore für unsere Experimente.“
Da ist sie wieder, diese klassische Cottbus-Situation: Wieder ist Fantasie nötig, um sich die Zukunft vorzustellen. Hier sollen Kabinen aufgestellt werden, in denen Experimente mit Freiwilligen gemacht werden, um die Gründe für ihr Verhalten zu ergründen. Dort drüben soll mit Virtual Reality gearbeitet werden: Die Leute sollen hier virtuelle Räume betreten, in denen ihnen die künftigen Windparks am Rand von Cottbus realitätsecht gezeigt werden oder die schwimmende Solaranlage auf dem Ostsee.
Es soll nicht – wie sonst sehr oft – mit Studenten gearbeitet werden, sondern mit Leuten aus dem Volk. Sie sollen auch nicht einfach nur befragt werden, weil sie sonst eventuell nur jene Antworten geben, von denen sie denken, dass sie erwartet werden. Hier werden wahre Antworten gesucht und Strategien, die dabei helfen, damit die Menschen die Veränderungen der Energiewende nicht nur annehmen, sondern möglichst auch aktiv mitmachen. Das ist die Zukunft.
Teil einer Bewegung
Christin Hoffmann ist in dieser Stadt geboren, hat aber in Berlin und Bern Volkswirtschaft studiert und in Umweltökonomie promoviert. „Als wir zum Studium gegangen sind, war Cottbus doof“, sagt sie. „Und lange Zeit ist der Ruf auch nicht besser geworden.“ Es gab damals auch keine guten Jobs. „Das Weggehen war damals usus.“ Nun gehören Christin Hoffmann und ihr Mann zu den Heimkehrern. Sie kamen ganz bewusst von Bern nach Cottbus zurück. Nicht nur, weil hier ihre Familien sind und weil sie sich hier ein Haus kaufen konnten, das sie sich in Bern oder Berlin nie hätten leisten können.
Sie sind Teil einer Bewegung. „Die Stimmung in der Stadt ändert sich“, sagt sie und hofft, dass der schlechte Ruf immer mehr verblasst. „Hier ist es einfach toll“, sagt sie. „Wir haben die Rückkehr nie bereut.“
