SPD-Aufsteiger: Saleh als Wowereit-Nachfolger im Gespräch
Berlin - Die beiden Männer, der eine schon ergraut, der andere mit noch fast schwarzem Haar, schauen sich einen Moment lang in die Augen. Der ältere nimmt beide Hände des jüngeren, drückt sie und sagt leise, aber bestimmt: „Ma-salam!“
„Geh mit Frieden!“ heißt das auf Deutsch, es ist ein arabischer Abschiedsgruß. Ahmed Aboutaleb, 51 Jahre alt, Bürgermeister von Rotterdam, sagte dies vor ein paar Wochen zu Raed Saleh, 35, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Saleh war zu Besuch in Rotterdam, eine Dienstreise, es ging um Integrationspolitik, man wollte voneinander lernen.
Der holländische Bürgermeister, ein charismatischer Mann mit durchaus robuster Migrationspolitik, 2008 von Königin Beatrix ernannt, empfing den jungen Gast in seinem prunkvollen Rathaus. Es war am frühen Abend, Aboutaleb führte Saleh durch den holzvertäfelten Sitzungsraum mit Monarchen-Porträts in Öl an den Wänden, zeigte den prächtigen Festsaal mit seinen übermannshohen Messing-Standleuchten und den blumengeschmückten Raum mit dem Marmorkamin, in dem oft Trauungen stattfinden. Schließlich zog man sich ins Arbeitszimmer zurück, zum persönlichen Gespräch. Saleh war beeindruckt.
Stabilität ist sein oberstes Prinzip
Es ist interessant, wie sich die Leben der beiden Männer gleichen, auch wenn sie aus verschiedenen Ecken der Welt stammen. Es sind Aufstiegsbiografien, wie sie so nur Einwanderer erleben. Ahmed Aboutaleb wurde 1961 in einem marokkanischen Bergdorf geboren. Raed Saleh kam 1977 in einem Dorf bei Nablus im Westjordanland zur Welt. Aboutaleb ging mit 16 Jahren in die Niederlande, studierte Telekommunikationstechnik, war Journalist und stieg dann in die Politik ein.
Saleh kam mit fünf Jahren nach Berlin-Spandau, machte Abitur, arbeitete als Filialleiter bei Burger King und gründete eine Medienfirma, deren Geschäftsführung er für die Politik aber abgab. Aboutaleb, ebenfalls Sozialdemokrat, war Kommunalpolitiker, später Staatssekretär – und ist seit 2008 der erste muslimische Bürgermeister einer westeuropäischen Metropole. Saleh, Genosse seit 1995, machte Kommunalpolitik in der Spandauer SPD, wurde Kreischef, 2006 kam er per Direktmandat ins Abgeordnetenhaus. Fünf Jahre später ist er, ebenfalls Muslim, Chef der SPD-Regierungsfraktion. Es ist ein steiler Aufstieg in kurzer Zeit.
Saleh hat einen höchst einflussreichen Posten in der Hauptstadt, wenn auch keinen sonderlich prominenten. Politisches Geschick ist gefragt, das Organisieren von Mehrheiten, das Einbinden von Gegnern, verlässliche Absprachen mit dem Koalitionspartner, es geht um Überblick und um Führungsstärke. „Stabilität, Stabilität, Stabilität“, sagt Saleh, wenn er nach dem wichtigsten Ziel seiner Arbeit gefragt wird. „Er hat die Fraktion im Griff“, sagt einer der wichtigsten Sozialdemokraten.
Auf Kuschelkurs mit dem Koalitionspartner
Es gibt hie und da Kritik an ihm, gerade an manch unabgesprochenem Vorpreschen, es gibt auch Gegner. Aber die Zustimmung überwiegt bei weitem. Harte Flügelkämpfe finden nicht statt, die Fraktion tritt selbstbewusst gegenüber dem Senat auf und setzt eigene, linke Akzente, etwa in der Haushaltspolitik, bei der Daseinsvorsorge. So sehr, dass die gemeinsamen Pressekonferenzen von Saleh und seinem CDU-Amtskollegen Florian Graf manchmal wie Regierungserklärungen anmuten. Saleh, im gewöhnungsbedürftigen Verlautbarungsstil, reiht dann gern Hauptsatz an Hauptsatz voll unbeirrbarem Eigenlob. Graf, drei Jahre älter, addiert mit seriös-sonorer Stimme einige Anmerkungen.
Nicht selten hat er aber Mühe zu erklären, was eigentlich der christdemokratische Anteil der jeweiligen koalitionären Beschlusslage ist. Die Initiativen kamen im ersten Regierungsjahr fast ausschließlich von der SPD. Wie wenig Gegenwehr vom offenbar wegen chronischer Regierungsdemut lahmgelegten Koalitionspartner kommt, wird in der SPD mit Verblüffung gesehen. Im Stolz darauf treibt man es inzwischen soweit, dass in einem gemeinsamen Papier von Saleh, Senatschef Klaus Wowereit und dem SPD-Parteivorsitzenden Jan Stöß – Titel: „Berlin – Stadt des Aufstiegs“ – vor erstarrtem „schwarzen oder grünen Konservatismus“ gewarnt wird. Mit der CDU lasse sich hervorragend linke Politik machen, sagte Saleh bereits vor einem Jahr im Parlament. Das stimmt immer noch.
Doch auch Salehs Rolle nach innen hat sich sehr geändert. Als die Fraktion 2012 zu ihrer ersten Januar-Klausur unter Salehs Verantwortung nach Rostock aufbrach, war noch Wowereits Vertrauter, Bausenator Michael Müller, der Parteivorsitzende. In Rostock tauchten die ersten Gerüchte auf, dass Müller vom Saleh-Verbündeten Stöß abgelöst werden soll. So kam es auch, trotz Wowereits Einsatz für Müller.
Die Partei stritt sehr, aber sie zerfiel nicht. Anfang Januar 2013 übernahmen dann Saleh und Stöß das Krisenmanagement nach der erneuten Verschiebung des BER-Starts. Es gab ein paar bange Stunden an jenem ersten Montag nach den Weihnachtsferien. Dann war klar: Sie stützen Wowereit – und er stützt sie. Es ist eine spannungsvolle Abhängigkeit auf Augenhöhe entstanden im SPD-Führungstrio, undenkbar noch zu Zeiten von König Klaus.
Anwärter auf die Wowereit-Nachfolge
An diesem Wochenende steht die zweite Klausur unter Salehs Führung an. In Kolberg geht es um Infrastruktur, Personal, auch das Aufstiegspapier ist Thema. Dem Fraktionschef, vor einem Jahr noch auf Probezeit, wird nun viel mehr zugetraut. Es war an jenem Krisenmontag, als er erstmals sehr konkret vor der Frage gestanden haben dürfte, ob er sich auch das Amt des Regierenden Bürgermeisters zutraut.
Saleh zählt zu den möglichen Kandidaten. Selbstverständlich ist das nicht für einen 35-Jährigen. Doch auch seine Grenzen sind zu spüren: Er erwischte kurz darauf in der Parlamentssitzung einen schlechten Tag. Sein Auftritt war wenig souverän, stärker als sonst fiel sein Akzent auf und seine immer wieder mal falsche Grammatik. An Sprache und Rhetorik könne man aber arbeiten, sagten Salehs Vertraute.
Normalerweise hätte er auch die Zeit dafür. Ahmed Aboutaleb war 47 Jahre alt, als er Bürgermeister wurde. Klaus Wowereit auch. Doch niemand glaubt, dass er zur Berlin-Wahl 2016 noch einmal antritt.