Stadtmuseum Berlin: Risikoprojekt 2021
Berlin - Das deutsche Verwaltungs- und Bauwesen verwirft in der Regel keine einmal gefassten, politisch durchgesetzten und finanzierten Pläne. Auch dann nicht, wenn sie sich im Lauf der Zeit als obsolet erwiesen haben. Die Beispiele dafür sind Legion. Ein Hauptgrund für dieses eigentlich unsinnige Festhalten an überholten Plänen ist die Angst vor dem populistischen Vorwurf, Planungsgelder zu verschwenden.
Wenn also heute im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses von Kulturstaatssekretär Andre Schmitz genau ein solches Revirement verteidigt wird, dann muss einiges geschehen sein. Es geht um die Stiftung Stadtmuseum und die seit Jahrzehnten nötige Erweiterung des Platzes, der im Haupthaus der Stiftung, dem Märkischen Museum, zur Verfügung steht.
Bereits in den 1920er-Jahren schlug Walter Stengel, damals Direktor des Märkischen Museums, einen Anbau vor. Zu den Gotik, Renaissance und Barock zitierenden Formen des Museums solle ein klassizistischer Flügel treten. Stengels Plan scheiterte an der Weltwirtschaftskrise. Später interessierten sich weder die Nationalsozialisten und später auch die DDR-Regierung kaum für das bürgerlich geprägte Museum. Erst nach der Wiedervereinigung rückte es für kurze Zeit wieder ins Zentrum der Berliner Museumspolitik.
Dramatischer Platzmangel
Der für die städtischen Sammlungen zuständige Senatsrat Reiner Güntzer setzte 1995 die Gründung der Stiftung Stadtmuseum Berlin durch. Er selbst wurde Gründungsdirektor. Vor allem wollte Güntzer mit ihr die Vereinigung der Sammlungen im Märkischen Museum in Ost-Berlin und dem Berlin-Museum im Westen der Stadt vorantreiben. Im Jahr 2000 setzte allerdings der Senat gegen Güntzers erbitterten Widerstand durch, dass das Haus des Berlin-Museums an das neue Jüdische Museum übergeben wurde. Die Platznot des Stadtmuseums wurde dramatisch.
Deswegen brachte Güntzers amtierender Nachfolger Kurt Winkler bereits um 2003 das 1910 errichtete Marinehaus am Köllnischen Park als Erweiterung des Märkischen Museums ins Gespräch. Doch erst 2007 beschlossen der Rot-Rote Senat und, in seltener Einstimmigkeit, das Abgeordnetenhaus dieses Projekt. Es war die Morgengabe an Winklers Nachfolgerin Franziska Nentwig. Zwar ist das Marinehaus seit einem gescheiterten Radikalumbau in den 1990er-Jahren innen ruinengleich, bietet aber, wie Machbarkeitsstudien dokumentierten, genug Platz für die Verwaltung, die Dauerausstellung zum 19. und 20. Jahrhundert und für Sonderausstellungen. Nentwig musste allerdings dem Senat versprechen, die Außenstellen des Stadtmuseums radikal zu reduzieren. Von 19 Häusern blieben nach Erfüllung dieses „politischen Auftrags“ (Nentwig) sechs übrig.
2008 gewann das Londoner Architekturbüro Stanton Williams den Wettbewerb für den Ausbau des Marinehauses. Die Finanzierung des Gesamtprojekts Sanierung Märkisches Museum – Ausbau Marinehaus mit bisher etwa 40 Millionen Euro ist vom Abgeordnetenhaus abgesegnet. Doch vergangene Woche ließ Kulturstaatssekretär Andre Schmitz, bisher einer der eifrigsten Verteidiger des Projekts, dort im Kulturausschuss die Bombe platzen: Das bereits im vergangenen Jahr von Klaus Wowereit ohne weitere Begründung gestoppte Projekt soll aufgegeben werden.
Das Stadtmuseum werde stattdessen ab 2021 die bisherigen Räume der Stadtbibliothek an der Breiten Straße erhalten, wenn diese in den geplanten Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld umziehe. So Schmitz. Nicht nur die Kulturabgeordnete der Grünen, Sabine Bangert war empört. Mehr als 1,3 Millionen Euro Planungsgelder seien mindestens (!) in das Projekt geflossen, sagte Bangert, man stünde kurz vor der Realisierung, es handele sich um einen Beschluss des Abgeordnetenhauses, der nicht durch die Verwaltung aufzuheben sei. Noch bei den Haushaltsberatungen im Frühjahr sei keine Rede von einer solchen Neuplanung gewesen. Und wieso teile der Kulturstaatssekretär den Planungswechsel erst jetzt mit?
