Stadtentwickler: „In Berlin werden Zehntausende Wohnungen auf den Markt kommen“
Andreas Krüger will mit seiner Genossenschaft den Ausverkauf der Stadt bremsen. Aber nutzt es Berlin, wenn er ein Haus in der Oranienstraße kauft? Ein Gespräch.

Andreas Krüger empfängt im ehemaligen Umspannwerk am Rudolfplatz in Friedrichshain. Backsteinwände, Schreibtische, in der Ecke eine Bar. An der Wand ein Schild, auf dem auf Englisch steht: „Was ist der Gesellschaftsvertrag deiner Stadt?“
Seit vielen Jahren beschäftigt sich Krüger mit nachhaltiger Stadtplanung. Er hat prestigeträchtige Projekte wie die Neugestaltung des Moritzplatzes oder der Markthalle Neun begleitet. Seit längerem schon wirkt er an einer Verordnungsnovelle mit, wonach bei der Vergabe von Grundstücken für Gewerbehäuser mindestens 10 Prozent bezahlbare Flächen entstehen müssen. Damit auch kleinere, nicht so leistungsstarke Geschäfte, Kitas und Altentreffs günstigen Mietraum finden.
Kürzlich wurde bekannt, dass eine Genossenschaft von Krüger das in die Schlagzeilen geratene Haus in der Oranienstraße 169 kaufen will. Der Spiegel hatte berichtet, dass „linke Journalisten“ für die Sanierung des Hauses einst Fördermittel in Millionenhöhe erhalten, die damit verknüpften Bedingungen aber nicht eingehalten hätten und das Haus nun meistbietend verkaufen wollten. Warum es nun anders kommt, und wie das Haus in der Oranienstraße zu einem Modell für Berlin werden könnte, erklärt Andreas Krüger im Interview.
Berliner Zeitung: Herr Krüger, Ihre Genossenschaft, die WirWerk e.G., will das Haus in der Oranienstraße 169 erwerben. Wie ist es dazu gekommen?
Andreas Krüger: Ich hatte im November in der Taz gelesen und auch von damit befassten Politikern gehört, dass es in dem Haus Probleme zwischen Mietern und Eigentümern gab, und dass Letztere das Haus verkaufen wollten. Dann habe ich recherchiert und zwei Eigentümern geschrieben.

Was haben Sie ihnen geschrieben?
Dass ich mich zusammen mit meinen Kollegen und anderen Akteuren in der Stadt seit vielen Jahren mit nachhaltiger Stadtentwicklung beschäftige und wir seit Sommer dabei seien, eine Genossenschaft zu gründen mit dem Zweck, sich in die Übergänge von Immobilienverkäufen einzuschalten und auf gemeinwohlorientierte Lösungen hinzuwirken. Eigentlich im Bereich Gewerbe, aber hier lag plötzlich diese Möglichkeit vor uns, etwas Nachhaltiges im Bereich Wohnen zu tun. Ich schrieb den Eigentümern, dass wir an einem Kauf interessiert seien. Sie waren auch interessiert. Anfang Januar fand das erste Gespräch mit den Mietern statt. Es ging alles sehr schnell.
Was haben Sie mit dem Haus vor?
Uns geht es darum, dass die Mieter nicht weiter belastet werden und sicher wohnen können. Bisher zahlen sie dort sehr moderate Mieten zwischen vier und neun Euro pro Quadratmeter. So günstig wohnen in Kreuzberg wenige. Unser Ziel ist es, dieses Haus dem spekulativen Immobilienmarkt zu entziehen.
Es wird also keine Mieterhöhungen geben?
Grundsätzlich nicht. Wir müssen schauen, dass sich das Haus weiter bewirtschaften lässt. Aber eine Anpassung ist da nur in einem sehr geringen Maße denkbar. Die Mieten sollen bezahlbar bleiben.
Kürzlich wurde bekannt, dass nun auch die Staatsanwaltschaft gegen die Eigentümer ermittelt. Einige Mieter des Hauses hatten offenbar beklagt, dass sie zu hohe Mieten zahlen und diese auf Privatkonten überweisen mussten.
Ich habe dazu keine Informationen. Was ich sagen kann, ist, dass wir einen ganz anderen Eindruck von den Eigentümern haben. Wir erleben eine große Offenheit, grundlegende Seriosität und den Willen, eine passende Lösung für alle zu finden.

