Sicherheit bei der Deutschen Bahn: Man muss schon gut gewappnet sein

Nach dem tödlichen Messerangriff in Brokstedt, reagieren die Medien mit Tipps für die Sicherheit in Zügen. Unser Kolumnist reagiert nicht ganz so überzeugt.

Die Deutsche Bahn: Nicht immer sicher.
Die Deutsche Bahn: Nicht immer sicher.Michael Matthey/dpa

Auch mir widerfuhr schon eine Messerattacke. Ich war zwölf und meine kleine Schwester sehr impulsiv. Es geschah in unserem Zimmer und nicht auf Bahngelände. Ein wichtiges Detail, angesichts der heutigen Lage: Die Zahl der Messerangriffe in Zügen und auf Bahnhöfen hat sich 2022 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Auf 336. Ich bin sozusagen mit dem D-Zug durch die Kinderstube gerauscht.

Neulich war da das erstochene Liebespaar zwischen Hamburg und Kiel. Politiker halten sich diesbezüglich an Ritualen fest, an Forderungen nach mehr Polizei an Gleis 12, oder, von einem SPD-Innenexperten: „Wir müssen das Tragen von Messern ächten.“ Ich bin wenig zuversichtlich, dass solch Bannstrahl ausgerechnet von denen respektiert wird, die bislang Messer zum etwaigen Gebrauch gegen Menschen mitführen. Das erinnert an die appellative Wucht des Merkelsatzes „Straftaten sind bei uns verboten“.

Die Verweildauer auf dem Hoheitsgebiet der DB AG wächst

Ich kann die Tendenz erklären; und meine Deutung lädt negativen Kräften nicht die Flinte. Folgendes: Die Bahn stellt ständig neue Verspätungsrekorde auf. Passagiere schimmeln länger in Zügen, während andere auf Bahnsteigen ausgiebiger auf selbige warten. Das heißt, die Verweildauer auf dem Hoheitsgebiet der DB AG wächst.

Somit wird es wahrscheinlicher, dass dort etwas passiert. Während des Bonus-Aufenthalts kann man allerdings auch im Lotto gewinnen. Gute Nachrichten bringt die Sensationspresse nie. Wer würdigt, dass die Bordbistros neuerdings den Gebrauchszusammenhang zwischen Messern und Fleisch zu lockern versuchen, indem sie vegane Currywurst für 5,90 Euro kredenzen? Dabei verlässt doch schon jetzt eine überwältigende Mehrheit an Fahrgästen öffentliche Verkehrsmittel ohne zusätzliche Löcher.

Zu den medialen Bewältigungsritualen gehört Überlebenshilfe. T-Online zitiert einen Selbstverteidiger. Der empfiehlt, sich bei Fahrtantritt einen Überblick zu verschaffen: „Wo sind die Ausgänge? Ist jemand in meinem Abteil nervös oder benimmt sich auffällig?“ Ich weiß nicht. Mir wäre verdächtig, wer flackernden Blicks Passagiere taxiert. Im Ernstfall, so der Profi weiter, möge man dem Stecher Rucksack oder Tasche „ins Gesicht schmeißen“ oder „wie ein Ritter als eine Art Schild“ benutzen.

Das habe ich probiert. Es gab da ja den Disput mit meiner zehnjährigen Schwester. Es ging, glaube ich, um Aspekte radikaler Subjektivität bei Nietzsche, Schopenhauer und Kierkegaard. Sie rannte in die Küche und kehrte unter Wutgeheul mit einem Tomatenmesser aus Plastik zurück. Runde Klinge. Aber mit Säge. Ich hielt, wie der Ritter den Schild, ein Kissen mit der aufgedruckten Landkarte der Insel Rügen vor mich. Die Täterin ließ von mir ab und rief Mutti auf Arbeit an. Inzwischen ist alles wieder gut.

Ich rate von offensivem Auftreten ab

Trotz des Triumphs rate ich von offensivem Auftreten ab. Nach einem Bahnereignis 2016 bei Würzburg äußerte ein Kriminalpsychologe einen anderslautenden Tipp für alle, die beunruhigt sind, wenn ein Mitreisender eine Axt mit sich führt. Zur Selbstberuhigung könne es dann hilfreich sein, „wenn man hingeht und höflich fragt, was es damit auf sich hat“. Nun ja. Ich als Nahkampfveteran würde so allenfalls einen Fahrgast ansprechen, der zur Axt auch ein Holzfällerhemd, einen Rauschebart und eine Mütze mit dem Aufdruck „Forstamt“ trägt. Also jemanden, der mich eher nicht nervös macht. Aber das wäre doch albern, oder?

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