Sippenhaft am 2. Februar 1943: Warum Familie Leiss in Sachsenhausen ermordet wurde

80 Jahre nach ihrem Tod im KZ wird mit einer Stele an sieben Menschen erinnert. Unter den Ermordeten waren zwei Hochschwangere und ein kleines Mädchen.

Häftlinge im KZ Sachsenhausen ziehen einen Wagen. Das Foto entstand um 1940.
Häftlinge im KZ Sachsenhausen ziehen einen Wagen. Das Foto entstand um 1940.akg-images/picture-alliance

Am 2. Februar 1943 verhafteten die Nationalsozialisten sieben Mitglieder der polnischstämmigen Bergmannsfamilie Leiss aus Moers (NRW), unter ihnen zwei hochschwangere Frauen und die erst dreijährige Marianne Leiss. Sie wurden in „Sippenhaft“ genommen, weil ein Sohn der polnisch-christlichen Familie, der Panzergrenadier Wenzel Leiss, angeblich an der Ostfront desertiert war.

Die Verhafteten – die Mutter Josefa, die Brüder Josef und Felix, die Schwester Theodora mit ihrer Tochter und die Schwester Hanna mit ihrem Mann Wilhelm Christen – wurden in das KZ Sachsenhausen verschleppt und dort am 4. Februar 1943 ermordet. Zur Abschreckung berichtete die NS-Presse reichsweit über die verbrecherische Tat unter der Überschrift: „Polnische Verräterfamilie unschädlich gemacht“.

Gedenkstele für Familie Leiss im KZ Sachsenhausen mit den Namen Josefa,62, Felix, 28, Josef, 26, Johanna Christon,22, Wilhelm Christon,20, Theodora, 20, Marianne, 3.
Gedenkstele für Familie Leiss im KZ Sachsenhausen mit den Namen Josefa,62, Felix, 28, Josef, 26, Johanna Christon,22, Wilhelm Christon,20, Theodora, 20, Marianne, 3.Gedenkstätte Sachsenhausen

Panik nach Stalingrad

Die Verhaftung fand statt an jenem Tag, an dem heute vor 80 Jahren die 6. Armee in Stalingrad kapitulierte. Rund 250.000 Deutsche und über 30.000 rumänische und russische Hilfssoldaten waren von der Roten Armee eingekesselt worden. Bei eisiger Kälte von bis zu minus 40 Grad und von jeder Versorgung abgeschnitten.

Etwa 150.000 deutsche Soldaten fielen im Kessel den Kämpfen, der Kälte oder dem Hunger zum Opfer. Rund 91.000 Mann gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der vielleicht 6000 Überlebende bis 1956 nach Deutschland zurückkehrten. Auf sowjetischer Seite waren vermutlich mehr als 400.000 Soldaten ums Leben gekommen.

Es war der Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges, die sogenannte Blitzkriegstrategie war am Ende, von nun an ging es für die Wehrmacht im Osten rückwärts. In der Vorahnung der großen Niederlage reagierten die Nationalsozialisten auch an der „Heimatfront“ mit zunehmender Panik und Repression. Ein Indiz: Die Zahl der vom Volksgerichtshof verhängten Todesurteile schoss nach oben: Waren 1936 noch elf Todesurteile ergangen, waren es im Jahr 1943 schon 1662 – etwa die Hälfte der überhaupt vor dem Volksgerichtshof angeklagten Personen.

Am 18. Februar fragte Reichspropagandaminister Goebbels in seiner berühmten Sportpalastrede: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ An jenem Tag wurden auch die Geschwister Scholl in München verhaftet. Die Familie Leiss fiel der zunehmenden Gewalt in Deutschland zum Opfer.

Das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde stetig erweitert. Im Jahr 1942 wurde das provisorische Krematorium durch einen Neubau mit Krematorium und Genickschussanlage ersetzt, in dem 1943 auch eine Gaskammer eingerichtet wurde. In dem elf Quadratmeter großen Raum konnten zu einem Zeitpunkt maximal 60 Personen ermordet werden. In der Gaskammer wurden neue Vergasungstechniken erprobt. Insgesamt entstanden etwa 100 KZ-Außenlager rund um Berlin.

Am Sonnabend, 4. Februar 2023, wird um 13 Uhr in der Gedenkstätte Sachsenhausen ein Gedenkzeichen eingeweiht, das an die vor 80 Jahren im KZ Sachsenhausen ermordete Familie Leiss erinnert. Die von dem Kunstschmied Dietrich Weber geschaffene Metallstele wurde von dem Moerser Verein „Erinnern für die Zukunft e.V.“ gestiftet. An der Gedenkveranstaltung werden der Vereinsvorsitzende Ulrich Hecker, der Moerser Bürgermeister Christoph Fleischhauer sowie zwei Schulklassen aus Moers teilnehmen.