Wenn Sie das Haus erwerben, sind das gute Nachrichten für die Mieter dort. Aber viele andere leiden weiter unter hohen Mieten. Was bringt so eine Aktion der Stadt?
Es ist auch eine Art von modellhaftem Vorgehen. Wir wollen schauen, ob man damit den Ausverkauf der Stadt bremsen kann. In den nächsten fünf, zehn Jahren wird es diese Situation oft geben: Alte Menschen, die keine Erben haben, werden sich fragen, was sie mit ihrer Immobilie machen sollen. Das wird Tausende Häuser in Berlin betreffen, Zehntausende von Wohnungen! Und unter diesen Eigentümern wird es viele geben, die ihre Immobilie in gute Hände geben wollen. Die zwar gutes Geld bekommen wollen, aber nicht den Maximalpreis. Und an die wollen wir ran. Auch wenn man fragen muss: Warum müssen wir das machen, warum macht das die Stadt nicht gleich selber?
Haben Sie eine Antwort?
In Berlin wird gerade mehr aufs Bauen geschaut, außerdem ist der Erwerb eines Hauses nicht ganz unkompliziert. Es bräuchte im Grunde eine Taskforce, die diese Fälle ausfindig macht. Wir wollen mit der Oranienstraße beginnen, dann Geld sammeln und möglichst mehrere solcher Objekte erwerben. Irgendwann sollte das institutionell passieren. Wir würden diese Objekte liebend gerne eines Tages in die öffentliche Hand geben. Etwa in eine noch zu gründende „Stadtstiftung Berlin“.
Woher bekommen Sie denn das Geld für diese Projekte? Fördermittel soll es ja zumindest für die Oranienstraße 169 nicht geben.
Das ist richtig. Das Geld kommt von privaten Investoren. Von Menschen, denen die Entwicklung der Stadt wichtig ist und die ihr Geld in nachhaltigen Projekten anlegen wollen. In München gibt es übrigens ein ähnliches Modell. Dort haben sich Anfang der 90er-Jahre elf Gründer zusammengetan und Häuser gekauft, um dort die Mieten bezahlbar zu halten. Heute, 30 Jahre später, ist das institutionalisiert. Heute muss in München ein bestimmter Prozentsatz von zu vergebenden Grundstücken an diese Genossenschaft gehen. Die hat heute an die 6000 Wohnungen, alle mit bezahlbaren Mieten. So etwas gibt es in Berlin bisher nicht.
München ist aber nicht gerade ein Beispiel für niedrige Mieten.
So sieht's aus, München ist völlig aus dem Ruder gelaufen! Die Genossenschaften sind die Ausnahmen. Die letzten, die eine solche Stadt noch beieinander halten.

Was ist eigentlich eine „bezahlbare“ Miete?
Es ist ein relativer Begriff. Man könnte sagen: Leistbar, das sind in Berlin Mieten von 6,50 Euro, also das, was man für Sozialwohnungen bezahlt. Für mich selbst und wohl auch andere gut gestellte Menschen wären aber selbstverständlich höhere Mieten bezahlbar. Da stellt sich schon die Frage nach der Gerechtigkeit.
Wie meinen Sie das?
Schauen Sie sich doch mal Häuser an, die einst im sozialen Wohnungsbau entstanden sind. Zum Beispiel die Häuser an der Admiralsbrücke oder am Kollwitzplatz. Da haben früher Leute gelebt, die sich im Studium oder in der Ausbildung befanden oder Künstler waren, für die 6,50 Euro bezahlbar waren. Diese Leute sind heute häufig gut verdienend und sie leben immer noch dort zu niedrigen Mieten. Ist das der Weg, ist das gerecht?
Müsste es also eigentlich eine Anpassung der Mieten an Vermögensverhältnisse geben?
Das ist ein politisches Thema. Vielleicht müsste man schon über eine Anpassung nachdenken. Bei denen, die mehr haben, die Mieten rauf, bei denen, die weniger haben, die Mieten runter.