Umzug 2021 nicht sicher
Museumsdirektorin Nentwig unterstützte im Gespräch mit der Berliner Zeitung das neue Projekt. Zwar sei sie sich bewusst, dass der Neubau der ZLB scheitern könne. Noch gibt es keinen Entwurf und keine gesicherte Finanzierung. Der Umzug 2021 sei alles andere als sicher. Doch, so Nentwig, der Standort Breite Straße böte für das Stadtmuseum aus ihrer Sicht so große Chancen, dass sie bereit sei, das Risiko in Kauf zu nehmen.
Die Grundlage für das neue Konzept von Schmitz ist eine bisher nicht veröffentlichte Machbarkeitstudie zu den musealen Möglichkeiten der bisherigen Stadtbibliothek. Sie liegt der der Berliner Zeitung vor. Datiert ist das im Auftrag der Berliner Bauverwaltung von den Architekten Abelmann Vielain Pock hergestellte Papier auf den 27. April. Noch am 16. März hatte Schmitz dem Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass das Projekt Marinehaus geprüft sei, die Gesamtkosten nach Angaben der Bauverwaltung aber bei 41 Millionen Euro bleiben könnten. Von einer Aufgabe des Projekt war aber keine Rede.
Auch jetzt sind es nicht die Kosten, sondern das nach Angaben von Schmitz und Nentwig immer weiter reduzierte Platzangebot im Marinehaus, das ein Neudenken auslöste. Statische Probleme etwa oder die Unterbringung der Haustechnik hätten dazu geführt, dass nur 3 400 statt der angenommenen 5000 Quadratmeter zur Verfügung stünden. Hat Schmitz das im März noch nicht gewusst? Es habe, so Nentwig, verschiedene Alternativprüfungen gegeben, immer aber sei entweder nicht genug Platz für die Sonderausstellungen vorhanden gewesen oder für die Verwaltung, womit die Aufgabe des Verwaltungshauses in der Poststraße, die sie dem Senat versprochen hat, unmöglich würde.
Ungewisse Finanzierung
In der Breiten Straße hingegen stehen nach Angaben der Machbarkeitsstudie im optimalen Ausbaufall – dessen Kosten auf 81 Millionen Euro geschätzt werden – 28.000 Quadratmeter zur Verfügung. Selbst bei einer Lösung imRahmen der bisher angenommenen Baukosten sei bei weitem ausreichend Platz für die Verwaltung, die Sonderausstellungen, die Dauerausstellung und vielleicht sogar für das Hauptdepot. Dieses ist bisher in einer teuer angemieteten Halle in Spandau untergebracht. Die Museumsleute wünschen sich dringend eine Wiedervereinigung der Sammlungen mit den Büros und den Ausstellungen. Um das Projekt zu finanzieren, könnten zudem das Ephraim-Palais, das Verwaltungshaus und das Marinehaus verkauft werden.
Das Stadtmuseum steht also vor einer Entscheidung: Soll es den sicheren Spatz in der Hand – das Marinehaus – nehmen oder, obwohl die Berliner Kulturpolitik alles andere als verlässlich ist, auf Risiko setzen?
Vergrößerte Raubritterburg?
Kein Wort wird in den Studien übrigens verloren zur Sanierung und Zukunft des Märkischen Museums. Wie soll es mit seinen herausragenden, aber komplizierten Räumen gegen einen modernen Museumsstandort an der Breiten Straße bestehen? Die Vorstellung Nentwigs, den kostbaren Bau künftig als Kinder- und Jugendmuseum, als eine Art vergrößerte Raubritterburg zu nutzen, sind jedenfalls wenig überzeugend. Genau um eine solche Konkurrenz zwischen Alt- und Neubauten zu vermeiden, haben sich in vergleichbaren Gebäuden untergebrachten Museen in Zürich, Bern oder – im Projekt – in Helsinki entschieden, ihre Altbauten direkt zu erweitern. Sie zeigen, was möglich wäre mit dem Marinehaus oder gar mit einem derzeit nicht mehr debattierten Neubau am Rand des Köllnischen Parks, wie er vor fast 100 Jahren von Walter Stengel bereits vorgeschlagen wurde.