Berlin in Dur und Moll: Wenn Straßenmusiker den Klassik-Pianisten ersetzen

So ist Berlin: Unsere Kolumnistin suchte die Intimität eines Klavierkonzerts und bekam stattdessen ein Straßenspektakel. Wer hatte da die Finger im Spiel?

Swing in Berlin.
Swing in Berlin.imago/Lars Reimann

Eine Frau und ein Mann treten aus der Tür des Schinkel-Pavillons. Sie schließt ab und gibt dem noch nicht begonnenen Abend eine Wendung.

Ich wollte ein Konzert besuchen und wunderte mich bereits über das Ausbleiben weiterer Gäste. Die Beziehung zu meinem Kalender ist schon seit einiger Zeit kompliziert. Ich fülle ihn zwar, aber lebe in den Tag.

Heute brauchte ich nicht hineinsehen, seit Wochen freute ich mich auf diesen Abend. Das erste Mal seit zweieinhalb Jahren werde ich Musik live hören. Mich mit anderen zusammen überwältigen lassen. Applaudieren nach der Stille nach dem letzten Ton. Auch wenn ich das als ambivalent empfinde, zerstört man dadurch doch diesen Moment. Verkürzt ihn. Wie lange würde er anhalten ohne Beifallsbekundung?

Ich lese mich durch den Chat mit dem Pianisten und ahne schon kurz vor den betreffenden Zeilen: Das Konzert hatte am Vortag stattgefunden. Das Licht Unter den Linden wird für einen Moment noch heller. Als wolle es sagen: „Du kannst die Augen nicht verschließen. Es ist zu spät.“ Oder könnte es ein Trost sein? À la „Immerhin tobt um dich dieser Frühlingssommer. Das ist wie Musik. Schau hin! Höre hin!“

Ich entscheide mich für die zweite Variante. Spaziere zum Hackeschen Markt und mische mich unter die verlässlich gut gelaunten Touristen. Bestelle zu teuren Wein. Ein Straßenmusikertrio beginnt seinen Auftritt mit dem albernen Song „Don’t worry, be happy“. Mehr Kontrast zum Spiel des Pianisten, dem ich eine reumütige Nachricht schreibe, ist kaum möglich, und gerade deswegen ist das Lied genau das richtige.

Dann spielen sie „Free Fallin’“, fast so wehmütig wie Tom Petty. Die Gäste gucken verträumt. Manchmal muss man ein Konzert verpassen, um ein anderes zu hören. Wir sind ein Publikum, nicht eingeladen, aber willkommen. Es ist ein Konzert, das in keinem Kalender steht.

Nach jedem Song wird geklatscht und hier gibt es keine Stille zu zerstören. Viele Münzen klimpern im Gitarrenkasten. Zu einem Stück tanzen zwei Mädchen, dem dritten ist es peinlich. Bis sie merkt, dass sich alle freuen. Plötzlich guckt sie stolz in Richtung ihrer wilden Freundinnen, und mir kommen fast die Tränen.

Ich suchte die Intimität des Pavillons, des Solisten am Flügel, seiner ausgewählten Gäste. Und bekam ein Straßenspektakel. Wer hatte da seine Finger im Spiel? Will ich das wissen? Nein. Außer jemand würde die Antwort singen. Zum Beispiel beim nächsten Konzert. Oder spielen, ob in Dur oder Moll. Fortsetzung folgt.