Wenn Alison Lewis nur eine Sache anders hätte machen können, nachdem sie vor einer Woche aus dem Berghain morgens herauskam, sagt sie: Sie wünschte, sie hätte einen Bluttest gemacht. „Das hätte mir einen Beweis geschaffen“, sagt die 32 Jahre alte Australierin im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Die meisten Menschen, die meine Geschichte hören oder lesen, glauben mir ja, aber ich wünschte auch, ich könnte es noch besser beweisen.“ So bleiben ihr nur Vermutungen, auch was die Droge angeht, die sie angeblich vergiftet hat: „Es könnte Fentanol gewesen sein“, sagt sie, „oder Hypnol, GHB oder Scolopolamin.“
Lewis wurde in der Nacht von Sonntag zu Montag vor einer Woche im Club Berghain mit einer Droge betäubt. Sie ist sich ganz sicher, dass sich sonst nicht erklären ließe, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte: Plötzlich spürte sie Taubheit, bekam einen trockenen Mund und Halsschmerzen und wusste nicht mehr, wer und wo sie war.
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Das alles hat ihr große Angst gemacht, und seit sie am Dienstag eine Einstichstelle in ihrem linken Oberarm fand, glaubt sie an einen Zusammenhang mit anderen Fällen. Immer wieder verlieren Menschen in Clubs das Bewusstsein und stellen anschließend eine Stichwunde wie nach einer Spritze fest. Gleichzeitig sind die Vorfälle sehr selten. Sie ereignen sich an Orten wie London, Ibiza und eben Berlin.

Was den Inhalt der Spritze angeht, hat Kilian Laurinck eine andere Idee. Er arbeitet selbst in Clubs zum Teil als Berater in Sachen Drogenpolitik. „Ich vermute, dass sie mit Ketamin betäubt wurde“, sagt der Berliner. „Ketamin wirkt gespritzt viel stärker und lässt sich auch in den Muskel injizieren.“ GHB könne es nicht sein, denn das würde die Haut verätzen. Und auch die anderen Stoffe schließt er aus, weil diese keine Halluzinationen erzeugten, wie Alison Lewis sie erlebt habe.
Spiking in Berlin: Teams sprechen gefährdete Personen in den Clubs an
Kilian Laurinck ist Kopf der BCAA (Berlin Club Awareness Association) und betreut das Revier Südost, die Renate und weitere Institutionen des Berliner Nachtlebens bezüglich Awareness-Arbeit und Notfallmanagement. Solche Teams sind inzwischen immer wieder in Clubs anzutreffen, sie sprechen Menschen an, denen es nicht gut geht oder die ihre Getränke unbeaufsichtigt stehen lassen. Er kennt sich auch gut aus mit dem Notfallmanagement von Clubs in Berlin.
„In diesem Bereich hat sich in den vergangenen Jahren viel bewegt“, sagt er. „Clubs sind meist dazu übergegangen, die Menschen, die in eine Notfallsituation geraten, nicht mehr zusätzlich zu stigmatisieren, sondern ihnen vor allem zu helfen.“ Ein Rausschmiss, wie in diesem Fall offenbar geschehen, sei inzwischen eigentlich die Ausnahme. Er kennt ein Foto, das derzeit in der Szene kursiert: Es zeigt eine Spritze, die in einem Club in Kreuzberg gefunden wurde. Aber der Zusammenhang ist bis heute nicht geklärt.
„In England scheint Spiking derzeit ein größeres Thema zu sein“
Von diesen Vorfällen mit Spritzen hat er schon gehört, sieht sie aber auch als absolute Ausnahme an. „Mir macht so etwas schon Sorgen“, sagt er. „Allerdings sprechen wir von einem Fall.“ Er möchte sich nicht einreihen in die Gruppe von Leuten, die Alisons Geschichte anzweifeln, will sie aber auch nicht unnötig aufbauschen, um Ängste zu erzeugen. „In England scheint es derzeit ein größeres Thema zu sein, aber grundsätzlich kann es so etwas schon geben.“
Die Berliner Clubcommission äußert sich ähnlich zurückhaltend. Solange es keine medizinischen Untersuchungen gebe zu dem Fall, könne im Grunde niemand fundiert zu dem Vorfall Stellung nehmen, sagt Lutz Leichsenring von der Clubcommission. Alison Lewis hatte sich in einem Post bei dem Verein bedankt, weil er ihr sofort eine Reihe von Adressen mitteilte, an die sie sich wenden konnte. „Doch das ist auch derzeit das Einzige, was wir tun können.“ Natürlich haben alle Clubs ein Interesse daran, dass Ausgehen die Gesundheit nicht gefährdet und solche Dinge aufgeklärt werden.
Polizei Berlin: „Tatmittel Spritze“ bisher unbekannt
Doch eine Aufklärung derzeit gestaltet sich schwierig. Die Berliner Polizei hat dazu bisher keine Zahlen, wie ein Sprecher auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilt. „Das Tatmittel Spritze“, sagt er im schönen Behördendeutsch, „ist uns im Zusammenhang mit einer Tat in einem Tanzveranstaltungsort bisher nicht bekannt.“ Das zu recherchieren, sei zudem beinahe unmöglich. Zudem betont der Polizist, dass die Betroffene den Fall bisher selbst nicht zur Anzeige gebracht habe. „Es gab keinen Rettungseinsatz“, sagt er, „deshalb ist für uns auch offen, wer sie reanimiert hat.“
Bisher ist nicht davon auszugehen, dass Alison Lewis das Ereignis noch einmal zur Anzeige bringt. Für sie ist der Vorfall vorerst abgeschlossen. Die Musikerin beginnt in dieser Woche ihre Tour in Osteuropa und wird kaum in Berlin sein, wo sie seit neun Jahren lebt. Sie möchte auch weiterhin hier in der Stadt ausgehen.
Das Berghain hat sich auf Anfrage der Berliner Zeitung nicht geäußert. Auch nicht dazu, was keiner der Angesprochenen bisher beantworten kann: Warum tut ein Mensch so etwas? Es könnte das Gefühl von Macht sein, das der Täter auskosten möchte, sagen die einen. Oder, dass das Ziel genau das ist, was gerade passiert: Es schürt Unsicherheit unter Menschen, die eigentlich hemmungslos feiern wollen.