So kam der Spargel nach Berlin
Eine Suppe mit Gemüse und Kräutern gehört zum Essen, dazu gutes Weißbrot, Hauptgang, Dessert, Wein. Sonst ist das Leben kein Leben, selbst dann nicht, wenn man als Flüchtling seines Glaubens wegen die Heimat um des Überlebens willen verlassen musste. Die 20 000 Réfugiés aus Frankreich, die man später Hugenotten nannte, trafen in Berlin und Brandenburg zwar auf höchstkurfürstliches Willkommen, aber auf eine Küche, die sie grauste.
Eine grauenhafte Küche
Wie sehr sie litten, geht aus den Aufzeichnungen zweier Berliner hugenottischer Pastoren hervor, die zwischen 1782 und 1799 aufschrieben, was sie selber erlebt und aus Erzählungen Älterer über die Speisen der Einheimischen erfahren hatten. Jean Pierre Erman und Pierre Christian Frédéric Reclam berichten von Rauch- und Pökelfleisch, Trockenfisch, Dörrgemüse, Sauerkohl, Rüben und irgendwelchen Wurzeln. Kein frisches Gemüse, keine Kräuter. Irritiert stellen die Neuen fest, dass sie unter Menschen geraten waren, die niemals Erbsen oder Bohnen zubereiteten und zu sich nahmen. Ein Elend.
Saatgut und Setzlinge
Doch statt sich in diese jämmerliche preußische Nahrungsleitkultur zu integrieren, setzten sie alles in Bewegung, das zu ändern. Immerhin hatte man die Brücken nach Frankreich nicht völlig abgebrochen. Die Hugenotten ließen alsbald Saatgut kommen: Pflanzen, Setzlinge, junge Bäume und Weinstöcke. Sie bauten Treibhäuser, legten Früh- und Mistbeete an. In dem nur in Französisch vorliegenden, um 1800 erschienenen Buch von Erman und Reclam „Der Beitrag der Hugenotten zu Landwirtschaft und Gärtnerei Brandenburgs seit 1685“ (L’apport des réfugiés hugenots à l’agriculture et aux jardin du Brandenbourg au lendemain de 1685) ist sogar von Experimenten mit Melonen, Zitronen- und Orangenbäumen die Rede.
Maulbeeren wollten nicht heimisch werden
Angetrieben von den Wünschen des Hofes pflanzte man allenthalben Maulbeerbäume, deren Blätter Seidenraupen mästen sollten. Viele Versuche schlugen fehl, die Seidenqualität und -menge reichte nicht aus für einen wirtschaftlichen Erfolg – obwohl andere Faktoren günstig waren. So erwähnen die Autoren die vielen Waisenhäuser voller Kinder, die ihre Eltern in den Kriegen Friedrichs des Großen verloren hatten. Die zahlreich verfügbaren kleinen Hände sollten viele zarte Fäden von Seidenkokons abhaspeln.
Spargel aus Moabit und Tabak aus Oranienburg
Doch gelangen andere Anpflanzungsversuche so gut, dass sie die deutschen Lebensgewohnheiten dauerhaft revolutionierten. Tabak zum Beispiel. Und der Spargel. Dessen brandenburgische Geschichte in Beelitz beginnt erst viel später. Zuerst hatte Kurfürstin Louise Henriette von Oranien, erste Gattin des Großen Kurfürsten, ein paar Pflanzen in ihrem Oranienburger Garten; in größeren Mengen kam das fremdländische Stangengemüse dann aus Moabit, seinerzeit eine sandige Fläche, Große Stadtheide genannt und als karge Weide genutzt. Die frommen Hugenotten, die von 1717 an hier siedelten, nannten die Gegend „Moabiter Land“. Mit dem Namen erinnerten sie an das alttestamentarische Vertreibungsschicksal des Volkes der Moabiter, die östlich des Toten Meeres eine neue Heimat gefunden hatten. Die Bibel spricht von „unfruchtbarem Lande, wo niemand wohnt“. Die Hugenottenkolonie lag südlich der Allee nach Spandau zwischen der heutigen Stromstraße und der Werftstraße. Maulbeerbäume gediehen auch hier nicht, die Siedler stellten auf Obst und Gemüse um.
Neues für die Berliner: Spargel, Chicorée und Artischocken
„Moabiter Spargel“ wurde zur ersten Marke, er spross herrlich im märkischen Sand. Auch Blumenkohl, Artischocken, Chicorée, Schwarzwurzeln, Suppengemüse und -kräuter, grüne Erbsen machten sich vorteilhaft. Die französischen Familien sicherten innerhalb weniger Jahre den Eigenbedarf wie ihr kulinarisches Glück und bereicherten die kargen Berliner Märkte. Die Deutschen staunten. Die Gärten wurden zum Ziel sonntäglicher Spaziergänge – und die Leute durften von den fremden Speisen kosten. Die Hugenotten machten Restaurants und Feinbäckereien auf. Schon 1698 hatte auf dem Moabiter Werder die „Menardie“ eröffnet, ein Speise- und Gartenlokal, das Monsieur Menard führte. Kurfürst Friedrich III. hatte dem Mann einen Weinberg auf dem Areal des heutigen Humboldthafens überlassen. Das Restaurant kam bei der Berliner Gesellschaft in Mode – das Volk hingegen rümpfte die Nase über die „Bohnenfresser“, diese Fremden, die was Besseres darstellen wollten und deshalb sonderbare Dinge aßen.
„… in Summa zu danken“
Mit Zeit und Kostproben gewann auch das Volk Gefallen an frischen Speisen und Geschmäckern. Man entdeckte die Vorzüge neuer Mohrrübensorten, das französische Wort Karotte setzte sich durch. Die gelbschalige Butterbirnensorte „beurré blanc“ wurde im Volksmund zu Bereblanc, die grauschalige „beurré gris“ zu Beregri. Auch die Kartoffel, von Friedrich dem Großen dem mäkelnden Volk als Wunderspeise gegen den Hunger verordnet, konnte mit Hilfe hugenottischer Landwirte durchgesetzt werden. Die kannten die Knolle aus der alten Heimat.
Johann Christoph Bekman, Chronist der Mark Brandenburg, resümierte 1751 über den Einfluss der Hugenotten auf den Gartenbau: „In Summa unsere Küchen- und Kräutermärkte, welchen es weder im Winter noch im Sommer an schönem Vorrat fehlet, sprechen noch immer von der Arbeitsamkeit und Geschicklichkeit dieser Einwohner, auch dann, wann Teutsche selbige besetzen, als welche die bessere Baum- und Kräuterzucht denselben großen Theils zu danken haben …“
Und dann die Blumenpracht in den Hugenottengärten, die vollends verblüffte. Durch Kreuzen, Pfropfen und Veredeln züchteten die Franzosen herrlichste Pflanzen. In diesem Sommer sind wieder zwei dieser Gärten im Umland zu bewundern: in Potsdam und in Langerwisch.