SPD in der Krise: Die Berlin-Fraktion fordert mehr Optimismus
Klare Worte sind das: „Es gibt nichts schönzureden. Die Lage ist dramatisch. Die Umfragen der Partei und die Beliebtheitswerte unseres Spitzenpersonals sind auf allen Ebenen im Keller – ob nun im Bund oder hier Berlin.“ Was klingt wie ein das letzte Editorial kurz vor Einstellung des SPD-Mitgliedermagazins „Vorwärts“, ist in Wirklichkeit der Beginn eines neuen, fünfseitigen Textes zweier Berliner Sozialdemokratinnen aus der zweiten Reihe der Partei. Er soll an diesem Freitag veröffentlicht werden – und beschäftigt sich nicht wie andere Papiere mit einem weiteren Katalog wünschenswerter Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit, sondern mit einem anderen Aspekt der Partei-Misere: dem Problem mangelhafter Führung.
Dabei vermeiden die Autorinnen – Vizefraktionschefin Clara West aus dem Abgeordnetenhaus und die stellvertretende Lichtenberger Bürgermeisterin Birgit Monteiro, beide pragmatisch und links – ausdrücklich, die aktuellen Führungskräfte, nämlich Senats- und Parteichef Michael Müller sowie Fraktionschef Raed Saleh, persönlich anzugreifen. Es geht ihnen vielmehr um Stil und Strukturen von Führung. „Der Märchenprinz kommt nur im Märchen – und Willy Brandt ist tot“, schreiben sie und plädieren nicht für den nächsten Hoffnungsträger, der dann wie einst Martin Schulz schnell im Graben landet, sondern für „kooperative Führungsstrukturen“ in Partei und Regierung, also „in erster Linie Führungsteams, die sich ergänzen und die an einem Strang ziehen.“ Die Überschrift lautet: „Führung gesucht“.
Immer gleiche Vorschlagslisten
Die Analyse der beiden Sozialdemokratinnen setzt dabei früher an als vergleichbare Veröffentlichungen der vergangenen Monate, die zwar allesamt der Verzweiflung über die Lage der SPD entspringen, aber meist nur ein wenig besserwisserisch Variationen der immer gleichen Vorschlagslisten präsentieren. Ein „Wohnungsbauprogramm“, mehr Sauberkeit in der Stadt, einen höheren Mindestlohn und eine „Bildungsoffensive“ etwa forderte jüngst ein Papier vom Ex-Senatskanzleichef Björn Böhning, inzwischen Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, und einigen Mitstreitern – ganz so, als hätte die SPD bei diesen Themen nicht schon seit Jahren die Verantwortung in Berlin, wenn auch eben ohne zufriedenstellende Ergebnisse.
Eine Antwort darauf, eher eine Ergänzung, tauchte jetzt auf in Form eines kurzen Beitrags unter anderem von Julian Zado, dem neuen Vize-Landesvorsitzenden der Hauptstadt-SPD, vom dezidiert linken Flügel. Zado fordert Klassiker wie „die Rückkehr zu einer Politik der sozialen Gerechtigkeit“, dazu Vielfalt und Weltoffenheit für Berlin und eine „funktionierende Stadt“, die das Pflichtprogramm für die aktuellen Amts- und Mandatsträger sei. Außerdem brauche man Visionen und wieder mehr Kontakt zu den sozialen Bewegungen – ein Kurs, den die Linkspartei schon seit Jahren erfolgreich praktiziert, wie man an den Umfrageergebnissen im Vergleich zu denen der SPD sehen kann.
Auffällig ist, dass diese von mitteljungen Männern mit kleiner bis mittlerer Parteikarriere verfassten Papiere spürbar den Stolz auf die vermeintlich immer noch große SPD atmen. Man sei die „führende gestalterische Kraft in Berlin“, behauptet etwa Zado. Bei Böhning heißt es, man habe den Anspruch, „führende politische Kraft in der Stadt zu sein: „Diese Sicht speist sich auch aus einer stolzen Tradition.“
Eine Welt ohne SPD ist möglich
Derlei Selbstdenkmalisierung haben die beiden Frauen deutlich weniger nötig. Sie geben sich keinerlei Illusionen hin: „Es ist eine bittere Erkenntnis, aber eine Welt ohne SPD ist leider möglich.“ Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung, schreiben sie, dürfte sich mit einem Verschwinden der SPD in der Bedeutungslosigkeit schlicht abfinden.
Die Partei, gerade die Berliner, müsse überhaupt erst wieder diskussionsfähig werden, eine gute Streitkultur entwickeln. „Im Moment sitzen alle fest verschanzt in den Wagenburgen älterer und neuerer Lager“, lautet die Analyse der herrschenden Lähmung, teils verursacht durch die lauernde Konkurrenz der Personality-Lager um Müller und Saleh, teils durch die Denkblockaden versprengter Flügelvertreter links und rechts, die lieber nach Fehlern anderer als nach Lösungen für alle suchen. Für West und Monteiro liegt der Weg aus dem Elend in einer Führung, die wieder Debatten ermöglicht und in der Lage ist, „eine optimistische Vision für unsere Stadt und unser Land“ zu entwickeln. „Wenn wir das nicht schaffen, sind wir wirklich überflüssig.“ Offen bleibt, ob den aktuellen Spitzenkräften dieser Kraftakt zugetraut wird. Ihr Text endet mit einer Frage: „Wer fühlt sich angesprochen?“