In einem Interview haben Sie sich mal selbst als Stadtproduzenten bezeichnet. Was verstehen Sie darunter?
Das hat jemand anderes über mich gesagt. Mir persönlich gefällt das Wort Stadtermöglicher besser. Mir geht es darum, die Kräfte zu bündeln, die in der Stadt wirken, um einen lebenswerteren Raum zu ermöglichen. In den Städten, aber auch auf dem Land.
Wo hat das aus Ihrer Sicht bisher gut funktioniert?
Bei der Umgestaltung des Moritzplatzes und der Prinzessinnengärten Ende der 2000er. Ich war damals Geschäftsführer von Modulor, dem Architekturmodellbedarfsladen. Wir haben nach einer neuen Immobilie gesucht. Eines Nachts bin ich am Moritzplatz vorbeigeradelt, der damals noch das Ende der Welt war. Und dort gab es diese riesige leere Bechstein-Fabrik. Mitten in Berlin! Wir sind in Verhandlungen mit dem Land Berlin getreten, dem das Grundstück gehörte. Während der Verhandlungen ist Modulor immer größer geworden, andere brauchten günstige Gewerberäume, und so hat sich langsam ein Konzept entwickelt. Wir haben auf das Dach einen Kindergarten gesetzt, was vorher niemals ging. Und das, obwohl wir überhaupt kein Geld hatten. Aber das Land Berlin und private Investoren haben gemerkt, dass wir da einen Ort mit Magnetwirkung schaffen können, dass wir ein zukunftsträchtiges Konzept hatten. Das war Stadt-Machen am offenen Herzen. Ein dunkler, leerer Platz wurde wiederbelebt.
Gleichzeitig werden in Berlin immer wieder Grundstücke zu astronomischen Preisen veräußert. Auch in der Oranienstraße, wo vor ein paar Jahren ein Wohnhaus für 35,5 Millionen Euro verkauft wurde. Kann man diesen Ausverkauf der Stadt überhaupt stoppen?
Nach dem Mauerfall war Berlin eine Stadt, die menschlich, geistigseelisch, inhaltlich erst wieder zusammenwachsen musste. Die an vielen Stellen kaputt und vernachlässigt worden war. Ich habe in den 90ern in Prenzlauer Berg gelebt, da sind die Fenster von den Häusern auf die Straßen gekracht. Um das zu ändern hat man Anreize geschaffen, damit Geldgeber wieder in Berlin investieren. Der Fehler, den man damals gemacht hat, war: Man hat nicht die Hand auf den Grundstücken gehalten, sondern sie einfach verkauft. Was man hätte machen müssen: Erbbaurechte vergeben.
Was bedeutet das?
Man darf auf dem Grundstück bauen, darf vermieten, darf alles machen, was ein Eigentümer darf. Man kann nur nicht damit spekulieren, denn das Eigentum bleibt bei der Stadt. Und die kann die Gewährung des Rechtes an Bedingungen knüpfen, zum Beispiel an eine Gemeinwohlorientierung. Ein solches Erbbaurecht müsste heute bei jeder Grundstücksvergabe eingesetzt, zumindest geprüft werden.
Die Aufwertung von Orten zieht auch Gentrifizierung nach sich
Viele Grundstücke gehören nicht der Stadt Berlin. Wäre ein Schritt auf dem Weg auch die Enteignung großer Wohnungskonzerne?
Ich glaube nicht. Man muss sie eher stärker mit einbeziehen, sie an ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen erinnern. Das ist bisher viel zu wenig passiert in Berlin. Mit den großen Playern in einer Stadt oder in einer Gemeinde muss man sich an einen Tisch setzen und verhandeln. Der Staat hätte ja auch etwas zu geben, etwa die Genehmigung, Grundstücke aufzustocken. Generell müsste die Stadt viel näher an der Immobilienwirtschaft dran sein, es müsste eine Sonderbeauftragte für Raumfragen geben, die immer darüber informiert ist, wo in der Stadt gerade ein Grundstück den Verkäufer wechseln soll. Und da dann direkt zuschlagen, um was Sinnvolles draus zu machen. In Berlin werden solche Posten aber leider eher politisch besetzt als fachlich.

Sie haben einige ungewöhnliche Projekte in Berlin betreut, neben dem Moritzplatz etwa den ehemaligen Blumengroßmarkt zwischen Checkpoint Charlie und Jüdischem Museum und die Markthalle Neun in Kreuzberg. Sind Sie zufrieden damit, wie sich diese Orte entwickelt haben?
Beim Moritzplatz, das muss ich aus heutiger Sicht sagen, wäre es wichtig gewesen, das Grundstück dem Land Berlin zu übertragen und den Investoren ein Erbbaurecht zu gewähren, wie ich es gerade erklärt habe. Dort laufen jetzt irgendwann die Förderungsbindungen aus und dann könnten die Eigentümer dieses Grundstück theoretisch auch an den Meistbietenden verkaufen. Das gilt genauso für den ehemaligen Blumengroßmarkt. Das haben wir versäumt. Es hätte auch eine Nachpflege geben müssen, die schaut, wie die Leute vor Ort die Entwicklung wahrnehmen, um nachzusteuern. Mit dem Erbbaurecht könnte man das gut machen.
Treiben diese Projekte nicht auch die Gentrifizierung in den Kiezen voran?
Ja, das ist so, das ist ein Dilemma. Speziell beim Blumengroßmarkt haben sich die Macher dort auch eine kleine Blase ermöglicht, baulich und räumlich. Der Park dort, das Jüdische Museum, der Blick zur Skyline, das zieht bestimmte Nutzer an. Ich würde sagen, dort ist nicht ein einziger Mensch mit geringem Einkommen. Leistbares Wohnen, das wurde dort nicht gemacht. Also nicht wirklich gut gelungen im Sinne einer Stadt im Ausgleich. Gleichzeitig ist es noch nie jemandem in Berlin gelungen, den Deutschen Städtebaupreis zu gewinnen. Und am Ende ist aus dem Quartier wahrscheinlich immer noch etwas Besseres entstanden, als wenn es ein ausländischer Investmentfonds erworben hätte.